Fünf Jahre "Arbeiterkind.de": An die Uni statt in die Banklehre
Seit fünf Jahren berät das Netzwerk "Arbeiterkind.de" Abiturienten aus Familien ohne akademischen Hintergrund auf ihrem Weg an die Hochschule und bis zum Abschluss. Ein Ziel: Familiäre Widerstände gegen ein Studium zu überwinden.
Einen Professor um eine Empfehlung bitten, sich im Seminar zu Wort melden oder ein Stipendium beantragen? Junge Menschen, die als Erste in ihrer Familie studieren, fühlen sich davon oft überfordert – und alleingelassen. Studierenden der ersten Generation fehlen die Rollenvorbilder, sagt Katja Urbatsch, die Gründerin von Arbeiterkind.de. Das Netzwerk berät seit fünf Jahren Abiturienten aus nichtakademischen Haushalten beim Weg in die Hochschule und zum Studienabschluss. Die Kontaktaufnahme ist niedrigschwellig. Per E-Mail und über ein Infotelefon können Studierende anonym Fragen stellen. Bundesweit 5000 Ehrenamtliche lesen die Anfragen, helfen mit Tipps und machen Mut. Doch das Netzwerk reicht mittlerweile sehr viel weiter: Aus einer Infoanfrage können langjährige Mentoring-Beziehungen entstehen.
Kinder aus Arbeiterfamilien sind an den Hochschulen noch immer stark unterrepräsentiert: Gerade einmal 24 Prozent nehmen nach dem Abitur ein Studium auf, unter Akademikerkindern sind es 71 Prozent. Informationen über Studienangebote alleine reichen aber nicht aus, um die Chancen von Kindern aus Arbeiterfamilien zu erhöhen, sagte Urbatsch gestern in Berlin. Die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg werde immer noch in der Familie getroffen. Die Sorge, ein Studium nicht finanzieren zu können und die Überzeugung, dass eine Berufsausbildung die sicherere Option ist, bauten Druck auf. „Wir haben beschlossen, dass ich doch Bankkauffrau lerne“, sage dann etwa eine junge Frau, die sich eigentlich auch für ein Studium interessiert hatte.
Arbeiterkind.de hat sich in den vergangenen fünf Jahren weiterentwickelt: Ehrenamtliche, die größtenteils selber als erste in der Familie studieren, gehen heute in Schulen und berichten von ihren Erfahrungen. So erreichte das Netzwerk im vergangenen Jahr 8000 Schülerinnen und Schüler und hat bundesweit rund 70 lokale Gruppen gebildet. Gefördert wird Arbeiterkind.de unter anderem vom Bundesbildungsministerium.
Arbeiterkind, Mentorin, Lehrerin – Jenny Pötzsche sieht sich auf diesem Weg an der Freien Universität Berlin bestens begleitet. Vom Feedback auf Hausarbeiten, das ihr Vater, ein Lkw-Fahrer, ihr nicht geben konnte, bis zum Bewerbungsschreiben, für das ihr gerade wieder zehn Leute auf Arbeiterkind.de Hilfe angeboten haben. Heute berät die 25-Jährige selber Studierende. Deutsch- und Englischlehrerin will sie werden, Rollenvorbild ist sie schon.
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