Thyssen-Krupp vor Richtungsentscheidung: Wohin mit dem Stahl?
Im März entscheidet Thyssen-Krupp, was mit dem traditionsreichen Geschäft passiert. Ausgliederung ist wahrscheinlicher als der Verkauf.
Im größten Stahlwerk Europas tickt die Uhr. Rund 14 000 Beschäftigte warten in Duisburg auf die Entscheidung des Vorstands von Thyssen-Krupp, wie es mit dem Stahl weitergeht. Für März hat Konzernchefin Martina Merz einen entsprechenden Beschluss angekündigt. Drei Optionen gibt es: Der Stahl bleibt im Konzern, der Stahl wird in eine selbstständige Einheit ausgegliedert (Spin-Off), oder der Stahl landet bei der britischen Liberty Steel. Allerdings sind die Zweifel an Liberty-Chef Sanjeev Gupta zuletzt größer geworden. „Liberty Steel hat uns in der vergangenen Woche ein Angebot übermittelt, das wir gegenwärtig sehr sorgfältig prüfen“, erläutert Merz an diesem Freitag den Aktionären auf der digitalen Hauptversammlung. Ihre Rede wurde vorab veröffentlicht. Im Angebot der Briten „gibt es zu einer Reihe komplexer Themen noch Klärungsbedarf“.
Wenig Vertrauen in Liberty Steel
Merz und ihre Kollegen in der Essener Konzernzentrale trauen Gupta nicht. „Er verspricht zu viel“, heißt es bei Thyssen- Krupp. Und er habe keine überzeugende Vorstellung, wie der Stahlbereich in die CO2-freie Zukunft geführt werden könne. Ein Finanzkonzept dafür sei nicht erkennbar. Kurzum: Die Stahlsparte wird wohl ausgegliedert, bliebe dem Konzern aber verbunden, indem die Aktionäre – darunter die Krupp-Stiftung – weiter am Stahl beteiligt sind.
Von „gewaltigen Herausforderungen“ sei das Stahlgeschäft geprägt, vor allem wegen der Überkapazitäten in Europa, sagt Martina Merz. „Trotzdem: Stahl hat Zukunft“ als Hightech-Werkstoff mit steigender Bedeutung. „Deshalb bleibt ein vorrangiges Ziel, den Stahl zukunftsfähig zu machen.“ Das klingt nicht nach Verkauf. Überhaupt arbeite man „mit Hochdruck an einer zukunftsfähigen Aufstellung des Stahls aus eigener Kraft“. Also Fortführung unter dem Konzerndach oder eben „Spin-Off“. Bei jeder Variante müssten „viele Voraussetzungen erfüllt sein und die prüfen wir gerade sehr sorgfältig“. Entscheidend sei für sie die Zukunftsfähigkeit, sagt Merz.
Klimaneutralität kostet Milliarden
Das bedeutet vor allem die extrem teure Umstellung auf eine CO2-freie Produktion auf der Basis von Wasserstoff. Wenn allein die derzeitige Stahlerzeugung von Thyssen-Krupp klimaneutral wäre, würden die deutschen CO2-Emissionen um 2,5 Prozent geringer ausfallen. Doch das kostete Milliarden. An diesem Punkt kommt der Staat ins Spiel, konkret die nordrhein-westfälische Landesregierung und das Bundeswirtschaftsministerium. NRW-MinisterpräsidentArmin Laschet hat den Stahl für systemrelevant erklärt und will dem Ruhrkonzern helfen. Das gilt auch für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der gerne Industriepolitik macht. Diskutiert wird über ein Investitionsförderung, mit der Thyssen- Krupp-Stahl den Weg in die Wasserstoffzukunft einschlagen kann. Brüssel würde wohl mitspielen, heißt es in Essen. „Einem fokussierten Stahlunternehmen kann man bei der Transformation leichter helfen als einem Mischkonzern“, sagt ein Branchenexperte. Aber auch: „Laschet muss mutiger werden.“
27 000 arbeiten im Stahlbereich
Von den rund 100 000 Mitarbeitern des Konzerns sind gut 27 000 im Stahl beschäftigt, fast alle in NRW. Deren Arbeitsplätze hat der Landesvater und mutmaßliche Kanzlerkandidat der Union im Blick. Was den Konzern stark belastet sind die Pensionsverpflichtungen von rund neun Milliarden Euro. Ein Beispiel für die vielen haarsträubenden Managementfehler im einst stolzen Ruhrkonzern: Töchterfirmen oder ganze Geschäftsbereiche wurden verkauft, aber die Pensionsverpflichtungen behalten.
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„Wir sind mitten im größten Restrukturierungsprogramm seit dem Bestehen von Thyssen-Krupp“, sagt Vorstandschefin Merz. Ende der 1990er Jahren waren Krupp und Thyssen fusioniert. Nachdem die Vorgänger von Merz viele Milliarden in Stahlwerken in Brasilien und in den USA verbrannt hatten, musste sie im vergangenen Jahr mit den Aufzügen und Fahrtreppen den profitabelsten Bereich verkaufen. Der Erlös von gut 17 Milliarden Euro rettete den Konzern und hilft durch die Pandemie. Im vergangenen Jahr gab es einen operativen Verlust von 1,6 Milliarden Euro. Doch Merz scheint auf dem richtigen Weg zu sein, jedenfalls nach Einschätzung der Anleger. Die Aktienkurse haben sich in den vergangenen drei Monaten mehr als verdoppelt.