Nationalsozialismus: Arbeit und Weltanschauung
Das Reichsarbeitsministerium nahm im „Dritten Reich“ eine bedeutende Rolle ein. Dennoch fehlen bis heute grundlegende Studien.
„Arbeit“ – formulierte der Leiter der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley am 1. Mai 1941 – „ist für uns Nationalsozialisten nicht nur ein wirtschaftlicher Begriff, sondern eine zutiefst weltanschauliche These.“ Die Äußerung macht deutlich, dass die Arbeits- und Sozialpolitik für das nationalsozialistische Regime kein nachrangiges Politikfeld war. Vielmehr spielte sie für das ideologische Selbstverständnis der NSDAP, die für sich beanspruchte, eine „Arbeiterpartei“ zu sein, eine zentrale Rolle. Die Schaffung einer nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ bedurfte nach den Vorstellungen der NS-Ideologen weitreichender Eingriffe in die Gesellschaftsordnung. Nicht nur Ley, sondern auch andere NS-Politiker drängten auf einen raschen und radikalen Umbau des deutschen Sozialstaates, der als Produkt der „Weimarer Systemzeit“ abgelehnt wurde. Selbst der dem deutschnationalen Flügel zugehörige Arbeitsminister Franz Seldte forderte 1935 nichts weniger, als einen „deutschen Sozialismus unter dem schaffenden Volk“ zu verwirklichen.
Gerade im Bereich der Arbeitspolitik entfaltete das NS-Regime nach der Machtübernahme einen erheblichen Aktivismus. Das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ ersetzte 1934 die betriebliche Arbeitsverfassung, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie wurden aufgehoben. Die im Mai 1933 eingesetzten „Treuhänder der Arbeit“, die dem Reichsarbeitsministerium unterstellt waren, bestimmten fortan die Lohn- und Tarifangelegenheiten. Zahlreiche neue Institutionen wie der Reichsarbeitsdienst, die Deutsche Arbeitsfront, die nationalsozialistische Volkswohlfahrt oder die NS-Betriebszellenorganisationen machten den Gestaltungsanspruch der neuen Machthaber auf diesem Gebiet deutlich.
Erstaunlicherweise gibt es bislang keine grundlegende Untersuchung zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus. Ihre Erforschung bietet nicht nur wichtige Einblicke in die Verwaltungsgeschichte des NS-Staates, sondern dürfte auch neue Erkenntnisse zur Arbeits- und Sozialpolitik des „Dritten Reiches“ liefern. Dabei ist es wichtig, dieses zentrale Feld der NS-Geschichte in seinen langfristigen Kontinuitäten und europäischen Bezügen zu betrachten.
Im Jahr 1933 gehörte das Ministerium nicht zu den klassischen Ressorts, sondern war eine relativ junge Fachbehörde – ein Produkt der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkrieges und seiner weitreichenden Interventionen in den Arbeitsmarkt. Die Gründung eines eigenständigen Ministeriums im Jahre 1919 und die schnelle Expansion der Behörde in den zwanziger Jahren waren Ausdruck der dynamischen wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung der Weimarer Republik. Kein anderes Ministerium verzeichnete in dieser Zeit einen stärkeren Zuwachs an Personal und finanziellen Ressourcen, aber auch an rechtlichen und administrativen Regelungskompetenzen.
Dieser Trend wurde durch die nationalsozialistische Machtergreifung sogar fortgeführt. Im Zuge der Gleichschaltung und „Verreichlichung“ der Sozialpolitik gewann das Ministerium zumindest formal erheblich an Bedeutung. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs erreichte es mit 16 Abteilungen seine größte Ausdehnung. Es handelte sich um ein regelrechtes „Superressort“, das weitreichende Querschnittsaufgaben wahrnahm. Seine Zuständigkeiten reichten von der Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik über den sozialen Wohnungsbau, den Städtebau und das Siedlungswesen bis hin zur Familienpolitik. Es umfasste ferner die Sozialfürsorge sowie die Sozialversicherungs- und Gesundheitspolitik.
Nun hat die NS-Forschung gezeigt, dass eine formale Betrachtung behördlicher Kompetenzen die realen Machtverhältnisse nur unzureichend wiedergibt. Neben die eigentliche Staatsverwaltung traten zahlreiche neue Partei- und Sonderbehörden mit ähnlichen Kompetenzen. Die historische Forschung hat der Ministerialebene – insbesondere der Fachressorts – kaum Beachtung geschenkt, weil sie davon ausging, dass die traditionellen Verwaltungen durch die nationalsozialistischen Parteiorgane und Sonderinstanzen zunehmend verdrängt wurden. Damit verbunden war die Vorstellung einer planlosen und selbstzerstörerischen „kumulativen Radikalisierung“ (Hans Mommsen) der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis.
Ob diese Interpretation die Praxis der NS-Herrschaft zutreffend darstellt, erscheint jedoch fraglich. Denn zum einen ist sie stark durch die Endphase des „Dritten Reiches“ und seinen inneren und äußeren Zerfall geprägt. Zum anderen wird die verbrecherische Effizienz, welche die NS-Institutionen im Bereich der Arbeitspolitik an den Tag legte, damit nur unzureichend dargestellt. Es scheint daher notwendig, die Geschichte des Reichsarbeitsministeriums mit neuen politik- und institutionengeschichtlichen Fragen zu analysieren. Hat das „Dritte Reich“ neben seinen destruktiven Dynamiken auch neuartige Institutionen geschaffen, deren Leistungsfähigkeit die ungeheure Vernichtungskraft des Regimes erst erklären?
Für die Etablierung der nationalsozialistischen Herrschaft in den besetzten europäischen Gebieten spielte die Arbeits- und Sozialpolitik eine wichtige Rolle. Dabei ging es zunächst um die umfassende Mobilisierung des Arbeitskräftepotenzials für die Kriegswirtschaft des „Dritten Reiches“, wobei neben den ins Reichsgebiet verbrachten über 12 Millionen Zwangsarbeitern auch die immer schärfere Arbeitspflicht in den besetzen Gebieten zu nennen ist. Im Gefolge der Wehrmacht rückten zahlreiche zum Auslandseinsatz abgeordnete Beamte in die besetzten Territorien ein. Sie wurden meist befördert und erhielten weit größere Zuständigkeiten als in ihren früheren Dienststellen im Reich.
Ende 1943 waren schätzungsweise rund 2500 Mitarbeiter aus dem Reichsarbeitsministerium und seinen nachgeordneten Behörden im besetzten Europa tätig, davon circa 500 im Generalgouvernement, weitere 1000 in den sowjetischen Gebieten unter deutscher Herrschaft. Diese Beamten leiteten die Abteilungen für Arbeit und Soziales in den jeweiligen Spitzenbehörden, übernahmen oder etablierten Arbeitsämter, und traten als Kriegsverwaltungsräte unmittelbar hinter der Front auf. Sie kontrollierten die einheimischen Bediensteten, auf welche die deutschen Behörden angewiesen waren, um die eroberten Räume administrativ zu erfassen. Nach Einschätzung des Berliner Historikers Werner Röhr waren die Arbeitsämter „überall der verhassteste Teil der Okkupationsmacht“.
Waren auch Spitzenbeamte des Ministeriums in die verbrecherische Besatzungspolitik im Osten involviert? Hier gibt es erst vereinzelte Hinweise. Bekannt ist etwa die Rolle von Max Frauendorfer, Mitarbeiter von Staatssekretär Johannes Krohn und seit 1940 Leiter der Hauptabteilung Arbeit im Generalgouvernement. Dort war er verantwortlich für die zwangsweise Rekrutierung polnischer und jüdischer Zwangsarbeiter.
Noch fehlt aber eine übergreifende Analyse der deutschen Arbeitsverwaltung im besetzten Europa. Diese darf nicht nur den kriegsbedingten Arbeitseinsatz betrachten, der vor allem im Osten mit immer brachialeren Methoden geführt wurde. Sie muss auch andere Aspekte der Sozial- und Arbeitsordnung berücksichtigen. Spielten wirtschaftliche Entwicklungsunterschiede oder rassische Hierarchisierungen, etwa zwischen den osteuropäischen Gebieten, die vollständig „germanisiert“ werden sollten, und den besetzten Ländern in West- und Nordeuropa eine Rolle? Und inwiefern lassen sich Auswirkungen der langfristigen, über die Kriegszeit hinausgehenden sozialpolitischen Planungen erkennen?
Auch die Zäsur des Jahres 1945 ist für das Reichsarbeitsministerium wie für die Sozialpolitik insgesamt bislang kaum erforscht, eine erste Bestandsaufnahme deutet aber ebenfalls auf relative hohe personelle Kontinuitäten hin. Zahlreiche Beamte des Reichsarbeitsministeriums wurden in die von den Alliierten eingerichteten Verwaltungsbehörden übernommen, so in das „Zentralamt für Arbeit“ der britischen Zone und die 1948 in der Bizone gegründete „Verwaltung für Arbeit“, aus der ein Jahr später das Bundesministerium für Arbeit hervorging. 1951/52 waren in diesem Ministerium 45 Prozent der Beamten NS-belastet, im Bundeswohnungsbauministerium belief sich diese Zahl auf 61 Prozent. Auch die Bundesanstalt für Arbeit und die Arbeitsämter beschäftigten zahlreiche ehemalige Parteigenossen, zum Teil in leitenden Funktionen.
Historisch relevanter als der prozentuale Anteil ehemaliger NS-Angehöriger – oder auch die skandalträchtige Rekonstruktion einzelner Biografien – ist die Frage, ob wir es mit einer Gruppe von Sozialexperten, Verwaltungsfachleuten und Beamten zu tun haben, die durch gemeinsame professionelle Sozialisationen und politische Erfahrungen geprägt wurden, die von der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus bis in die Nachkriegszeit reichen. Hier sind gruppen- beziehungsweise kollektivbiografische Forschungen erforderlich, die nicht nur einfach NS-Belastungen konstatieren, sondern übergreifende Karrieremuster, gemeinsame Erfahrungen und sozialpolitischer Leitbilder rekonstruieren.
Schließlich geht es darum, die langfristigen Prägungen deutscher Sozialstaatlichkeit durch den Nationalsozialismus zu bestimmen. Inwiefern kann in der Sozialpolitik von einem „langen Dritten Reich“ gesprochen werden, dessen Leitbilder weit über die Zeit von 1933 bis 1945 hinaus Wirkung entfalteten? Es muss sich erst noch herausstellen, ob „Hitlers Volksstaat“, wie Götz Aly behauptet hat, die „Soziale Marktwirtschaft“ der Bundesrepublik tatsächlich stärker geprägt hat als bisher angenommen.
Der Autor ist Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität und Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus. Der Beitrag ist die gekürzte Fassung eines Vortrages zur Auftaktkonferenz des Forschungsvorhabens, die unlängst in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand.
Alexander Nützenadel