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Mehr Praxis. Das Fachstudium könnte darunter leiden, meint der HU-Präsident.
© picture alliance / dpa

Berliner Lehrerbildung: Angst vorm Einheitslehrer

In Berlin soll die Lehrerbildung umgekrempelt werden. Doch die Vorschläge der Experten ernten nicht nur Lob

Erst kommt der Einheitslehrer und dann die Einheitsschule. So etwa lautet die Reaktion der Gymnasialleiter auf die neuen Empfehlungen zur Lehrerbildung in Berlin (siehe Tagesspiegel vom 26. September). Der Vorschlag, für Sekundar- und Gymnasiallehrer ein identisches Lehramt anzubieten, steht im Mittelpunkt der Kritik. Erst vor wenigen Tagen hatte die Bundesdirektorenkonferenz gefordert, die „schulformspezifische Ausbildung“ müsse beibehalten werden. Nur so könnten „geeignete Abiturienten“ dafür gewonnen werden, ein Studium für das Lehramt am Gymnasium aufnehmen.

„Es ist doch ein Unterschied, ob ich Schüler auf ein Studium vorbereite oder auf den Mittleren Schulabschluss“, fasst es Ralf Treptow vom Verband der Oberstudiendirektoren zusammen. Genau so sieht es Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität und selbst Erziehungswissenschaftler. Die Unis könnten allerdings versuchen, den Studierenden in der neuen Ausbildung unterschiedliche Vertiefungsmöglichkeiten anzubieten.

Die Kommission begründet ihren Vorschlag damit, es handele sich bei der Sekundarschule und beim Gymnasium um „zwei parallele Bildungsgänge mit gleichem akademischen Anspruch“. Das gefällt der GEW ebenso wie dem Bildungsexperten der Grünen, Özcan Mutlu.

Die GEW kritisiert allerdings, dass es eine spezielle Ausbildung für Grundschullehrer geben soll. Die Ausbildung für Klasse 1 bis 10 müsse erhalten bleiben: Die Lehrer könnten so besser an den Schnittstellen der Schulausbildung arbeiten. HU-Präsident Olbertz befürchtet, das neue Praxissemester und die Pflicht für alle Lehramtsstudierenden, sonderpädagogische Kurse zu belegen, könnten zu Lasten des Fachstudiums gehen: „Die Universitäten stehen jedenfalls vor einer grundlegenden Revision der Curricula.“

Die Grünen fordern den Senat auf, „klar zu stellen, wie viel mehr Geld das Land Berlin nun in die Ausbildung seiner Lehrer investieren will“. Setzt Berlin wirklich alle Vorschläge um, könnte das teuer werden. HU-Präsident Olbertz sagt, die Unis könnten nicht kostenneutral das Studium der Lehrer verlängern, die Betreuung im neuen Praxissemester absichern und die Lehramtsstudierenden auf die Inklusion behinderter Schüler vorbereiten. Im Übrigen finanziere der Senat bislang nur die Hälfte der Lehramtsstudierenden im Master.

Neue Kosten kämen auf Berlin auch zu, wenn der Senat die Konsequenz daraus zieht, dass die Grundschullehrer bald so lang studieren wie die Oberschullehrer. Warum sollten sie dann weniger verdienen? Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), die die Expertise am gestrigen Mittwoch vorstellte, äußerte sich dazu nicht. Der renommierte Bildungsforscher Jürgen Baumert, der die Expertenkommission geleitet hatte, sagte, da Berlin seine Lehrer nicht verbeamte, wäre es nicht so teuer, die Kluft zwischen den Gehältern der Grundschullehrer und der Lehrer an Oberschulen zu schließen.

Auch die „Schools of Education“, die die Unis für ihre Lehrerbildung schaffen sollen, würden Geld kosten. Die „Schools“ sollen über die Fakultäten hinweg „entscheidungsbefugte Querstrukturen“ bilden. Diese könnten über eigene Mittel verfügen – und dadurch auch auf die Gestaltung der Lehrpläne mehr Einfluss nehmen: „Das werden wir in den Verhandlungen um die Hochschulverträge besprechen“, sagte Scheeres.

Gabriele Wendorf, die Vizepräsidentin der TU Berlin, zweifelt jedoch daran, dass Berlin sich wirklich starke „Schools“ überhaupt leisten kann. Dann werde es den „Schools“ aber an „Substanz“ fehlen: „Da sollten wir uns lieber um die Elementararbeit kümmern“, sagt Wendorf. Das neue Praxissemester werde die Chance bieten, die an der Lehrerbildung Beteiligten an einen Tisch zu bringen.

Bildungsforscher Baumert hält die „Schools“ hingegen für einen entscheidenden Hebel: „Die Fakultäten sollen Geld für die Lehrerbildung nur noch dann bekommen, wenn sie die Leistungen erbringen.“ Die Fachwissenschaften würden sich noch nicht gut genug auf die Bedürfnisse der Lehrer einstellen: „Euklidische Geometrie spielt in der Schule eine große Rolle. Aber an keiner Uni findet dazu eine Lehrveranstaltung statt“, sagte Baumert. Es sei klar, dass die Unis angesichts ihrer knappen Mittel nicht ein eigenes Fachstudium für die Lehrer auf die Beine stellen könnten. Aber mit einigem „Erfindungsreichtum“ könnten sie da, wo es nötig ist, Zusatzangebote schaffen.

Baumert rechnet damit, dass die neu ausgebildeten Lehrer frühestens im Jahr 2018 ins Referendariat eintreten können. Zunächst muss das Parlament ein neues Lehrerbildungsgesetz beschließen.

Die Expertise im Internet unter: www.berlin.de/sen/bildung/lehrer_werden

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