Ernst Noltes "Italienische Schriften": Angriff als Verteidigung
Der umstrittene Historiker Ernst Nolte, der 1986 Urheber des Historikerstreits war, zieht in den jetzt vorgelegten "Italienischen Schriften" Bilanz seines Lebenswerks.
Das Kaminzimmer im Literaturhaus Fasanenstraße fasst kaum die erwartungsvollen Zuhörer, die gekommen sind, Ernst Nolte beim Vortrag über seine Buchveröffentlichungen aus einem halben Jahrhundert zu lauschen. Eine Stunde spricht Nolte, mittlerweile 88 Jahre alt und kerzengrade am Rednerpult. Was er in geraffter Form vorträgt, ist in seiner jüngsten Publikation nachzulesen. „Italienische Schriften“ ist die Sammlung von Aufsätzen und Interviews betitelt, die Nolte, hierzulande ein in der Wissenschaft Isolierter, zuerst in Italien veröffentlicht hat (Landt Verlag, Berlin 2011. 352 Seiten, 39,90 Euro).
Ein Beitrag in der „Historischen Zeitschrift“ von 1960, hebt Nolte an, war „der Anfang eines Lebenswerks, das 2011 sein Ende gefunden hat“. Keine Spur von Koketterie; aber glauben will es seine Zuhörerschaft ebenso wenig. Was Nolte in der Rückschau zusammenfasst, rundet sich allerdings zu einem Lebenswerk von außerordentlicher Konsistenz. Es geht um „das Paradigma des Zusammenstoßes zweier ideologischer Bewegungen“. Was sich in dieser Kürze unspektakulär anhört, hat heftigste Abwehr erfahren. Gemeint sind der „Zusammenstoß“ von Bolschewismus und Faschismus und die Reaktion des Nationalsozialismus auf die Russische Revolution.
„Das Grundereignis des 20. Jahrhunderts war die Machtergreifung der Bolschewiki 1917“, erklärt Nolte in Abwendung von George Kennans These vom Ersten Weltkrieg als „Urkatastrophe“. Im folgenden Bürgerkrieg sieht Nolte die Konstellation der kommenden Jahrzehnte vorgeprägt. Dem „antibürgerlichen Vernichtungspostulat der Bolschewiki“, die Bourgeoisie als Klasse zu vernichten, steht bereits das „anti-jüdische Vernichtungspostulat der Weißen“ entgegen. Wie sehr Hitler später auf den Bürgerkrieg in Russland fixiert war, zeige sich an der Forderung Hitlers, den Marxismus mit „bolschewistischer Entschlossenheit“ zu bekämpfen.
Immer wieder kommt Nolte auf seinen geschichtsphilosophischen Kernsatz zu sprechen, Revolution und Reaktion seien voneinander nicht zu trennen. Er hat diese Dialektik an einem anderen Gegenstand in dem Buch „Marxismus und Industrielle Revolution“ von 1983 ausgeführt. Doch das Lebensthema bleibt das Ringen der beiden radikalsten Ideologien des Jahrhunderts.
Nolte verwahrt sich gegen die Unterstellung einer Verharmlosung des Nazismus und seiner Verbrechen. Was allerdings heftigste Kritik hervorgerufen hat, ist der „kausale Nexus“, den er erstmals 1986 behauptete. Damit geht Noltes Inbeziehungsetzung von Rot und Braun weit über den bloßen Vergleich der Gewaltverbrechen hinaus. Braun sei ohne Rot nicht zu denken, das ist das Neuartige und Verstörende an Noltes These, die den Nationalsozialismus zur bloßen Reaktion auf die Russische Revolution von 1917 und die Angst vor ihrer Ausbreitung in Europa erklärt. Dieser, so Nolte, „war als Verneinung der französischen und insbesondere der bolschewistisch-kommunistischen, von ihm als ,jüdisch' gekennzeichneten Revolution, so sehr eine Gegenrevolution, dass er als verzerrte Kopie des Todfeindes, aber aus eigenständigen Wurzeln, so sehr revolutionär war, wie es eine ,Konservative Revolution'“ nicht hätte sein können. Als „Konservative Revolution“ wurde das NS-Regime lange Zeit gesehen, Nolte indessen bleibt bei der kausalen Abhängigkeit von 1917.
Nolte hat der Bannfluch tief getroffen, der ihn, zuallererst von Habermas geschleudert, in der zum „Historikerstreit“ ausgeweiteten Kontroverse getroffen hat. Immerhin, so klagt er, sei er derjenige, „der die ,Singularität von Auschwitz' in Deutschland als Erster herausgearbeitet“ habe. Ob sein Lebenswerk in Zukunft Anerkennung finden wird, wie am Freitagabend gemutmaßt wurde, muss offen bleiben. Dass dieses Werk eine nicht von Abwehr oder gar Hass verstellte Auseinandersetzung verdient hat, ist indessen unzweifelhaft.
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