Polarforschung: Antarktisstation - Vom Eise befreit
Die neue deutsche Antarktisstation "Neumayer III" kann sich immer wieder selbst aus den Schneemassen herausschieben. Der Vorgänger, "Neumayer II", muss erst noch aufwändig abgebaut werden.
Eigentlich müsste die neue deutsche Forschungsbasis in der Antarktis „Baron-von-Münchhausen-Station“ heißen. Ähnlich dem flunkernden Freiherrn, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen haben will, soll sich auch der 2300 Tonnen schwere Blechkasten immer wieder aus den Schneemassen erheben, die der antarktische Winter auf das Ekström-Eisschelf schüttet. Etwa ein Meter Neuschnee kommt dort im Laufe eines Jahres zusammen. Die Röhrenkonstruktion der bisherigen Station „Neumayer II“ befindet sich deshalb mittlerweile 15 Meter untertage und wird langsam von der Last zerquetscht. Anders die neue Station, die fünf Kilometer entfernt errichtet und am heutigen Freitag offiziell eingeweiht wird. Sie soll ständig aus der Schneefläche herausschauen. Und weil das mit technischen Tricks – und völlig ohne Schwindelei – gelingt, kann sie auf den Namen des Lügenbarons verzichten und wird ebenfalls nach dem Geophysiker Georg von Neumayer benannt. „Die neue Station gräbt sich gewissermaßen selbst aus“, sagt Hartwig Gernandt vom Alfred-Wegener-Institut für Polarforschung (AWI) in Bremerhaven, der für den Aufbau von „Neumayer III“ verantwortlich ist. Sie steht auf 16 Fundamentplatten, die über Hydraulikzylinder mit der Konstruktion verbunden sind. Im antarktischen Sommer, wenn das Wetter schön ist und die Temperaturen auf erträgliche null Grad Celsius steigen, wird nacheinander jeder einzelne der 16 Füße angehoben und der entstehende Hohlraum mit Schnee gefüllt. Dann muss nur noch Öl in die Hydraulikzylinder gepumpt werden – und schon erhebt sich Neumayer III.
„Dadurch werden wir die Station sehr lange betreiben können“, sagt Gernandt. Die Planung umfasst 30 Jahre, schließlich sollen sich die Kosten von 26 Millionen Euro, die vom Bundesforschungsministerium (BMBF) kommen, rentieren.
Neun Leute sollen den antarktischen Winter in der Station verbringen
Vor anderthalb Jahren stand die 68 Meter lange und 24 Meter breite Konstruktion schon einmal: in Norddeutschland, um ihre Standfestigkeit im Nordseewind zu testen. Anschließend wurde sie zerlegt und per Schiff in die Antarktis gebracht. Die 50-köpfige Baumannschaft reiste mit Flugzeugen dorthin, sobald das Wetter es zuließ. „Der antarktische Sommer ist kurz, da muss man jeden Tag nutzen“, sagt Gernandt. Der Cheflogistiker des Projekts weiß, wovon er spricht. Er war häufig in der Antarktis und hat bereits zwei Winter im ewigen Eis verbracht.
Jeweils neun Leute sollen in der neuen Station während der dunklen Jahreszeit ausharren. Neben Technikern und einem Koch werden vier von ihnen Wissenschaftler sein. Sie nehmen bei Wind und Wetter Messwerte auf, um Langzeitstudien zu ermöglichen. „Viele Sensoren sind außerhalb der Station montiert, da muss man täglich raus“, sagt Gernandt.
Besonders schwierig ist das Ablesen und Warten der Messgeräte für die Luftzusammensetzung, die etwa Kohlendioxid und Methan registrieren: Damit die Daten nicht von den Stationsabgasen verfälscht werden, sind die Sensoren in zwei Kilometer Entfernung platziert. Bei minus 45 Grad, starkem Wind und höchstens einem schmalen Streifen Licht am Horizont kein leichter Gang. Auch der regelmäßige Start von Forschungsballonen und die Überwachung der seismischen Aktivität des Erdballs gehört zu den Aufgaben.
Die Techniker kümmern sich derweil ums Alltagsgeschäft in der Station. Dazu gehört die Kommunikation mit der Heimat via Satellit, das Recycling der Abwässer und die Instandhaltung des Dieselgenerators und der Windkraftanlage für die Stromerzeugung.
Die alte Station muss vollständig entsorgt werden
Vom Routinebetrieb ist man derzeit aber noch weit entfernt. „Die Baumannschaft arbeitet mit Hochdruck, damit die Station bis zur Einweihung weitgehend fertig ist“, berichtet Gernandt. Zu dem Fest werden nicht nur Vertreter des BMBF und der deutschen Forschungszentren in der Antarktis erwartet. „Es kommen auch Wissenschaftler aus jenen Ländern, die in unserer Nachbarschaft – also im Umkreis von 800 Kilometern – Polarstationen betreiben“, sagt der AWI-Forscher. Franzosen, Niederländer und Norweger zum Beispiel. „Ohne internationale Kooperationen wäre die Polarforschung fast unmöglich.“
Wenn das Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht, werden dann rund 100 Leute die neue Station feiern und sicher schon die nächsten Projekte planen. Eines davon steht fest und hat mit Wissenschaft gar nichts zu tun: Der Rückbau der alten Station. „Die Polarforschungsnationen haben sich verpflichtet, weder Abfälle noch sonstige ungenutzte Geräte in der Antarktis zurückzulassen“, sagt Gernandt. Dazu zählt auch Neumayer II.
Das Abbauen und Verladen wird aber erst im November beginnen. Denn schon im März geht der Sommer zu Ende, die meisten Techniker und Bauleute verlassen das Ekström-Eisschelf und die Dämmerung zieht herauf. Zurück bleiben die Überwinterer. Jenen Moment, wenn die Sonne erstmals wieder hinter dem Horizont auftaucht, werden sie kaum verpassen. Denn Neumayer III ist die erste deutsche Polarstation mit Fenstern – und die sind immer höher als das unendliche Weiß.
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