Zum Tod von Arnulf Baring: Als Lehrer begnadet, gehirnerfüllend
Arnulf Baring wollte die Leute erreichen. Zu den 68ern ging er auf Abstand, doch als Professor war er zugewandt. Ein Nachruf eines ehemaligen Studenten.
Er war ein begnadeter Lehrer. Arnulf Baring konnte denen, die sich auf ihn einließen an der Freien Universität, die Zeitgeschichte als Studienfach nahe bringen wie kaum ein anderer. Zeitgeschichte als Fach, das einen immer auch berührte, das einen anging, das einen politisch herausforderte: das war Barings Passion. Immer merkte man ihm an, dass dieser Universitätslehrer auch ein großer Journalist hätte werden können – der jetzt mit 86 Jahren gestorben ist.
Kriegskind war er, eines, das den Krieg nur um ein Haar überlebt hatte. Wer wissen will, wie brutal der Zweite Weltkrieg auch für deutsche Kriegskinder war, die ihn schließlich nicht angezettelt hatten, der lese Barings Beschreibung des Dresdner Feuersturms – jener Bombardierung, die die Barockstadt an der Elbe in Schutt gelegt hatte. Dann wieder Berlin und Umland, ein Jura- und Politologie-Studium in der Nachkriegszeit, Jahre als Redakteur beim öffentlich-rechtlichen Radio, beim WDR in Köln: Baring war immer einer, der die Leute erreichen wollte mit politischen Inhalten.
Als juristisch gebildeter Politikwissenschaftler setzte er sich mit dem 17. Juni 1953 auseinander – wissenschaftlich immer so nah wie möglich am Puls der Zeit und doch auf Distanz. Die West-Berliner 68er-Eruptionen berührten ihn auf ungute Weise: Er konnte nichts anfangen mit der Fundamentalattacke auf alles, was damals lehrte am politikwissenschaftlichen Otto-Suhr-Institut, ging auf Abstand und wechselte zu den Historikern an der Freien Universität.
Dann schrieb er über „die Entstehung der Kanzlerdemokratie“ – über Konrad Adenauer. Kaum ein bisschen bekannt im politischen Journalismus und in dem, was man damals Geistesleben nennen konnte, streifte ihn, wie ein gewisser Helmut Kohl vielleicht gesagt hätte, der Mantel der Geschichte: Arnulf Baring, dieser Mann mit der hellen Stimme, den blauen Augen, der Fähigkeit, Menschen auf eine charmante Art direkt anzugehen und in ein Gespräch hinein zu zwingen, wurde gewissermaßen rekrutiert, die Geschichte der ersten nicht CDU-geführten Regierung der Bundesrepublik zu schreiben: „Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel“.
Ein wunderbares Buch – jedenfalls für Menschen, die noch Bücher lesen. Der Puls der Politik, der Sinn für Entscheidungen über den Tag hinaus, das Interesse am Hintergrund, am Kolorit der Zeit, an den Leuten von Bedeutung, an dem, was man mal Zeitgeist nannte: alles drin in diesem Werk von 800 Seiten, das Baring zu einer Zeit zur Berühmtheit über die Grenzen seines Berufsstandes hinaus gemacht hat. Und diese leichte Schreibe, dieser Sinn für Persönlichkeitsmerkmale und Empfindlichkeiten politischer Großprominenz: eindrucksvoll.
Streiten konnte Baring immer – und mit Leichtigkeit
Trotz des Machtwechsel-Erfolges sogar auf dem Buchmarkt dauerte es viele Jahre, bis Baring zur polit-journalistischen Instanz wurde. Das waren die besten Jahre, um bei ihm, diesem zugewandten Professor, zu studieren: ein Bestsellerautor mit journalistischen Kontakten – und nicht mehr als 10 oder 15 Menschen im Hauptseminar: das war gehirnerfüllend.
Dann kamen der Durchbruch in die Talkshows und die Bildkolumnen und jene Art von Streitbarkeit, die ihn, der mal in der SPD gewesen war, für viele zum unerträglichen Neu-Konservativen machten. Streiten konnte Baring immer – und immer mit dem Florett und einer Leichtigkeit und Eleganz, die nicht vielen eigen ist im Meinungskampf. Ein Geist des 20. Jahrhunderts, sprich einer, dem Bildung, auch Herzensbildung über alles ging – und der dieser Gegenwart mit ihrer Neigung zur Aufgeregtheit noch einiges hätte entgegensetzen können.
Werner van Bebber