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"Extrovertiert" soll das neue Hauptquartier am Ostbahnhof wirken - das passe gut zu einem Berliner Start-up wie Zalando, meinen die Architekten.
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Gewinner und Verlierer im Handel: Zalando baut auf, Wöhrl baut ab

Internet schlägt Filiale: Während Zalando ein neues Hauptquartier in Berlin baut, kämpft die Modekette Wöhrl gegen die Insolvenz.

David Schneider erinnert sich noch gut an sein erstes Büro, das eigentlich eine WG an der Torstraße war. Die Nachbarn wollten ihn loswerden, weil die Einfahrt ständig von einem DHL-Bus blockiert wurde, der die Pakete abholte. Aus dem WG-Büro ist heute mit Schneider an der Spitze eines der größten Unternehmen Berlins geworden: Der Online-Modehändler Zalando, der im zweiten Quartal einen Gewinn von knapp 51 Millionen Euro machte und 11.000 Mitarbeiter in Europa beschäftigt, davon 5.000 in Berlin. Sie werden künftig Platz finden auf dem neuen Campus, den das Unternehmen zwischen Mercedes-Benz-Arena und Ostbahnhof baut. Im Herbst 2018 soll das Gebäude eröffnet werden, am Dienstag war Spatenstich.

Bangen bei Wöhrl

Während Zalando-Vorstand Schneider symbolisch die erste Schaufel Sand zusammen mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD), Bausenator Andreas Geisel (SPD) und Architekt Gunter Henn aushebt, bangen wenige Kilometer entfernt die Mitarbeiter des Modeunternehmens Wöhrl um ihre Zukunft. In dem großen Modehaus in den Potsdamer-Platz-Arkaden verlieren sich die wenigen Kundinnen, die zur Mittagszeit nach Schnäppchen suchen. „Wir haben schon länger gemerkt, dass es nicht gut läuft“, sagt eine Verkäuferin. Doch wie dramatisch die Lage ist, hat die Mitarbeiter dann doch geschockt. Die über 80 Jahre alte Traditionskette steht vor der Insolvenz und sucht nach einem Sanierungsplan und einem Investor. Drei Monate hat das Unternehmen dafür Zeit, so lange wirkt der Schutzschirm, den die Hauptversammlung in der Nacht zu Dienstag beschlossen hat. Während dieser Zeit haben die Gläubiger keinen Zugriff auf das Unternehmen, ohne dass Wöhrl bereits Insolvenz anmelden muss.

Steht vor der Insolvenz: Das Bekleidungsgeschäft Wöhrl hat 34 Geschäfte, darunter eines in Berlin.
Steht vor der Insolvenz: Das Bekleidungsgeschäft Wöhrl hat 34 Geschäfte, darunter eines in Berlin.
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Über 2000 Mitarbeiter hat Wöhrl und mehr als 34 Häuser, darunter eines in Berlin. Doch die goldenen 80er und 90er Jahre, als die Söhne des Firmengründers Rudolf Wöhrl, Gerhard und Hans Rudolf, die Kette groß gemacht haben, liegen lange zurück. 2002 schied der schillernde Hans Rudolf, der mit der CSU-Politikerin und Ex-Miss Germany, Dagmar Wöhrl, verheiratet ist, aus dem operativen Geschäft aus und widmete sich seiner zweiten Leidenschaft, der Fliegerei. Wöhrl übernahm die Deutsche BA und versuchte sich als Flugunternehmer.

Jetzt will auch Wöhrl einen Onlineshop

Für den familiären Modehandel wurden die Zeiten schwerer. Vor allem der Onlinehandel setzt Wöhrl zu. Jetzt reagiert das Unternehmen, wenn auch spät. Ein Online-Shop soll eröffnet werden, defizitäre Standorte werden geschlossen. Ob auch Berlin betroffen ist, ist noch unklar. Richten soll es der bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Andreas E. Mach, der den Enkel des Familiengründers, Olivier Wöhrl, von der Spitze verdrängt.
Der Aufstieg von Zalando und der Abstieg von Wöhrl sind symptomatisch: Die Shops und Plattformen im Netz boomen, während sich die Innenstädte leeren. „Rund 50 000 Geschäften droht bis 2020 das Aus, und das wird eher die Untergrenze sein“, warnte der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Boris Hedde vom Kölner Institut für Handelsforschung schätzt, dass der stationäre Handel in den nächsten vier Jahren 20 bis 40 Milliarden Euro Umsatz verlieren wird, der Onlinehandel wird davon profitieren.

Das neue Zalando-Hauptquartier: voller Einblick

Das neue Zalando-Hauptquartier zeigt, wie sehr das Modeunternehmen künftig die Stadt prägen will: Der klassische „Berliner Block“ wurde von Architekt Henn neu interpretiert, das Atrium zur Straße hin geöffnet. Jeder Mitarbeiter könne von seinem Arbeitsplatz nach draußen blicken – und jeder Kunde und jeder Besucher habe Einblick ins Unternehmen. „Diese Extrovertiertheit passt perfekt zu einem jungen, dynamischen Berliner Start-up wie Zalando“, erklärt Henn.

Steht vor dem Ausbau: Zalando bekommt ein neues Headquarter in Berlin. Beim Spatenstich helfen unter anderem Zalando-Vorstand David Schneider (3.v.l.) und Berlins Regierender Michael Müller (4. v. l.).
Steht vor dem Ausbau: Zalando bekommt ein neues Headquarter in Berlin. Beim Spatenstich helfen unter anderem Zalando-Vorstand David Schneider (3.v.l.) und Berlins Regierender Michael Müller (4. v. l.).
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Innerhalb des Gebäudes gibt es eine große Freitreppe, auf der auch Modeschauen stattfinden können, auf den Büroebenen wurden Begegnungszonen geschaffen. „Hierarchie wird heute durch Kommunikation abgeschafft“, ist Henn überzeugt, anders würden Unternehmen auch nicht vorankommen, „denn 80 Prozent der Innovationen entstehen im persönlichen Gespräch.“

Selbstverständlich dürfen Tischtennisplatten nicht fehlen im neuen Zalando-Hauptquartier. Auf der Treppe sollen auch Modeschauen stattfinden.
Selbstverständlich dürfen Tischtennisplatten nicht fehlen im neuen Zalando-Hauptquartier. Auf der Treppe sollen auch Modeschauen stattfinden.
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Fitnessstudio auf dem Dach

Das neue Hauptquartier besteht aus zwei Gebäuden mit insgesamt 45.600 Quadratmetern Geschossfläche, auch eine Kita sowie ein Fitnessstudio auf dem Dach sieht der Entwurf vor. „Das soll natürlich auch eine Verführung dafür sein, möglichst viel Zeit am Arbeitsplatz zu verbringen“, sagt Henn. 2700 Mitarbeiter werden in dem neuen Hauptquartier Platz finden, 5000 auf dem Campus insgesamt, zu dem dann auch die bereits bestehenden Büros am Ostbahnhof gehören – damit entsteht innerhalb Berlins quasi eine kleine Zalando-Stadt.

Müller freut sich

"Zalando ist durch und durch Berlin, vielleicht wird Berlin aber auch ein Stückchen mehr Zalando durch das, was hier entsteht“, sagte Vorstand Schneider am Dienstag. Das dürfte auch im Sinne von Berlins Regierenden Bürgermeister Müller sein. „Wir befinden uns in einer ganz neuen Wirtschaftsphase, die angetrieben wird von jungen Firmen wie Zalando“, meint er. Jedes Jahr wachse die Hauptstadt um 40.000 Menschen, viele junge Arbeitskräfte würden insbesondere durch die zahlreichen Start-ups angezogen. Zalando habe „eine atemberaubende Entwicklung“ erlebt und gehöre zu den 20 größten Arbeitgebern Berlins. Damit das neue Stadtquartier künftig noch besser zu erreichen ist, kündigte Bausenator Geisel eine neue Brücke über die Spree an, die exklusiv Fußgängern und Radfahrern zur Verfügung stehen soll.

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