Stefanie Schüler-Springorum: „Antisemitismus ist ein geschlossenes Weltbild“
Die neue Direktorin des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung will sich wieder stärker auf das Kernthema ihres Instituts konzentrieren. Vergleiche zwischen Antisemitismus und Islamophobie sollen "auf historische Füße" gestellt werden.
Wo fängt Antisemitismus an, wo hört „legitime Israelkritik“ auf? Stefanie Schüler-Springorum muss nicht lange nachdenken: „Schon das Reizwort Israelkritik erfasst den komplexen Sachverhalt in keiner Weise“, sagt die Historikerin. Die neue Direktorin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, die im Juni vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg nach Berlin wechselte, will es genau nehmen mit Begriffen und Fragestellungen. Pauschale Israelschelte – als könne man ein ganzes Land „kritisieren“ – und die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen sollte man nicht in einen Topf werfen. Die Fixierung auf die israelische Politik in den besetzten Gebieten reize „Menschen, die endlich einmal etwas gegen Juden sagen wollen, ohne gleich als Antisemiten zu erscheinen“. Nur Rechtsradikale bekennen sich heute offen zum Antisemitismus, sagt Schüler-Springorum. Die gängigen antisemitischen Reaktionen versteckten sich hinter einem „Ja, aber“ oder „Man wird doch wohl noch sagen dürfen …“
Auch mit dem zentralen Begriff, der ihrer neuen Wirkungsstätte den Namen gibt, muss sich Schüler-Springorum (48) auseinandersetzen. Islamkritiker, die sich zumeist im Internet äußerten, haben Schüler-Springorums Vorgänger Wolfgang Benz vorgeworfen, die genuine Antisemitismusforschung vernachlässigt zu haben – zugunsten einer allgemeinen Vorurteilsforschung. Dass Benz dabei auch die Islamophobie in den Blick nahm, war Anlass für eine Kampagne gegen den Historiker: Durch den Vergleich mit dem Antisemitismus relativiere er den Holocaust, hieß es. Eine Unterstellung, zu der sich Benz immer wieder erklären musste.
Stefanie Schüler-Springorum stellt sich dem Thema. Anfang der 90er Jahre, als Benz die Leitung des Zentrums von seinem Gründer Herbert A. Strauss übernahm, sei es richtig gewesen, das Themenspektrum auf die allgemeine Vorurteilsforschung auszuweiten, sagt sie. Nach der Wiedervereinigung erlebte der Rechtsextremismus einen neuen Aufschwung. Und es sei noch immer wichtig, etwa auch Homophobie und Antiziganismus zu untersuchen. Doch sie wolle das Spezifische der Antisemitismusforschung wieder stärker herausarbeiten, sagt Schüler-Springorum. „Antisemitismus ist nicht ein Vorurteil unter vielen, sondern ein geschlossenes Weltbild.“ Einer von vielen denkbaren neuen Ansätzen sei es, über die emotionale Wucht des antijüdischen Ressentiments nachzudenken. Gemeinsam mit Ute Frevert vom Arbeitsbereich „Geschichte der Gefühle“ am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung plant Schüler-Springorum eine Tagung zum Thema: „Antisemitismus und Emotionen“. Dabei soll es vor allem um das Verhältnis von antisemitischen Texten und antijüdischen Ressentiments gehen.
In solchen Themen trifft sich das Interesse der Expertin für deutsch-jüdische und nationalsozialistische Geschichte mit ihrem neuen Arbeitsfeld. Sie war bislang keine ausgewiesene Antisemitismusforscherin, wer jedoch wie Schüler-Springorum über die jüdische Minderheit in Königsberg promovierte und Mitte der 90er Jahre in Berlin bei der Topographie des Terrors arbeitete, kennt sich aus mit der Judenfeindschaft. Ohnehin gelte für die Antisemitismusforschung, was auch für die deutsch-jüdische Geschichte gelte, sagt Schüler-Springorum: Sie seien nicht hinreichend integriert in die allgemeine Geschichte. Einerseits scheine der Antisemitismus ein gesellschaftliches Phänomen zu sein, eine Geschichte, die nicht vergehen will, sich also der Historisierung entzieht. Andererseits neige die allgemeine Geschichte dazu, die Erforschung des Antisemitismus an spezielle Institute auszulagern.
In Berlin will Schüler-Springorum ihr Zentrum enger als bisher mit Institutionen wie dem deutsch-russischen Museum Karlshorst, dem Centrum Judaicum, dem Jüdischen Museum oder der Topographie des Terrors vernetzen. Die Debatte um Antisemitismus und Islamfeindschaft will Schüler-Springorum „auf historische Füße stellen“. Um Unterschiede und Ähnlichkeiten herauszuarbeiten könnte man im 19. Jahrhundert ansetzen, bei der Entstehung der Nationalstaaten, dem Imperialismus und Kolonialismus. Der Orientalismus jener Zeit wiederum führe zurück ins Mittelalter, nach Al Andalus, den muslimisch beherrschten Teil der iberischen Halbinsel. Schüler-Springorum will bisher unerforschte Aspekte des überlieferten Bildes des jahrhundertelangen Zusammenlebens von Muslimen, Juden und Christen untersuchen, das 1492 mit dem Sieg der christlichen Reconquista endete.
Ihr „Faible für spanische Geschichte“ begann einst beim Studienaufenthalt in Barcelona. Zuletzt hat Schüler-Springorum ein Buch über die Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg geschrieben (Krieg und Fliegen, Schöningh, 2010) – „aus männergeschichtlicher Perspektive“. Die Geschlechtergeschichte sei auch in der Antisemitismusforschung noch ganz am Anfang, sagt sie. Schüler-Springorum sieht da ein großes Arbeitsfeld, auch im Zusammenhang mit der Islamophobie. So hätten sich antisemitische Aggressionen vornehmlich gegen Männer gerichtet, sie seien als verweiblicht oder als große Verführer karikiert worden. „Von Frauen wurde eher das Bild der schönen Jüdin gezeichnet.“ Die Aggression gegen Muslime dagegen richte sich stets auf beide Geschlechter, auf die „Kopftuchfrauen“ und auf Männer mit Bärten und traditioneller Kleidung. „Welche Bilder werden für wen produziert?“, will Stefanie Schüler-Springorum fragen – und gemeinsam mit ihren Berliner Kollegen Antworten finden. Amory Burchard
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