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Länger leben viele Schweine in diesen Wochen, weil der Ausfall des Tönnies-Schlachthofs in Rheda-Wiedenbrück von anderen Betrieben nicht kompensiert werden kann.
© dpa

Tönnies-Schlachthof bleibt vorerst geschlossen: „Wir schieben Zehntausende Schweine vor uns her“

Mindestens bis zum 17. Juli bleibt der Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück geschlossen. Die Bauern werden die schlachtreifen Tiere nicht los.

Es wird eng im Stall. Die Schließung des Tönnies-Schlachthofs in Rheda-Wiedenbrück belastet zunehmend die Schweinemastriebe, die ihre Tiere nicht loswerden. Bei Tönnies, weit und breit der größte Schlachthof, wurden bis Corona rund 20 000 Schweine am Tag getötet und zerlegt.

Als der Schlachthof in der Nähe von Gütersloh geschlossen wurde, hieß es in der Branche, zwei Wochen könne man einigermaßen schadlos überstehen: Die Bauern behielten die Schweine einige Tage etwas länger im Stall und andere Schlachthöfe übernähmen einen Teil der schlachtreifen Tiere.

Sollte die Schließung des Schlachthofs jedoch vier Wochen dauern, so die Einschätzung von Bauerverbänden, werde es heikel. Am kommenden Montag beginnt die vierte Woche - und eine Inbetriebnahme des Schlachthofs ist nicht in Sicht. „Wie schieben einige Zehntausend Schweine vor uns her“, heißt es beim westfälischen Bauernverband.

Nach dem Corona-Massenausbruch war das Fleischwerk in Rheda-Wiedenbrück mit bis zu 7000 Beschäftigten vor drei Wochen und zunächst bis zum 17. Juli geschlossen worden. Rund 1400 Arbeiter des Werks, viele davon Werkvertragsarbeitnehmer aus Osteuropa, hatten sich mit dem Virus infiziert: Entweder in den gekühlten Zerlegehallen, wo die Metzger eng nebeneinander stehen, oder in den vollgepackten Unterkünften der Wanderarbeiter.

Arbeits- und Lebensumstände der zumeist aus Rumänien, Bulgarien und Polen stammenden Werkvertragsarbeiter hatten so große Empörung ausgelöst, dass die Politik nun die Festanstellung dieser Menschen direkt beim Schlachthofbetreiber vorschreiben will.

Erste Bereiche dürfen wieder arbeiten

Außerhalb der Produktion dürfen erste Bereiche auf dem Tönnies-Gelände wieder den Betrieb aufnehmen, darunter Teile der Verwaltung, die Technik sowie der Kindergarten, der über einen separaten Eingang verfügt. Die Stadt Rheda- Wiedenbrück teilte mit, „für die schrittweise Öffnung des Unternehmens ist der Bereich Technik essenziell wichtig zur Ausführung der vorbereitenden Maßnahmen.“ Dazu gehöre die Montage von Schutzelementen in der Kantine und Teilen der Produktion. Außerdem erfolge die Installation einer neuen Filtertechnik. Am kommenden Sonntag wird eine Lüftungsanlage mit Kaltrauch getestet. Eine ausreichende Luftzirkulation erschwert in geschlossenen Räumen die Übertragung des Coronavirus.

Bei Tönnies hieß es, man habe den Behörden in diesen Tagen ein erweitertes Hygienekonzept vorgelegt. Weitere Anträge zur Öffnung der Bereiche Convenience und Logistik würden in Kürze bei den Behörden eingereicht. Doch ob in der übernächsten Woche, also ab dem 20. Juli wieder Schweine verarbeitet werden können, ist offen. Keinesfalls wird der Betrieb in absehbarer Zeit mit derselben Kapazität arbeiten wie vor der Krise.
In Coesfeld, wo der Tönnies-Konkurrent Westfleisch einen großen Schlachthof betreibt, ist man nach der coronabedingten Schließung im Mai bis heute nur bei einer Kapazitätsauslastung von 70 Prozent. Das ist vor allem dem Arbeitsschutz unter Coronabedingungen geschuldet. Bitter für Westfleisch in Coesfeld und Tönnies in Rheda-Wiedenbrück: Beide Fleischfirmen haben wegen der Coronafälle die Exportlizenz für China verloren. Bislang konnten die Unternehmen die hierzulande nicht gefragten Schweineteile wie Köpfe, Schwänze oder Füße nach China verkaufen. Nun müssen diese Teile teuer entsorgt werden.

Schweinefleisch wird immer billiger

Die dramatische Situation in der Fleischwirtschaft ist auch am Preis erkennbar: In dieser Woche fiel der so genannte Schlachtpreis, den die Erzeuger für das ausgenommene Schwein bekommen, um 13 Cent auf 1,47 Euro. Noch vor gut drei Wochen waren es 1,65 Euro. Der Markt ist nervös. Und die Schweinemäster sind mehrfach betroffen. Die Schweine bleiben länger im Stall und müssen gefüttert werden. Wenn sie aber zu fett sind, gibt es einen Preisabschlag im Schlachthof. Und mit jedem Tag wird es enger im Stall, weil immer mehr Tiere die Schlachtreife erreichen.

„Wir können die Schweine nicht stapeln“, heißt es beim Bauernverband. Man sei mit der Politik über Ausweichoptionen im Gespräch, um etwa zusätzlichen Platz in Scheunen für die Schweine zu schaffen. Da jeder Stall genehmigungspflichtig ist, müssten die Behörden ein Auge zudrücken. „Wir brauchen Planbarkeit“, heißt es beim Bauernverband stellvertretend für die rund 30 000 Schweinemäster in Deutschland. Doch die ist nicht in Sicht.

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