Chef des Musikkonzerns BMG: "Wir wollen die Guten sein"
BMG-Chef Hartwig Masuch spricht im Interview Chancen des Streamings, Castingshows - und die Krise nach dem "Echo"-Eklat rund um Farid Bang und Kollegah.
Herr Masuch, BMG ist im Oktober zehn Jahre alt geworden. Hätten Sie sich dieses Alter 2008 zugetraut?
Man sollte sich nicht an Plänen festklammern. Das könnte in die falsche Richtung führen. Wir hatten beim Start die Chance, auf Möglichkeiten zu reagieren, die damals nicht absehbar waren.
Die CD schien tot, Spotify ging im gleichen Monat wie Sie an den Start, die Lehman- Pleite löste die Finanzkrise aus. Das sah alles nach Scheitern aus ...
Von außen betrachtet musste man sich schon fragen: Warum wollen wir in der Musikindustrie überhaupt mitmachen. Die glorreiche Branche, die die Welt beglückt hatte mit großen Preisverleihungen und gloriosem Auftreten – sie war im freien Fall. Aber die Digitalisierung hatte begonnen, Apple und andere waren am Markt aktiv, und es war damals absehbar, dass die Reichweite von Musik deutlich zunehmen würde. Die Frage war: Kann man damit Geld verdienen?
Die Lehman-Pleite hat Ihnen geholfen, sagen Sie. Warum?
Die Lehman-Pleite war sehr gut für uns. In den USA waren viele Musikrechte-Kataloge mit waghalsigen Kreditkonstruktionen finanziert worden. Ende 2008 brach das zusammen und die Kataloge kamen auf dem Markt – zu sehr moderaten Preisen. Das hat uns das Leben erleichtert. Auch, weil Bertelsmann schnell darauf reagierte und Musikrechte gekauft hat, als niemand sie kaufen wollte.
Heute ist BMG wieder die Nummer vier im globalen Musikbusiness, aber mit reichlich Abstand zu den führenden drei. Haben Sie den Ehrgeiz, Anschluss zu finden?
Größe ist nicht unser Ziel. Attraktiv ist aber die Fähigkeit der Großen, einen globalen Markt zu bespielen. BMG kann das inzwischen auch – ohne die üppigen Strukturen. Und: Wir sind das einzige von vier Unternehmen, das seinen Sitz außerhalb Nordamerikas hat – und zwar in Berlin, der internationalsten Stadt Europas.
Warum ist ein globaler Ansatz wichtig?
Weil ein Künstler, der weltweite Ambitionen hat, einen entsprechenden Partner braucht, der das begleiten kann. Anders als die großen Musikkonzerne müssen wir aber nicht mehr darüber nachdenken, ob wir zu viele Mitarbeiter haben oder ob über die Jahre die Strukturen zu groß geworden sind und die Künstler das nicht mehr bezahlen wollen.
Der Musikbranche steht also der Strukturwandel noch bevor?
Damit wird sich die Industrie in den kommenden drei Jahren massiv befassen müssen. Bisher wurden die unangenehmen Entscheidungen vermieden, weil lang laufende Verträge die großzügigen Strukturen aus der nicht digitalen Welt über die Jahre konserviert haben. Viele große Wettbewerber sagen sich: Es wird schon gut gehen. Aber die Schwerkraft wird auch in der Musikindustrie zuschlagen. Die Parameter sind digital geworden.
Aber selbst Spotifiy verdient kein Geld.
Effizienz ist auch hier ein wichtiges Thema. Es ist nicht gesetzt, dass die Marktteilnehmer in der jetzigen Konstellation im Streaming in zehn Jahren die gleichen sein werden. Unternehmen, die nur für den Vertrieb der Musik da sind, werden gegenüber Firmen, die beispielsweise auch Smartphones herstellen und Cross-Selling betreiben können, einen massiven Wettbewerbsnachteil haben.
BMG vertritt nicht nur Stars wie Ringo Starr, die Rolling Stones oder Lenny Kravitz, sondern hat in zehn Jahren auch etwa 100 Independent-Labels gekauft. Hatten Sie nie das Gefühl, dass es zu schnell ging?
Das Gefühl hatte ich oft. Aber wir haben uns wirtschaftlich nicht verzockt, weil wir die besten M&A-Leute von unserem Gesellschafter Bertelsmann bekommen hatten. Viel mehr bewegt hat mich die Frage, wie man aus dem Ganzen etwas Sinnvolles macht. 100 Kulturen zusammenkaufen kann jeder, der genug Geld hat. Aber unser Ziel war und ist bis heute nicht Größe. Wir wollen die Guten in der Industrie sein. Das macht manchmal schlaflos, aber es hält auch jung.
Mit Geld allein kauft man keine Künstler?
Die Teilnehmer des Marktes lieben es schon, wenn genug Liquidität da ist und einer sie mitbringt. Aber wir waren sehr diszipliniert. Wir mussten es sein, weil wir den Medienkonzern hinter uns und für ein paar Jahre KKR an Bord hatten, eine der intelligentesten Private-Equity- Firmen. Beide haben die Investments auf ihre finanzielle Wert- und Nachhaltigkeit geprüft. Wir konnten also nie leichtsinnig einfach zehn Millionen Euro ausgeben für Musik, die uns gefällt.
Warum entscheiden sich Künstler, bei BMG zu unterschreiben?
Weil sie bei BMG sicher sein können, dass sie einen fairen Preis dafür bezahlen, dass wir ihr Repertoire global über alle Regionen und Kanäle vertreten.
Was ist fair?
Das hängt vom Startpunkt des Künstlers ab. Ein Newcomer, in den wir viel Geld investieren, um ihn aufzubauen, wird diese Frage anders beantworten als die großen, globalen Stars. Die wissen, dass sie jedes Jahr Millionen bewegen und unsere Arbeit das nur in Grenzen beeinflusst.
Warum brauchen die Rolling Stones BMG überhaupt? Sie könnten ihre Rechte doch selbst vermarkten.
Am Ende des Tages könnten sie es sicher auch. Das kostet natürlich Geld und birgt Risiken. Aber diese Frage wird uns noch sehr intensiv beschäftigen. Spotify öffnet die Plattform zunehmend für direkte Künstlerbeziehungen, ohne dass ein Rechtevermarkter wie BMG dazwischen steht. Das wird noch eine problematische Diskussion. Momentan sind wir in der komfortablen Lage, dass sich auch die großen erfolgreichen Stars sagen: Das ist es uns wert. Die Musikindustrie beschäftigt sich praktisch zum ersten Mal mit dem Thema Kostenverantwortung.
Klingt nüchtern für die Show-Branche.
Ich denke natürlich auch morgens beim Aufstehen lieber an Glory, Glamour und schöne Sachen statt an Effizienzen. Aus der Sicht unserer Kunden wird das Thema aber noch sehr an Bedeutung gewinnen.
Was treibt den Wert einer Musikfirma?
Es ist unsere Leistungsfähigkeit und der Preis, den Künstler dafür zu zahlen bereit sind. Ein Katalog mit Musikrechten kann einen großen Namen tragen – aber sein tatsächlicher langfristiger Wert am Markt kann gleich null sein. Wir nehmen nicht Millionen in die Hand, um einen Nummer-eins-Hit zu landen und dann: nach uns die Sintflut. Chart- oder Marktanteile sind völlig irrelevant.
Ist es im Musikbusiness wie in der Autoindustrie: Die Oberklasse wirft mehr Rendite ab als die Kleinwagen – die Stones also mehr als ein Newcomer?
Wenn man es bis zum Ende durchrechnet: ja. Die größten Künstler mit der größten Fan-Gemeinde sind auch die lukrativsten. Das Geschäft mit jungen Künstlern ist bei vielen Musikfirmen defizitär, weil auf schnelle Chartplätze und nicht auf Langfristigkeit gesetzt wird. Das ist immer teuer.
Wie sehr nervt es Sie, dass im Bertelsmann-Konzern auch Chartbreaker gesucht, in TV-Shows wie DSDS gefunden und in den Markt gedrückt werden?
Es freut mich immer, wenn etwas gelingt. Aber wir haben mit unserem Gesellschafter geklärt, dass wir ein anderes Profil und Repertoire vertreten. Es gibt da keine Konflikte.
Wie sehr hat Ihnen der Echo-Skandal rund um Farid Bang und Kollegah geschadet?
Mich persönlich hat es reifer, politisch wacher und interessierter gemacht. Die Diskussion war nicht unanstrengend, aber total berechtigt. Es ist schon richtig, dass man in unserer gut verdienenden, komfortablen Branche hin und wieder auch politisch Haltung zeigen muss.
Auch, indem man eine Geschäftsbeziehung dann beendet?
Wir haben uns mit Farid Bang und Kollegah darauf geeinigt, dass es in dieser Situation die richtige Entscheidung war. Auch, weil der entstandene öffentliche Lärm sich aus unterschiedlichen Motiven gegen BMG gerichtet hat.
Ist BMG jetzt vorsichtiger geworden bei neuen Engagements?
Unsere Sensoren waren da immer schon gut. Aber wir haben gelernt, dass es durchaus noch viel Raum gibt, um in offene Messer zu laufen. Es geht um Wachheit und Sensibilität.
Beim Marketing gehen Sie neue Wege und drehen inzwischen Dokumentarfilme über Musiker. Wird daraus mehr werden?
Wir wählen dieses Medium, um die Geschichte unserer Künstler zu erzählen, um Aufmerksamkeit zu wecken. Idealerweise kann man damit noch Geld verdienen, wenn viele TV-Sender, Netflix oder Amazon die Filmproduktionen senden wollen. Das ist eine spannende visuelle Spielfläche für uns. Die Zeiten, in denen wir auf eine halbe Stunde „Beatclub“ angewiesen oder später Zulieferer für MTV waren, sind zum Glück lange vorbei.
Sie haben einen Film über Joan Jett produziert, mit der Sie selbst auf der Bühne gestanden haben.
Die Entscheidung habe ich nicht getroffen. Wir haben eine Firma gekauft, bei der Joan Jett unter Vertrag war. Es war natürlich lustig, als wir uns wiedergetroffen haben und uns daran erinnert haben, dass wir 1978 zusammen in München auf der Bühne gestanden haben.
Warum werden Konzerttickets immer teurer? Irgendwann kann sich die Zielgruppe Livemusik nicht mehr leisten.
Das ist eine völlig berechtigte Frage. Ich beobachte selbst staunend, welche Preise inzwischen aufgerufen werden. Es gibt sicherlich 1000 gute Gründe für einen Konzertveranstalter, zu testen, was das richtige Preisniveau ist. Der wichtigste ist aber: Die Fans sind bereit, diese Preise zu bezahlen. Der Live-Markt wächst weltweit.
Hartwig Masuch (64) ist Chef der Musikfirma BMG mit Sitz in Berlin. Das Kürzel steht für Bertelsmann Music Group – und für den Neustart des Medienkonzerns ins Musikgeschäft vor zehn Jahren. Bertelsmann hatte seine Musiksparte an Sony verkauft und eine Rückkehr in das Geschäft schien unwahrscheinlich. Doch 2008, am Vorabend der Finanzkrise, boten sich neue Chancen. Der heutige Konzernchef Thomas Rabe, wie Masuch Musikfan, setzte nicht auf CDs und das klassische Business der Majors, sondern auf den Rechtehandel. Masuch, seit 1991 bei Bertelsmann, baute das Geschäft neu auf. Heute liegt BMG als größter europäischer Musikkonzern hinter Universal, Warner und Sony. 170 der 800 Mitarbeiter sind in Berlin beschäftigt, der Umsatz liegt bei einer halben Milliarde Euro.
Masuch stand in jungen Jahren selbst mit der Punk-New-Wave-Band „The Ramblers“ auf der Bühne. Als Erfinder der Band Extrabreit gilt der gebürtige Hagener als ein Wegbereiter der Neuen Deutschen Welle. In seinem Berliner Büro mit Blick auf den Gendarmenmarkt hängt ein großes Foto von Nena, die in den 70er-Jahren in der Taxi-Zentrale arbeitete, für die Masuch damals fuhr.
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