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Wirtschaft: Zeit zu gehen

Immer mehr Unternehmen bieten flexible Arbeitszeiten an, sogar für Führungskräfte. Der Teilzeitmanager ist auf dem Vormarsch – wenn auch langsam.

Das gab es bei uns noch nie! Diese Blockadehaltung können sich Unternehmen nicht länger leisten. Denn der demografische Wandel sorgt in Deutschland dafür, dass immer mehr Menschen in Rente gehen, während es an Nachwuchs mangelt. Das macht Personalmanager kreativ: So setzt die deutsche Wirtschaft zwar schon länger auf flexible Arbeitszeitmodelle, neuerdings wird die Einsatzdauer völlig individuell an die unterschiedlichen Lebensphasen angepasst, in denen sich Mitarbeiter und Manager gerade befinden: Ob ungebundener Berufseinsteiger, Eltern zwischen Babybrei und Büro, Wiedereinsteigerin nach der Familienpause oder erfahrener Bereichsleiter, der sich intensiver seinem Hobby widmen will – jeder legt nach seinen Bedürfnissen selbst fest, wann es Zeit ist, nach Hause zu gehen.

Solch progressive Lösungen brauchen die Lust der Chefs am Experiment. Die scheint allerdings nicht allzu groß in Deutschland. Bisher gibt es nur recht wenige Führungskräfte, die freiwillig – befristet oder auf Dauer – im Job kürzer treten und so als Vorbild dienen. Die Forscher Lena Hipp und Stefan Stuth vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) haben 19 Länder untersucht: Die Niederlande liegen mit zwölf Prozent Teilzeit-Führungskräften an der Spitze, Deutschland liegt mit rund fünf Prozent im Mittelfeld.

Bei Chemiemulti BASF in Ludwigshafen gehört Ivana Fegert zu den Pionieren. Sie wandelt 15 Prozent ihrer Vollzeitstelle flexibel in freie Tage um. Die Mutter von zwei Söhnen schlägt so dem Schulsystem ein Schnippchen: Zwölf Wochen Ferien plus bewegliche Feiertage und Zeugniskonferenzen bringen berufstätige Eltern in Betreuungsnot. Mit 30 zusätzlichen freien Tagen im Jahr kann die promovierte Apothekerin nun Familie und Job besser vereinen.

Im oberen BASF-Management verantwortet Fegert mit 14 Mitarbeitern in Deutschland und Kollegen im Ausland die toxikologische Bewertung von Chemikalien für den Pflanzenschutz. „Erst habe ich an vier Tagen pro Woche gearbeitet“, erzählt die 48-Jährige, „aber das hat sich nicht bewährt, weil Dienstreisen und Konferenzen nicht allein von meinem Terminkalender abhängen.“ Sie fährt fort: „Man muss ausloten, wie die Bedürfnisse in einer bestimmten Lebensphase sind“ – und dann das Gespräch suchen. Die Reaktion war erfreulich. „Mein Vorgesetzter und die Firma unterstützen auch ungewöhnliche Modelle.“ So arbeiten in Fegerts Team weitere Kollegen Teilzeit – mit 60 Prozent an drei Tagen und mit zwei freien Nachmittagen pro Woche.

Achim Düsselberg, der bei Bosch in Stuttgart Schlaghämmer entwickelt, nahm 2011 die Signale seines Körpers ernst und macht inzwischen mittwochs frei. „Wenn du so weiter rennst, wirst du nicht alt“, warnte ihn ein Arzt. Aber alt werden möchte der 45-Jährige, der ein achtköpfiges Team leitet. Denn gerade erst hat der Ingenieur für seine Familie ein Haus gebaut. Und wie seine fünfjährige Tochter groß wird, will er aktiv miterleben.

„Einige Monate lang haben mein Chef und ich mit der Personalabteilung Modelle gewälzt, dann haben wir das jetzige ausprobiert, und es bewährte sich schnell“, sagt Düsselberg. Inzwischen gilt die 32-Stunden-Woche unbefristet. „Das bedeutet für mein Team größere Selbstständigkeit“, sagt der Gruppenleiter. „Ich setze heute mehr Prioritäten, und meine Arbeitsstruktur ist straffer geworden.“ Für Plauschrunden hat der Teilzeitchef jetzt weniger Zeit. In Sitzungen kommt er auf den Punkt – und bringt andere hin.

Nicht immer sind es die Manager, die von sich aus ihre Arbeitszeit thematisieren. Manchmal geht die Initiative auch vom Unternehmen aus. So haben die Gothaer Versicherungen in Köln das Senior Expert Modell entwickelt: Führungskräfte ab 55 Jahre können bis zum Ruhestand ihr Jobprofil ändern. Zum Beispiel im Vertrieb wichtige Kunden betreuen, anstatt eine 40-Leute-Abteilung zu leiten. So bleiben die erfahrenen Know-how-Träger länger an Bord, auch wenn sie nicht mehr selbst am Steuer stehen. Damit trifft die Versicherung die Wünsche älterer Leitender, was eine neue Befragung des deutschen Führungskräfteverbands ULA in Berlin belegt: 52 Prozent halten eine Reduzierung der Arbeitszeit für geeignet, um bis zur steigenden Regelaltersgrenze zu arbeiten. 31 Prozent können sich vorstellen, so auch nach ihrem 65. oder 67. Geburtstag zu arbeiten.

Theoretisch können Führungskräfte alle Modelle wählen, die Arbeitgeber Tarifmitarbeitern offerieren: Eltern- und Pflegezeiten mit Rückkehroptionen, Konzepte zum altersgerechten Arbeiten, Sabbaticals oder flexible Arbeitszeiten samt Heimarbeit – es ist bei Managern aber weniger Massengeschäft als eine Frage der konkreten Situation. Häufig sind es familiäre Gründe, wenn Führungskräfte sich wünschen, kürzer zu treten. Aber es gibt auch andere Gründe: Jürgen Schmidt leitet bei der Deutschen Bahn die kaufmännischen Angelegenheiten im Service Center Personal. Er macht einen Tag pro Woche frei. Seit sechs Jahren leitet der engagierte Christ so sein achtköpfiges Team, das bundesweit an verschiedenen Standorten arbeitet.

Damals war er gefragt worden, ob er als Präses fungieren wolle. Schmidt sah eine Kollision von religiösem Ehrenamt und Bahn-Job – und einigte sich mit seinem Chef auf eine Arbeitszeit von 80 Prozent. Gerade wurde der 60-Jährige zum dritten Mal zum Präses gewählt und schätzt seinen persönlichen Bonus, den freien Wochentag flexibel legen zu dürfen. „Das Ergebnis zählt“, so seine Erfahrung. Und: „Mit dem Telefon in der Tasche bin ich immer erreichbar.“ Diese Option nutzen seine Mitarbeiter selten. Aber sie wissen, dass „es besser ist, mich kurz anzurufen, als drei Stunden nach einer Lösung zu suchen“.

Wie diese Beispiele zeigen, muss das Märchen von der unumgänglichen Anwesenheit der Chefs umgeschrieben werden. Der Einsatz von Kommunikationsmitteln und ein sich wandelndes Führungsverständnis hin zu mehr Eigenverantwortung der Mitarbeiter tragen dazu bei, dass reduzierte Arbeitszeiten nicht so sehr ins Gewicht fallen. Entscheidender für den Erfolg flexiblen Arbeitens ist der Wechsel der Haltung: Das gab es noch nie – das müssen wir unbedingt ausprobieren! (HB)

Ruth Lemmer

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