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Torsten Oletzky führt seit 2008 den Versicherer Ergo.
© Reuters

Ergo-Chef Torsten Oletzky: "Wir würden auch Schulen bauen"

Ergo-Chef Oletzky warnt: Lebensversicherungen bringen immer weniger Rendite. Deshalb sucht er nach neuen Anlagemöglichkeiten. Ein Gespräch über die Imageprobleme der Branche und die Frage, ob Kunden, die gesund leben, mit Rabatten belohnt werden sollen.

Herr Oletzky, Sie haben Ihre Doktorarbeit über das Thema „wertortientierte Steuerung von Versicherungsunternehmen“ geschrieben. Seit 2008 sind Sie Chef der Ergo-Gruppe. Nach welchen Werten führen Sie das Unternehmen?

Bei meiner Doktorarbeit geht es um die Frage von Unternehmenswerten und die Beteiligung der Aktionäre am wirtschaftlichen Erfolg, also um die ökonomische Steuerung. Bei der Führung des Konzerns geht es aber um viel mehr. Als wir 2009, 2010 die alten Marken Hamburg-Mannheimer und Victoria durch die neue Marke Ergo ersetzt haben, haben wir uns entschieden, bei der Ergo das Thema Kundenfreundlichkeit und -nähe ganz nach vorne zu stellen. Und wir haben mit allen Führungskräften und Mitarbeitern erarbeitet, wie wir Kundenorientierung verstehen wollen.

Und wie verstehen Sie das?

Versicherungen haben ein Image-Problem. Viele Kunden verstehen nicht, was sie unterschreiben, und glauben, dass die Versicherer sich extra kompliziert ausdrücken, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Hier wollten und wollen wir ansetzen. Das sehen Sie an unserem Slogan „Versichern heißt verstehen“. Wir möchten, dass jeder Kunde versteht, was er von uns bekommt. Bei uns steht das Interesse der Kunde an erster Stelle, nicht das der Aktionäre oder des Vertriebs. 

Manchmal ist es für die Kunden aber schmerzhaft, wenn sie verstehen, was vor sich geht. Etwa, wenn man sieht, dass die Lebensversicherung, die man vor Jahren abgeschlossen hat, immer weniger Zinsen bringt. Sinken die Überschüsse 2015 noch weiter?

Die Versicherungswirtschaft leidet unter dem allgemeinen Zinsumfeld. Zehnjährige Bundesanleihen bringen aktuell nur noch knapp 0,7 Prozent Rendite. Wenn das so bleibt ist doch klar, dass die Überschussbeteiligungen in der Branche weiter zurückgehen werden. Auch Ergo wird sich diesem Markttrend nicht entziehen können.

Die Kunden hören das nicht gerne.

Wir haben früher eine hohe Erwartungshaltung geweckt, die wir heute nicht erfüllen können. Wir haben den Eindruck suggeriert, dass am Ende auf den garantierten Zins immer noch ein dickes Extra drauf kommt. Als ich 2000 bei  Ergo angefangen habe, hatten wir eine Überschussbeteiligung von 7,3 Prozent. Ich habe damals eine Lebensversicherung über 30 Jahre abgeschlossen. Der Wert, der mir damals hochgerechnet worden ist, war doppelt so hoch wie das, was heute auf dem Papier steht.

Im Nachhinein ein schlechtes Geschäft.

Nein. Auch mit der heute deutlich niedrigeren Überschussbeteiligung verbleibt eine positive Rendite. Die Lebensversicherung braucht in den letzten zehn bis 15 Jahren den Vergleich mit anderen Anlagen nicht zu scheuen. Durch Lebensversicherungen hat niemand Geld verloren, bei Aktien hat mancher bei ungünstigem Timing durchaus Geld in den Sand gesetzt. 

Im Moment können sich Aktionäre aber freuen.

Ja, aber es sind immer weniger Privatanleger an der Börse engagiert. Viele haben sich nach dem Crash zur Jahrtausendwende von ihren Aktien getrennt. Wer mit Aktien seine Altersvorsorge aufbauen wollte und in der Krise verkauft hat, ist hart getroffen worden. Auch die Versicherer haben in dieser Zeit fast ausschließlich die hohen Renditen in den Vordergrund gestellt, nachdem zuvor vor allem über den Steuervorteil verkauft wurde. Heute argumentieren wir mit der Sicherheit, der Garantie und der zusätzlichen Chance.

Aber Ihr neues Produkt, die Ergo Rente Garantie, gibt den Kunden den Garantiezins doch gar nicht mehr.

Aber es gibt trotzdem eine Garantie! Wir garantieren, dass Kunden am Ende der Laufzeit mindestens ihre eingezahlten Bruttobeiträge wieder herausbekommen.

Wie mickrig ist das denn!

Unterschätzen Sie das nicht. Bruttobeitragsgarantie heißt, dass hiervon bei der Ergo Rente Garantie keinerlei Kosten mehr abgehen. Wenn Sie mit Abschlusskosten von 5 bis 6 Prozent und jährlichen Verwaltungskosten von etwa 3 Prozent rechnen, ist dieser Vorteil erheblich. Bei einem herkömmlichen Produkt mit einem Garantiezins von 1,25 Prozent, wie er ab 2015 gelten wird, bräuchten Sie über 20 Jahre, um auf diese Bruttobeitragsgarantie zu kommen. Das Sicherheitsnetz unserer Bruttobeitragsgarantie ist deshalb durchaus etwas wert. Aber natürlich wollen wir darüber hinaus Erträge erzielen. Deshalb haben wir das Produkt so entwickelt, dass wir freier in der Kapitalanlage sind und höhere Renditen erwirtschaften können.

Sie haben den Garantiezins angesprochen, der zum 1. Januar nächsten Jahres von 1,75 auf 1,25 Prozent sinken wird. Gibt es noch eine Jahresendrallye, um den höheren Zins zu sichern?

Es gibt immer zum Jahresende hin mehr Abschlüsse. Selbstständige schließen noch Rürup-Versicherungen, um Steuern zu sparen, die Vertriebe legen einen Schlussspurt ein. Vielleicht fällt der Schlussspurt in diesem Jahr ein bisschen stärker aus. Aber der Unterschied von 1,75 zu 1,25 Prozent ist nicht so groß, dass es einen Riesenboom geben wird. 0,5 Prozentpunkte sollten niemanden verleiten, eine neue Versicherung abzuschließen. Aber wenn jemand sowieso vorhat, etwas für die Altersvorsorge zu tun, dann sollte er das noch vor dem 31. Dezember machen.

Sie suchen nach attraktiveren Anlagen für das Geld Ihrer Versicherten. Wie passend, dass Sie in der von DIW-Chef Marcel Fratzscher geleiteten Kommission sitzen, die nach neuen Möglichkeiten suchen soll, öffentliche Infrastrukturvorhaben zu finanzieren. 

Ich glaube, dass es gut ist, nach alternativen Finanzierungsmodellen für die Infrastruktur zu suchen. Ich pendele seit zehn Jahren von Köln nach Düsseldorf auf der Autobahn. In den zehn Jahren gab es maximal eines ohne Baustellen oder Staus. Wir sind offensichtlich nicht in der Lage, unsere Infrastruktur in Stand zu halten. Der Staat hat hohe Schulden und kann seine Investitionen nicht beliebig ausweiten. Private Investoren sind da eine gute Alternative.

Aber niemand bekommt das Geld so billig wie der Staat!

Ja. Private Investoren haben höhere Finanzierungskosten, aber sie können Großprojekte dafür effizienter steuern – unterm Strich könnten Private daher in bestimmten Projekten günstiger arbeiten. Aber letztlich ist das eine politische Entscheidung.

Die Ergo will zwei Milliarden Euro in Infrastrukturprojekte investieren. Warum klappt das nicht?

Wir können nicht so, wie wir wollen. Es konkurrieren derzeit viele Investoren um vergleichsweise wenige Projekte. Wenn der Investitionsstau auch mit Hilfe privater Investoren abgebaut werden soll, braucht es daher eine politische Entscheidung: Sollen neue Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft gebaut werden oder nicht? Bei Ergo kommen 75 bis 80 Prozent der Kapitalanlagen aus inländischen Mitteln, und die wollen wir auch wieder in Deutschland oder zumindest im Euro-Raum anlegen. Wir haben Kapitalanlagen von 100 Milliarden Euro, davon  könnten wir gut drei oder vier Prozent in Infrastrukturprojekte investieren – wenn es sie denn gäbe.

Würden Sie auch Schulen bauen?

Ja, wenn man größere Lose bildet. Ich kann mir nicht vorstellen, einzelne Schulen zu bauen. Das wäre zu kleinteilig und für einen Großinvestor kaum effizient. Aber 20 Schulprojekte, die in einem Bezirk zusammengefasst wären, könnten schon interessant sein.

Im vergangenen Jahr sind Sie bei einem Ranking der 100 wichtigsten Konzernmanager auf Platz 100 gelandet. Wird Ihnen die Fratzscher-Kommission helfen, Plätze gut zu machen?

 (lacht) Ich habe zumindest die Chance, mich zu verbessern.

Mit der Ergo verbindet man Skandale: den Sexausflug der Vertreter nach Budapest in die Gellert-Therme, dann haben Vertreter Kunden beschwatzt, gute Lebensversicherungen gegen schlechte einzutauschen und kürzlich war der Staatsanwalt da, um Beweise gegen die Firma Infinus zu sammeln, die Schindluder mit Ergo-Lebensversicherungen getrieben haben soll. Warum ist die Ergo, wenn es um Skandale geht, immer vorne dabei?

Die Budapest-Geschichte war unsäglich und hat Ergo eine Aufmerksamkeit beschert, die kein Unternehmen haben möchte. Seitdem werden wir viel strenger beäugt als andere Unternehmen. Was Infinus angeht, so sind Mitarbeiter als Zeugen und nicht als Beschuldigte befragt worden. Das muss man sauber trennen.

Sie bieten jetzt neue Versicherungen an, die bis vor kurzem undenkbar waren: Sie versichern Häuser in der Passauer Altstadt gegen Hochwasser und Patienten, die schon auf dem Zahnarztstuhl sitzen, gegen Zahnersatz. Wie seriös ist denn so was?

Wir haben uns die Frage gestellt: Was gibt es noch nicht und was will der Kunde? Die Politik  sagt, Bewohner in den absoluten Hochwassergebieten, der Zürs-4-Zone, fänden keine Versicherung. Wir haben gedacht, das muss nicht sein. Wir haben daher eine Versicherung entworfen, die jeden, wirklich jeden versichert.

Wie geht das?

Unsere Versicherung belohnt über ein besonderes Selbstbehaltkonzept – im Versicherungsdeutsch heißt das Integral-Franchise – denjenigen, der Vorsorge trifft, der nur eine Absicherung für große, existenzbedrohende Schäden sucht und kleinere selber trägt. Wir haben damit ein Produkt, das wir Kunden an der Mosel, der Donau und in der Kölner Altstadt verkaufen können.

Und der Zahnersatz?

Im Gesundheitsbereich wird den Versicherern immer vorgeworfen, sie würden nur Gesunde versichern. Deshalb haben wir eine Zahnzusatzpolice erfunden, die auch derjenige kaufen kann, bei dem die Behandlung schon unmittelbar bevorsteht. Natürlich ist sie dann teurer als eine Versicherung mit Gesundheitsprüfung.

Wie viel teurer?

Etwa doppelt so teuer. Wenn jemand 21 Jahre oder älter ist, kostet der Monatsbeitrag knapp 34 Euro.

Ihr Konkurrent, die Generali, will Privatversicherte belohnen, die per App dokumentieren, dass sie gesund leben. Planen Sie so etwas bei Ihrer Krankenversicherung, der DKV, auch?

 Ich kann mir auch bei Ergo vorstellen, dass wir Produkte verhaltensabhängig kalkulieren. Grundsätzlich könnte es auch ein Gesundheitsprodukt sein. Allerdings sind die Fragen des Datenschutzes in diesem Bereich besonders sensibel. Ich bin nicht sicher, ob die Deutschen, die großen Wert auf Datenschutz legen, ein solches Produkt in großem Stil kaufen würden. Eher vorstellen kann ich es mir bei einer Autoversicherung, die gutes und besonnenes Fahrverhalten belohnt. Eine solche Versicherung bieten wir z.B. durch unser Tochterunternehmen in Lettland bereits an. Eine App zeichnet das Fahrverhalten der Kunden auf.

Torsten Oletzky (48) ist seit 2008 Chef der Ergo-Versicherung, zu der auch der Rechtsschutzversicherer DAV, der Krankenversicherer DKV und die Victoria Lebensversicherung gehören. Die Ergo, eine Tochter der Rückversicherung Munich Re, ist nach ihren Kapitalanlagen nach der Allianz der zweitgrößte deutsche Erstversicherer. In die Schlagzeilen gekommen ist das Unternehmen 2011 durch die Sexparty von Vertretern in der Budapester Gellert-Therme, vor kurzem hat es eine Durchsuchung der Düsseldorfer Zentrale gegeben - allerdings ist die Ergo hier nicht Beschuldigte, sondern Zeugin. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Dresdner Finanzdienstleiter Infinus, der beim Verkauf von Ergo-Versicherungen ein Provisionskarussel betrieben haben soll.

Heike Jahberg

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