HIV-Infektion: Aids-Virus infiziert auch Knochenzellen
HIV kann in Skelettzellen überdauern und so den Medikamenten ausweichen. Die Beobachtung schmälert die Hoffnung auf eine Therapie, die HIV komplett aus dem Körper vertreiben könnte.
Medikamente verhindern heutzutage, dass eine Infektion mit dem HI-Virus zum Immunschwächesyndrom Aids oder gar zum Tode führt. Völlig gesund sind die Patienten damit dennoch nicht. So haben sie eine reduzierte Knochendichte und ein (je nach Studie) etwa vier- bis sechsfach erhöhtes Risiko für Knochenschwund und -brüche. Bislang hielten Ärzte das nur für eine (bekannte) Nebenwirkung des Medikamentencocktails, den die Patienten ständig einnehmen müssen. Nun haben französische Forscher aber entdeckt, dass HIV offenbar nicht nur Blut- sondern auch spezielle Knochenzellen – Osteoklasten – befällt und so zum Knochenschwund beiträgt. Die Beobachtung, veröffentlicht im Fachblatt "PNAS", schmälert die Hoffnung, dass es irgendwann eine Therapie geben könnte, mit der sich HIV komplett aus dem Körper vertreiben ließe.
Zellen als Knochenbrecher
Osteoklasten entwickeln sich aus den blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks. Wie Immunzellen auch – das bevorzugte Ziel von HIV – haben sie auf ihrer Zelloberfläche den CD4-Rezeptor, das Einfallstor für die Viren. Die Aufgabe der vergleichsweise großen Osteoklasten ist es, störendes oder renovierungsbedürftiges Knochengewebe abzubauen (etwa nach einem Knochenbruch), das dann von knochenaufbauenden Zellen (Osteoblasten) sogleich neu gebildet wird.
In Laborexperimenten entdeckte das Forscherteam um Christel Verollet vom Institute für Pharmakologie und Strukturbiologie in Toulouse, dass HIV in der Lage ist, diese Osteoklasten zu infizieren – und zwar sowohl in Tests mit Mäusen, die mit menschlichem Knochenmark und somit auch menschlichen Osteoklasten ausgestattet waren, als auch in Gelenkbiopsien von Patienten. Offenbar erfolgt die Infektion entweder während der Entwicklung der Osteoklasten aus Knochenmarkstammzellen oder durch infizierte Immunzellen, die mit den Osteoklasten in direkten Kontakt kommen. Die Viren vermehren sich in den Knochenzellen, ohne ihnen dabei erkennbar zu schaden – im Gegenteil: Durch die Infektion wird die Wanderbewegung und die knochenauflösende Wirkung der Zellen sogar beschleunigt oder verstärkt. Das wird offenbar dadurch ausgelöst, dass ein Virusprotein (Nef) mit einem Enzym (Src) der Knochenzellen wechselwirkt und es so aktiviert, dass mehr Knochengewebe abgebaut wird als nachgebaut werden kann.
Schutzraum für Aids-Viren
Um den Zusammenhang zwischen dem Virusprotein Nef und dem Knochenabbau nachzuweisen, stattete Verollets Team Mäuse versuchsweise mit der Geninformation für das Nef-Protein aus. Tatsächlich hatten diese Mäuse nicht nur eine erhöhte Dichte von Osteoklasten, sondern auch mehr Knochenschwund und -brüche als die unbehandelten Tiere.
Für HIV-Infizierte ist es eine schlechte Nachricht, dass die Viren auch Osteoklasten befallen. Im Vergleich zu Blutzellen gelten sie als langlebig und sind versteckt im dichten Knochengewebe für Medikamente viel schwieriger zu erreichen. Zwar vermehrt sich HIV in Osteoklasten nicht besser als in Blutzellen. Doch ist der Knochen für den Erreger offenbar der ideale Ort, um sich zu verstecken und aggressive antivirale Therapieversuche zu überstehen – um dann den Körper erneut zu attackieren.
Sascha Karberg