Serie Evolution: Auf dem Friedhof der Urzeit-Ungeheuer
Die Reise auf dem Vermessungsschiff "Beagle" öffnete dem jungen Darwin die Augen.
"Ihrer Majestät Schiff Beagle, eine Brigg mit zehn Kanonen unter dem Kommando Kapitän FitzRoys, lief am 27. Dezember 1831 von Devonport aus, nachdem sie von schweren Südweststürmen zweimal zurückgeworfen worden war." Mit diesen lapidaren Worten beginnt Charles Darwin 1839 den Bericht seiner "Reise eines Naturforschers um die Welt". Bis heute immer wieder neu aufgelegt, wurde die Chronik seiner Wanderjahre Darwins meistgelesenes Buch. Doch nicht dieser Umstand macht seine Weltumsegelung mit dem Vermessungsschiff "Beagle" zu einer der wichtigsten Entdeckungsfahrten.
Darwins Expedition wurde zu einer Vermessung der Welt ganz anderer Art, weil sie Darwin mit Eindrücken und Beobachtungen zurückkehren ließ, die dank seiner Evolutionstheorie schließlich auch unsere Auffassung von der belebten Natur verändern sollten. Die hydrografisch-kartografischen Daten, wegen derer die "Beagle" ursprünglich ausgesandt worden war, wurden dadurch zu den unbedeutendsten wissenschaftlichen Ergebnissen der Fahrt.
Vier Jahre, neun Monate und fünf Tage dauerte Darwins Reise. Wann immer möglich, hat er unterwegs die Gelegenheit zu ausgiebigen Exkursionen an Land genutzt; immerhin drei Fünftel seiner Zeit verbrachte er auf oft wochenlangen Landgängen. Doch dürften 533 Tage auf See immer noch mehr als genug gewesen sein für jemanden wie Darwin, der nicht von seiner Seekrankheit zu kurieren war.
Darwin ging nicht als offizieller Naturforscher an Bord
Es war eine Kette von Zufällen, die den 22-Jährigen überhaupt an Bord brachte. Einer dieser glücklichen Umstände: Kapitän Robert FitzRoy suchte eine standesgemäße Begleitung, die ihm während der Reise vor allem bei Tisch Gesellschaft leistete. Charles Darwin ging mithin nicht, wie noch immer oft zu lesen ist, als offizieller Naturforscher an Bord, obwohl er dies dann im Verlauf der Reise wurde.
Aber auch dann nahm Darwin, so kurios uns dies heute vorkommen mag, in erster Linie als Geologe an der Expedition teil. Kurz vor seiner Abreise hatte Darwin im Sommer 1831 während einer geologischen Exkursion in Nordwales praktische Erfahrung gesammelt. Vor allem aber die Lektüre eines bedeutenden Werkes über eine neue Betrachtungsweise der Geologie, nämlich Charles Lyells Werk "Principles of Geology", beeindruckte Darwin tief, als er es während der "Beagle"-Expedition las. Auf vielen Stationen seiner Weltreise - von den Kapverden, Feuerland und den Falkland-Inseln, den Anden Chiles und Perus bis zu den Korallenriffen des Indopazifiks - erkannte Darwin plötzlich mit eigenen Augen, mit welcher Dynamik sich die Erdoberfläche verändert.
Hatte Gott nichts dazugelernt?
Während der Reise beobachtete Darwin zudem wichtige Zeugnisse von der Veränderlichkeit der Arten, die ihn schließlich nach seiner Rückkehr jene Gedanken entwickeln ließen, die wir heute als Theorie der Evolution durch Selektion kennen. Wichtig wurden für Darwin vor allem die Fossilien ausgestorbener Riesenlandsäuger in Patagonien. In der Nähe von Buenos Aires - an einer Landzunge namens Punta Alta, wo die "Beagle" im September 1832 vor Anker ging - machte Darwin einen entscheidenden Fund. Während eines Ausritts entlang der Küste entdeckte er in den niedrigen Klippen einen regelrechten Friedhof wahrer "Urzeitmonster", wie er selbst später berichtete. Er erkannte sofort, dass es sich bei den aus dem Sediment herausragenden Knochen und Zähnen um versteinerte Überreste von nahen Verwandten jener Gürteltiere und Faultiere handelte, die noch heute in Südamerika vorkommen. In stundenlanger Plackerei legte Darwin Schädel und Knochen eines pferdegroßen Riesenfaultieres namens Scelidotherium sowie Reste des nach ihm benannten Mylodon darwinii frei, ebenfalls ein fossiles Riesenfaultier. Darwin notierte: "Vormals muss es hier von großen Ungeheuern gewimmelt haben."
In England sind die Geologen zu dieser Zeit über die Frage des Aussterbens in zwei Lager zerstritten. Während die einen annehmen, dass die Urzeitriesen allmählich ausstarben, glauben andere an ein abruptes Ende aufgrund dramatischer Ereignisse. Warum aber, so wundert sich Darwin, sind diese Tiere überhaupt ausgestorben, wenn sie doch perfekte Schöpfungen Gottes waren? Und warum ähnelten sie dann doch wieder den heute noch lebenden Tieren? Er mochte gar nicht weiterdenken: Hatte Gott etwa nichts dazugelernt?
Darwin sammelte unermüdlich
Auch in anderen Regionen Südamerikas, die Charles Darwin unermüdlich in den Jahren 1833 und 1834 durchstreifte, förderte er Überreste prähistorischer Landsäuger zu Tage - sämtlich wahre Giganten verglichen mit der heutigen Fauna. Darwin schleppte die versteinerten Knochen samt anhaftendem Gestein an Bord der "Beagle" - und verstieß damit empfindlich gegen die marine Tradition bei der Royal Navy. Der Erste Offizier, verantwortlich für die Ordnung an Bord, war verzweifelt. Ginge es nach ihm, drohte er dem "Fliegenfänger", der ihm mehr Dreck an Deck brachte als zehn Mann zusammen, würde er den ganzen verdammten nutzlosen Kram über Bord werfen - und Darwin gleich hinterher.
Im November 1832 in Montevideo erhielt Darwin den zweiten Band von Lyells "Principles of Geology", und noch einmal gewann sein Blick auf die Welt naturgeschichtliche Tiefenschärfe. Alles, was Darwin in Südamerika sah - Berge, Inseln, Flüsse, Fossilien -, begriff er nun als Produkte einer sehr langen und sehr langsamen Entwicklung. Er fasste das Aussterben als einen natürlichen Prozess auf, zu dem es immer dann kommt, wenn Arten den Wandel ihrer Lebensbedingungen an einem Ort nicht überleben.
Für Darwin war die Lektüre von Lyell während seiner Reise von großem Nutzen. Seine Funde in Südamerika zeigten ihm, dass lebende Arten mit bereits ausgestorbenen nahe verwandt sind; und er zweifelte mehr und mehr an einer Theorie der Katastrophen. Etwa ein Jahr später schreibt Darwin aus Chile: "Was das Aussterben gewisser Landsäuger im südlichen Teil Südamerikas betrifft, so schließe ich eher die Einwirkung irgendeiner Katastrophe aus." Es sind nur noch ein paar Schritte, bis ihm erste Zweifel daran kommen, dass Arten tatsächlich auf ewig unveränderlich sind und sich nicht wandeln.
Die nächste Folge erscheint am Freitag, den 30. Januar und behandelt den Abschluss der Reise auf der "Beagle".
Matthias Glaubrecht
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