Wer kontrolliert die Kontrolleure?: Wirtschaftsprüfer werden selbst nur lasch geprüft
Die Arbeit von KPMG, Deloitte und Co. wird nur alle zehn Jahre unter die Lupe genommen. Viele Betrügereien bleiben unentdeckt.
Wirtschaftsprüfer sind so etwas wie der TÜV der Marktwirtschaft. Sie überwachen die Buchhaltung der größten Konzerne ebenso wie systemrelevanter Banken und Mittelständler. Mit ihren Testaten liefern sie Banken, Geldanlegern und Lieferanten Hinweise darüber, ob die geprüften Unternehmen wahrheitsgemäß über ihre Geschäfte informiert haben. Doch wer kontrolliert eigentlich die Wirtschaftsprüfer?
Die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ist für die Qualitätskontrolle bei den Prüfungen von Banken, Versicherungen und börsennotierten Unternehmen verantwortlich. 2018 schloss die APAS 25 Inspektionen ab und inspizierte 78 Abschlussprüfungen. Bei 52 Prozent wurden Mängel festgestellt. Allein die vier großen Wirtschaftsprüfer schauten sich in jenem Jahr 735 Bilanzen an.
Bei den wenigen Inspektionen wird jede Abschlussprüfung im Durchschnitt nur alle zehn Jahre überprüft. Bei KPMG und PricewaterhouseCoopers, die jährlich mehr als 200 Bilanzen von Einrichtungen des öffentlichen Interesses prüfen, ist die Aufsicht noch weitaus lückenhafter. Eine Sprecherin der Aufsichtsstelle sagt, die „rechtlichen Vorgaben zum Inspektionsumfang werden vollumfänglich erfüllt. Es besteht keine Aufsichtslücke“.
Cum-Ex Geschäfte wurden durchgewunken
Allerdings schneiden die Wirtschaftsprüfer regelmäßig schlecht ab. Wie beim größten Anlageskandal: Die Investmentgesellschaft P&R hatte jahrelang Schiffscontainer an mehr als 50.000 Anleger verkauft, die es in Wahrheit oft gar nicht gab. Über Jahre wurden die Bücher von P&R von Wirtschaftsprüfern als korrekt testiert. Auch die Bücher der Banken, die Cum-Ex-Geschäfte betrieben, wurden geprüft und für richtig befunden.
Die Jahresabschlüsse der HSH Nordbank wurden von KPMG und die Abschlüsse der DZ Bank von EY geprüft, wie Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ belegen. Alle Banken, die 2008 bankrott gingen, bekamen bis kurz vor ihrem Zusammenbruch saubere Prüfberichte ausgestellt, wie der Autor Richard Brooks aufzeigt. Selbst Instituten, in deren Bilanzen dubiose Deals zur Verschleierung von Schulden gefunden wurden, wie bei Lehman Brothers und dem Rückversicherer AIG, wurde eine saubere Bilanz attestiert.
Wenig Transparenz bei der Kontrolle
Trotz der hohen Anzahl an Mängeln veröffentlicht die APAS keine Informationen darüber, bei welchen Wirtschaftsprüfern Mängel festgestellt wurden. Anders als in Großbritannien. Dort war zuletzt ein Viertel der überprüften Abschlussprüfungen der 350 größten börsennotierten Firmen mangelhaft.
Die britische Aufsichtsbehörde veröffentlicht Kontrollberichte und sogar extra Erhebungen für die größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften – KPMG, PricewaterhouseCoopers, EY und Deloitte. Diese Big Four dominieren den Markt. Laut britischer Aufsicht weisen 35 Prozent aller Abschlussprüfungen von PricewaterhouseCoopers und 25 Prozent aller Prüfungen von KPMG Mängel auf.
Grant Thornton und PriceWaterhouseCoopers wurden für besonders schlechte Leistungen gerügt. Ebenso veröffentlicht die britische Aufsichtsbehörde Details zu Sanktionen, die wegen schlechter Prüfungen ausgesprochen wurden. Die Sprecherin der deutschen APAS sagt dazu, ein Vergleich sei nicht angebracht. Der Kapitalmarkt in Großbritannien sei deutlich größer, sodass es mehr Abschlussprüfungen geben müsse.
EU-Richtlinie erlaubt Veröffentlichung von Sanktionen
APAS veröffentlicht lediglich die Anzahl an ausgesprochenen Rügen und Geldstrafen gegen eine Einzelperson oder eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Diese Informationen sind für Investoren und Geschäftspartner der betroffenen Unternehmen unbrauchbar. Eigentlich erlaubt eine EU-Richtlinie von 2014 die Veröffentlichung von Sanktionen „einschließlich von Angaben zur Art des Verstoßes und zur Identität der natürlichen oder juristischen Person, gegen die die Sanktion verhängt wurde“.
Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, wünscht sich, „dass die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer bei den großen Gesellschaften knackiger durchgreift und für die Öffentlichkeit ihre Arbeit transparenter macht. Mir ist die APAS zu kuschelig“.
Der Prüfstelle fehlen die Mitarbeiter
Vorrangiges Ziel der EU-Richtlinie zur Verbesserung der Aufsicht über Wirtschaftsprüfer war es, eine vom Berufsstand unabhängige Aufsichtsbehörde zu schaffen. In Deutschland waren zwei der drei aktuellen Leitungspersonen der Aufsichtsstelle bei KPMG angestellt. 24 von 33 Mitarbeitern, die Inspektionen vornehmen, arbeiteten für eine der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Michael Gschrei vom Verband für mittelständische Wirtschaftsprüfung kritisiert: „Die Big-Four-Gesellschaften lassen die Ordnungsmäßigkeit ihrer Arbeit durch ihre ehemaligen Mitarbeiter selbst überwachen.“
Die Sprecherin der APAS sagt dazu: „Zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des Prüfpersonals dürfen Inspektoren ihren früheren Arbeitgeber nach geltendem europäischen Recht mindestens drei Jahre lang nicht inspizieren. Darüber hinaus ist es regelmäßige Praxis der APAS, Inspektoren nicht für Inspektionen bei einem bisherigen Arbeitgeber einzusetzen.“ Die APAS leidet seit Jahren unter Personalmangel, einige Planstellen sind nicht besetzt. Wenn Personallücken nicht geschlossen werden können, liegt das auch an den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die sich einen Großteil der gut ausgebildeten Fachkräfte sichern.
Nico Beckert