zum Hauptinhalt
Der Traum ist aus. Nach zwölf Jahren macht Dawanda-Gründerin Claudia Helming den Online-Marktplatz für Selbstgemachtes in der Nacht zu Freitag dicht. Die Verkäufer sollen zum US-Konkurrenten Etsy wechseln.
© Thilo Rückeis

Dawanda-Gründerin Helming: „Wir wollten nicht langsam sterben“

Dawanda galt als Vorzeige-Start-up, nun macht der Online-Marktplatz nach 12 Jahren endgültig dicht. Gründerin Claudia Helming über die Gründe und Zukunftspläne.

Frau Helming, wie fühlen Sie sich gerade?

So weit ganz okay. Ich hatte ja Zeit, mich mit dem Ende auseinanderzusetzen. Aber vor dem Moment, wenn Dawanda Donnerstagnacht offline geht, habe ich schon Respekt. Und richtig real wird es dann wenn die Mitarbeiter alle weg sind.

Müssen Sie selbst auf Abschalten drücken?

Das ist natürlich ein bisschen komplexer, als einfach den Stecker zu ziehen. Das Einkaufen und Verkaufen endet zwar, aber gewisse Funktionen und der Zugang zu den eigenen Accounts bleiben noch drei Monate bestehen. Da mussten wir technisch basteln und ich muss um Mitternacht da sein und das mit umsetzen.

Sie haben Ihren 70.000 Verkäufern den Wechsel zum Konkurrenten Etsy empfohlen, wie viele haben das gemacht?
Genau kann ich das nicht sagen, aber es ist schon die überwiegende Mehrheit.

Etsy hat Sie international schon länger abgehängt, haben Sie früher schon ans Aufgeben gedacht?
Klar gab es immer wieder Momente, die nicht ganz einfach waren. Wir haben auch früher schon darüber nachgedacht, die Firma zu verkaufen. Aber erst in den letzten zwei Jahren gab es zu wenig Fortschritt, und nun mussten wir etwas Radikaleres tun, als nur an gewissen Stellschrauben zu drehen.

Warum ging es nicht mehr voran?
Das sind immer viele Dinge. Das Bizarre ist ja eigentlich, dass die finanzielle Entwicklung zuletzt sogar gut war, wir waren zum ersten Mal seit Langem wieder profitabel. Das war ein wichtiger Meilenstein, um eine Wende herbeizuführen. Es ist uns aber nicht gelungen, das Wachstum anzuschieben. Wenn man ein Internetunternehmen ist, reicht es aber nicht, mit null bis zehn Prozent Wachstum dahin zu schippern. Da wird mehr erwartet. Das ist uns nicht gelungen und ich habe auch nicht gesehen, wie wir das mittelfristig ändern könnten.

Warum muss es denn immer Wachstum geben? Könnten Sie nicht als lokaler Anbieter den deutschen Markt bedienen, wenn das Geschäft profitabel ist?
Zum einen haben wir Investoren an Bord, da gibt es eine andere Erwartungshaltung. Es geht aber auch nicht nur darum, ob es sich wirtschaftlich trägt, sondern auch ob die Händler langfristig erfolgreich sein können. Und auch die brauchen für ihr Geschäft Wachstum und verkaufen zunehmend international. Die Entwicklung ist symptomatisch für unsere Zeit und Internetunternehmen insgesamt. Es gibt im gesamten Markt eine Konzentration auf die großen Player. Natürlich gibt es erfolgreiche lokale Anbieter, aber es werden immer weniger und der Onlinehandel wird immer globaler. Daher hätte ich es viel schlimmer gefunden, noch ein Jahr zu strampeln, sich und die Mitarbeiter zu knechten und trotzdem zugucken, wie es langsam stirbt.

War es ein Fehler, die Unternehmensmehrheit an Investoren abzugeben, oder hätten Sie sogar noch mehr Kapital gebraucht?
Natürlich gibt man sein Unternehmen oder die Mehrheit daran nicht gern an Investoren ab. Aber das hatte auch seine Gründe. Solche hypothetischen Betrachtungen bringen aber auch nicht viel.

Gab es trotzdem Fehler oder etwas, das Sie im Rückblick anders machen würden?

Ich denke wir hätten früher verkaufen können, sollen und müssen. Da gab es Möglichkeiten und Gespräche und wir haben den richtigen Zeitpunkt verpasst.

Wieso gab es jetzt keinen richtigen Verkauf an Etsy?
Beim Verkauf werden Verbindlichkeiten und Werte wie Mitarbeiter, Software und vieles Weitere übertragen. Das passt aber nicht in die Strategie von Etsy, noch eine zweite Plattform zu haben. Ein klassischer Unternehmensverkauf hat daher keinen Sinn gemacht, und so kam es zu diesem Konstrukt.

Dabei gibt es aber eine Zahlung von Etsy, die Sie und die Investoren zufriedenstellt?
In gewisser Weise ja. Ich kann aber zu den Summen nichts sagen.

Es ist ein Grundproblem, dass deutsche Gründer international schwer mithalten können. Wie kann sich das ändern?
Teilweise ändert es sich und gibt es Start-ups wie Delivery Hero oder Hello Fresh, die international erfolgreich oder auch die Nummer eins sind. Das sind natürlich Unternehmen, hinter denen auch ein bisschen mehr Asche und Risikofreudigkeit der Investoren stecken.

Was müsste die Politik tun, die seit Langem Gründer besser fördern will?
Ich finde nicht, dass das, was die Bundesregierung oder auch die EU tut, in die richtige Richtung geht. Im Gegenteil, es führt eher dazu, dass die Konzentration auf internationale Player noch verstärkt wird. So macht es die neue Datenschutzgrundverordnung gerade kleinen Betreibern von Internetseiten zunehmend schwer. Das ist grundsätzlich die falsche Richtung.

Bisher ist die befürchtete Abmahnwelle aber ausgeblieben?
Warten wir mal ab. Tatsache ist, dass auch so die Auswirkungen auf die kleinen Händler massiv und nicht gerade förderlich sind. Und die Zahl der Abmahnungen gegen kleine Anbieter im Internet ist in den letzten Jahren extrem gewachsen. Im letzten Jahr war das auch ein großes Problem bei Dawanda, da wurden reihenweise Händler wegen Bagatellfehlern abgemahnt und mehrere Tausend haben daraufhin ihre Shops geschlossen. Das ist auch ein Problem der Gesetzgebung.

Was sind Ihre nächsten Pläne?
Es wird noch ein bisschen dauern, bis Dawanda endgültig liquidiert ist. Was ich dann mache, weiß ich immer noch nicht so genau. Ich werde aber bestimmt nicht Etsy-Beraterin oder einen Job in einem Unternehmen annehmen. Sehr wahrscheinlich werde ich wieder etwas gründen. Ideen gibt es immer, aber ob sie tragfähig sind, weiß ich noch nicht.

Das Gespräch führte Oliver Voß.

Zur Startseite