Mineralölkonzern Total: "Wir sind für den freien Markt"
Hans-Christian Gützkow, Deutschland-Chef des Energiekonzerns Total, spricht im Interview über das Leck an der Bohrinsel Elgin, teures Benzin und seine Pläne für Berlin.
Herr Gützkow, was genau ist auf Ihrer Plattform Elgin in der Nordsee passiert?
Bei Arbeiten an einem stillgelegten Gasbohrloch ist es vor einer Woche zu einem Zwischenfall gekommen. Seither tritt auf der Förderplattform Gas aus. Die Verantwortlichen vor Ort haben zunächst die 238 Arbeiter evakuiert. Es war und bleibt absolute Priorität, keine Menschenleben zu gefährden. Außerdem wurden alle Anlagen von Elgin heruntergefahren.
Warum brannte die Fackel dort weiter?
Um Restmengen an Gas und Kondensat aus den Leitungen der Anlage kontrolliert entweichen zu lassen. Dies ist mittlerweile geschehen, die Fackel ist erloschen. Damit bestehen bessere Rahmenbedingungen zum Verschluss des Lecks.
Was sind die nächsten Schritte?
Total hat internationale Experten und Material in der Region zusammengezogen, um die Lage in den Griff zu bekommen. Wir warten derzeit auf die Genehmigung der britischen Behörden, damit in ein paar Tagen die Arbeiten zur Versiegelung des Lecks beginnen können. Gerade in der Nordsee, wo die weltweit strengsten Kontrollen herrschen, müssen alle Schritte mit den Behörden abgestimmt werden. Und wir stehen genauso gegenüber der Öffentlichkeit in der Pflicht zur Transparenz. Total berichtet über die Entwicklung aktuell auf seiner Website total.com an die Öffentlichkeit und bietet Informationen über Facebook, Twitter und Youtube an. Als deutsche Vertriebseinheit sind wir zwar nicht direkt in die Entwicklung eingebunden, bemühen uns aber, Anfragen aus Deutschland kompetent zu beantworten.
Hierzulande stehen Sie und Ihre Konkurrenten auch wegen wenig transparenter Spritpreispolitik in der Kritik.
Dieser Vorwurf kommt immer vor Ostern, Pfingsten, Weihnachten und zu Ferienzeiten generell. Da ist die Öffentlichkeit extrem sensibel, und jede Preisbewegung wird kritisch beäugt. Die täglichen Preisveränderungen und -sprünge erklären sich vor allem durch den täglichen Wettbewerb unter den Tankstellen. Dazu kommen Faktoren wie die internationale Sicherheitslage in Ölförderländern und Währungsdifferenzen zwischen Euro und Dollar. Diese Faktoren beeinflussen maßgeblich die Preise an der Börse in Rotterdam und im Augenblick sorgt das Zusammenspiel zwischen Iran-Krise und schwachem Euro für Rekordpreise.
Märkte und Krisen gab es schon immer. Erst seit einem Jahr aber registriert man eine bisher nie dagewesene Volatilität, Sprünge um weit über zehn Cent. Warum?
Weil Deutschland einer der umkämpftesten Märkte überhaupt ist. Hier konkurrieren unabhängige mit regionalen und überregional aufgestellten Tankstellenbetreibern. Dieser harte Wettbewerb führt dazu, dass wir hierzulande nur sehr niedrige Margen machen, und wir die Preise im Kampf um die Kunden mehrfach am Tag ändern müssen.
Die Verbraucher sind an den Preissprüngen selbst schuld.
Plötzlich um zwölf Cent je Liter?
Solche Sprünge gibt es, aber selten. Sie sind auch ein Zeichen dafür, dass eine Tankstelle mit ihrem Preis zuvor offenbar gar kein Geld verdient hat.
Aber 25 Änderungen die Woche? Das ist doch eine Verwirrungstaktik.
Der deutsche Markt ist sehr sensibel. Schon für ein bis zwei Cent Differenz nehmen deutsche Autofahrer einen Umweg zur nächsten Tankstelle in Kauf. Senkt eine Tankstelle den Preis, um sich kurzfristig einen Vorteil zu verschaffen, zieht natürlich die Konkurrenz mit ihren Preisen nach, und es setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang, die irgendwann wieder zu einer Preiserhöhung führen muss.
Politiker fordern nun die Übernahme des österreichischen Modells. Dort darf eine Tankstelle nur einmal am Tag die Preise ändern. Was halten Sie davon?
Ich glaube nicht, dass dieses oder ähnliche Modelle einen Vorteil bringen. Die ersten Erfahrungen damit sollen nicht so gut gewesen sein, wie ich höre. Wir sind für den freien Markt, wir wollen keine Einschränkungen. Wir präferieren ein freies und transparentes System mit einem fairen Wettbewerb zwischen Unternehmen. Dass es dem Kunden helfen würde, wenn man dem Markt ein Preissystem aufdrückt, bezweifele ich stark.
Wenn der Markt so gut funktioniert, wie Sie sagen, müssten Sie ja wunschlos glücklich sein.
Das sind wir nicht, so lange es in einem ansonsten geeinten Europa derart wettbewerbsverzerrende Steuerunterschiede gibt: Tankstellen in Polen oder Tschechien verkaufen teils Sprit aus deutschen Raffinerien, müssen auf diesen aber nicht wie hier durchschnittlich rund 50 Prozent Steuern aufschlagen. Das fördert den Tanktourismus, entzieht grenznahen Pächtern die Existenzgrundlage und Deutschland Steuereinnahmen!
Aber es ist doch legitim für einen Staat, Mobilität zu besteuern, Gewinne abzuschöpfen, oder?
Im Prinzip ja. Aber es gibt dabei unsinnige Verzerrungen, unterschiedlichste Steuerkomponenten. Warum ist Ottokraftstoff unterm Strich heute noch höher besteuert als Diesel? Da bräuchten wir mehr Gerechtigkeit. Aber damit meine ich nicht höhere Steuern.
Weil sich deutsche Autohersteller und Firmenwagenflottenbetreiber seit Jahrzehnten darauf eingestellt haben.
Ursprünglich war der Steuervorteil nur dafür gedacht, dem Schwerlastverkehr zu helfen. Mittlerweile aber hat die Entwicklung dazu geführt, dass wir Diesel importieren müssen, vor allem aus Russland. Ottokraftstoffe dagegen exportieren wir in die USA, wo fast ausschließlich Benzin getankt wird. Aber dort wird er immer weniger benötigt, weil auch da immer mehr Biokraftstoffe beigemischt werden. Benzin abzusetzen wird also immer schwieriger. Chemische Gesetze aber ändern sich nicht: Aus einer Tonne Rohöl gewinnt man nun mal einen Teil Diesel und einen Teil Benzin.
Was hält der Konzern von den Vorgaben des Kartellamtes?
Warum erreichen die Spritpreise derzeit neue Rekorde, obwohl der Rohölpreis noch weit von seinem Rekordhoch bei 147 Dollar je Barrel aus dem Jahr 2008 entfernt ist?
Weil die Weltkonjunktur insgesamt brummt, vor allem in Asien. Entsprechend steigt der Hunger nach Energie, also die Nachfrage. Dann fließen die politischen Unsicherheiten in die Preisbildung mit ein, etwa der arabische Frühling, der Konflikt um das iranische Atomprogramm und die Sorge, dass Ölförderländer als Lieferanten ausfallen, was für Knappheit sorgen könnte. Und in Europa kommt die Euro-Schwäche gegenüber dem Dollar dazu. In Euro erreichen die Preise daher Rekordstände, die höher liegen als 2008.
Ihre Branche erklärt hohe Spritpreise gern mit Weltkrisen. Wenn diese abebben, wie der arabische Frühling, fallen die Preise trotzdem nicht. Warum?
Das liegt nicht an den privaten Ölgesellschaften wie Total. Privatwirtschaftliche, börsennotierte Öl- und Gasunternehmen haben gerade mal Zugang zu etwa zehn Prozent der weltweiten Ölförderung. Fast 90 Prozent werden von staatlichen Gesellschaften kontrolliert, die zugleich damit ihre Staatshaushalte versorgen.
Laut Monopolkommission gibt es bei uns ein Oligopol privater Gesellschaften. Die sollten keine Tankstellen mehr kaufen dürfen, fordert sie. Was halten sie davon?
Nichts. Das Kartellamt hatte uns mit einer ähnlichen Begründung untersagt, die Übernahme deutscher Tankstellen der österreichischen OMV zu übernehmen. Wir haben Einspruch eingelegt, und das Oberlandesgericht Düsseldorf hat uns Recht gegeben. Das Kartellamt ging in Berufung, und der Bundesgerichtshof hat den Fall noch einmal ans Oberlandesgericht zurückverwiesen. Es ist nicht verständlich, warum wir als Unternehmen, das in Deutschland nicht flächendeckend vertreten ist und gerade mal 7,5 Prozent Marktanteil hat, eine dominierende Stellung haben sollen. Wir wollen weiter in Deutschland wachsen.
Wie deutsch ist Ihr französischer Konzern?
Total hat sich entschieden in Deutschland Milliardeninvestitionen zu tätigen, wie etwa bei der Raffinerie in Leuna.. Wir unterhalten hier eine eigene Infrastruktur, beschäftigen 3500 Menschen - auch in der Chemie, in der Raffinerie, und mit Sunpower auch in der Photovoltaik. Für uns als Konzern mit Wurzeln im befreundeten Frankreich ist es nicht nachvollziehbar, dass wir hier mit anderen Betreibern in einen Topf geworfen werden, die sich nicht ansatzweise so stark lokal engagieren.
Wie sieht es in Berlin aus?
Wir sind Berliner mit Tradition. Wir haben uns entschieden, hier in der Hauptstadt ein sehr sichtbares Zeichen zu setzten: Derzeit entsteht in der Nähe des Hauptbahnhofes unser neuer Büroturm. Dass die Zentrale in Paris der Investition und dem Umzug dahin zugestimmt hat, ist nicht selbstverständlich. Andere Konzerne verlagern Aktivitäten in Länder mit niedrigeren Lohnkosten, sie lassen die Verwaltung von externen Firmen erledigen, in Callcentern etwa. Wir nicht. Wir bleiben hier in Berlin mit einer eigenen Organisation.
Wann ziehen Sie um?
Im Oktober werden wir mit den Mitarbeitern aus der Berliner Schützenstraße und den bereits aus Düsseldorf integrierten Kollegen zusammen in unseren neuen Turm einziehen. Aber unser Berlin-Engagement beschränkt sich nicht auf den Neubau eines Bürogebäudes. Wir beteiligen uns zum Beispiel auch an der Berliner Bewerbung für das Schaufenster Elektromobilität.
"E 10 war keine Erfolgsgeschichte."
Mit einem Wasserstoffprojekt?
Nein, in dem Fall mit Elektroschnellladetankstellen. Aber wenn es um Wasserstoffantriebe geht, ist Total hierzulande ganz vorn dabei. Seit zehn Jahren arbeiten wir daran, erst in Kooperation mit der BVG, später in der von der Bundesregierung geförderten Clean Energy Partnership CEP und nun auch mit der Firma Enertrag, die Windparks und das Hybridkraftwerk in Prenzlau betreiben. Dort entsteht aus überschüssiger Windenergie grüner Wasserstoff für unsere Tankstellen.
Derzeit reden aber alle von Elektroautos.
Auch Wasserstofffahrzeuge sind Elektroautos – nur nicht von Batterien getrieben. Allerdings behaupten wir auch nicht, das sei ein Königsweg. Wir fahren mehrgleisig. Das wird jeder auch an unserer neuen Multienergietankstelle am neuen Flughafen BER erleben: Da kann man seine Batterie laden, oder Bioerdgas, Autogas oder Wasserstoff tanken – aber natürlich auch Ottokraftstoffe und Diesel. Denn auch da ist die Entwicklung effizienter Motoren noch nicht am Ende.
Je effizienter die werden, desto weniger verkaufen Sie.
Das stimmt nur vordergründig. Auch ich würde niemanden zur Verschwendung aufrufen. Man sollte lieber effizient fahren, also mit korrektem Reifendruck, ohne unnötigen Ballast im Kofferraum. Bei uns beschäftigen sich ganze Abteilungen mit dem Thema Effizienz - wir fragen uns, wie wir selbst energiesparender sein können und wie unsere Kunden sparen können.
Aber was haben Sie davon?
Wir hoffen, dass Kunden solche Informationen schätzen, daraus einen Nutzen ziehen und uns daher treu bleiben. Wir werden bei dem Thema nur glaubwürdig, wenn Kunden sehen, dass wir das Thema Effizienz auch selbst ernst nehmen. Deshalb investieren wir in energieeffiziente Industrieanlagen, beziehen in Berlin ein energiesparendes Bürohaus und setzen zunehmend spritsparende Autos ein. Das hilft der Umwelt und spart auch bei uns bares Geld.
Wie hoch ist eigentlich der Anteil von E10 an Ihrem gesamten Benzinabsatz?
Leider weit hinter den Erwartungen, derzeit bei rund 16 Prozent, bei leicht steigender Tendenz. Dabei könnten E10 mehr als 90 Prozent der Benziner problemlos tanken. Von daher muss man sagen: E10 war bisher keine Erfolgsgeschichte.
Sie wollen doch den freien Markt. Warum regeln Sie das nicht über den Preis, machen E10 also billiger?
Das würde viele trotzdem nicht überzeugen. Selbst meinen Vater nicht, zu dem ich ein sehr gutes Verhältnis habe. Ich habe ihm gesagt, dass er E10 tanken kann. Dann las der in der Zeitung, dass ein Chefingenieur eines großen Autoherstellers sagte, E10 sei für jedes Fahrzeug schädlich. Daher tankt er bis heute kein E10. Da helfen nur weitere Informationen und unabhängige Langzeittests.
Ist es Zeit für eine Notbremse?
Nein, der Bioanteil im Sprit wird weiter zunehmen. Da bin ich sicher. Allerdings haben wir, das heißt alle Verantwortlichen, ob in der Politik oder bei Wirtschaft und Verbänden, den Verbraucher unterschätzt und das Thema viel zu optimistisch angepackt. Das Produkt einzuführen, wird viel mehr Zeit benötigen. Jedes Mineralölunternehmen muss jährlich eine Bio-Beimischungsquote erfüllen, andernfalls werden Strafzahlungen fällig?
Müssen sie für 2011 zahlen?
Das wissen wir noch nicht. Die Auswertung läuft derzeit mit Hochdruck. Das Bundesfinanzministerium hat wegen der langwierigen Prozesse allen Mineralölgesellschaften den Stichtag von Mitte April auf Mitte Juni verlängert. Es stellt für uns einen immens hohen bürokratischen Aufwand dar, alle Nachweise über Biokraftstoffbeimischung zu erbringen. Neuer Stichtag für die Abgabe unserer konsolidierten Biobilanz ist der 15. Juni. Dann prüft die Biokraftstoffquotenstelle unsere Nachweise. Für das Jahr 2011 rechnen wir nicht mit einem Bescheid vor Ende 2012 / Anfang 2013.
Viele Tankstellenbetreiber haben 2011 wegen der Strafandrohung schon vorsorglich einen Aufschlag auf jeden Liter konventionellen Benzins aufgeschlagen. Sie auch?
Um die Quote zu erfüllen, mussten wir Biokomponenten, etwa aus Quotenüberschussverträgen auf Basis von Biodiesel, hinzukaufen. In der Raffinerie war das Blenden von Biokomponenten der nächsten Generation zulässig. Uns sind in jedem Fall Kosten entstanden, weil wir zu wenig E10 abgesetzt haben. Die gilt es, zu kompensieren.
Wirtschaftsingenieur Hans-Christian Gützkow (48) befasst sich seit den 90er Jahren mit Mineralölprodukten, zunächst mit Bitumen. 2004 kam er zum Total-Konzern, leitete dessen deutsche Bitumen-Tochter in Brunsbüttel. Seit Ende 2009 leitet er von Berlin aus das gesamte Deutschlandgeschäft. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Total betreibt hierzulande mehr als 1000 Tankstellen und beschäftigt rund 3250 Mitarbeiter – auch bei Töchtern im Chemie-, Raffinerie- und Solargeschäft. Der Jahresumsatz beträgt rund 15,5 Milliarden Euro.
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