Warentest-Chef im Interview: „Wir mussten nie zahlen“
Hubertus Primus über den Streit der Stiftung Warentest mit Ritter Sport, das Vertrauen der Verbraucher und die Zusammenarbeit mit dem ADAC.
Herr Primus, Ritter Sport Nuss wird immer noch gekauft – obwohl die Schokolade bei Ihnen ein „Mangelhaft“ bekommen hat. Nehmen die Verbraucher Ihr Urteil nicht ernst?
Ich kann schon verstehen, dass die Leute zugreifen. Die Schokolade hat ja bei unserer Geschmacksprüfung und auch in anderen Punkten durchaus gut abgeschnitten. Worüber wir mit Ritter Sport derzeit vor Gericht streiten, ist die Deklaration. Das ist eine Frage des Verbraucherschutzes. Der Verbraucher muss erwarten können, dass Aromen und auch alle anderen Zutaten ordentlich deklariert werden.
Ritter Sport und seine Zulieferer sagen, dass das verwendete Vanille-Mandel-Aroma Piperonal natürlich hergestellt worden ist. Sie von der Stiftung halten das für unplausibel. Aber reichen Vermutungen, um die Schokolade mangelhaft zu nennen? Hat sich die Stiftung dieses Mal nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt?
Wegen der bestehenden einstweiligen Verfügung dürfen wir unsere Bewertung nicht mehr verbreiten. Wir haben uns aber nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt, und wir werden Berufung gegen die einstweilige Verfügung einlegen. Der Prozess wird sich darum drehen, wie man die Aromenverordnung auslegt. Je mehr Fakten dabei diskutiert werden, desto besser sind unsere Chancen, den Prozess zu gewinnen.
Haben Sie eine Haftpflichtversicherung gegen mögliche Schadenersatzansprüche?
Ja, die haben wir. Wir sind allerdings in 50 Jahren noch nie zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt worden.
Haben Sie Beweise, dass Ritter Sport beziehungsweise seine Zulieferer lügen?
Mit Blick auf den laufenden Prozess können wir uns dazu jetzt nicht äußern. Die Stiftung Warentest soll den Verbrauchern eine Orientierung beim Kauf geben.
Haben Sie den Verbraucher im Schokoladenstreit nicht eher verwirrt?
Wir nehmen hier eine wichtige Aufgabe für den Verbraucher wahr. Jenseits von Ritter Sport geht es doch um die Frage, was ein natürliches Aroma ist und was nicht. Das wird jetzt hoffentlich geklärt.
Spielen Sie sich nicht ein bisschen zu sehr auf?
Wir stoßen bei der Deklaration von Lebensmitteln, gerade in Verbindung mit Aromen, immer wieder auf Fälle von Verbrauchertäuschung. So zum Beispiel, wenn auf der Vanille-Eis-Packung echte Vanilleschoten aufgedruckt sind, aber nur synthetisches Aroma drin ist. Das darf nicht sein.
Interessiert das auch die Kunden?
Bei uns melden sich derzeit sehr viele Leser. Die eine Hälfte lobt uns, die anderen finden das Urteil zur Schokolade zu hart.
Ritter Sport ist nicht der erste Fall, in dem es Ärger gibt. Uschi Glas hat sich ungerecht behandelt gefühlt wegen des schlechten Urteils für die von ihr beworbene Gesichtscreme, die Hersteller von E-Bikes konnten die vielen Rahmenbrüche, die Sie ihnen vorwarfen, nicht nachvollziehen. Könnte der vorläufige Sieg von Ritter Sport andere Hersteller ermuntern, gegen die Stiftung zu klagen?
Davon gehe ich nicht aus, außerdem ist dieser Rechtsstreit noch nicht entschieden. Wir testen immer mit wissenschaftlichen Methoden, und unser gesamtes Verfahren ist auf Transparenz aufgebaut. Wir legen für jeden Test offen, wie wir getestet haben und wie sich die Bewertung zusammensetzt. Zur Transparenz gehört auch, dass wir das Prüfprogramm für jeden einzelnen Test in einem Fachbeirat mit Anbietern, neutralen Sachverständigen und Verbrauchervertretern diskutieren. Generell führen wir sehr wenige Prozesse, die wir meist gewinnen, übrigens auch im Fall Uschi Glas. Der Industrieverband BDI rät Unternehmen, nicht gegen unsere Urteile zu klagen, sondern lieber ihre Sicht in der Öffentlichkeit darzustellen. Bei den E-Bikes ist das genauso geschehen.
Sie arbeiten mit externen Prüflabors zusammen. Wie unabhängig sind die?
Bei über 100 Warentests, die wir jedes Jahr auf dem neusten technischen Stand durchführen, können wir nicht eigene Labors unterhalten, das wäre unbezahlbar. Die Labore, mit denen wir zusammenarbeiten, müssen neutral und unabhängig sein.
Sie testen Autoreifen und Kindersitze gemeinsam mit dem ADAC. Wie glaubwürdig sind solche Tests angesichts des Skandals um den Autopreis „Gelber Engel“? Halten Sie an der Zusammenarbeit fest?
Wir haben keine Veranlassung, an den Gemeinschaftstests zu zweifeln. Die Untersuchungen werden laufend von uns überprüft und nach unseren Kriterien durchgeführt. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Produkte verdeckt eingekauft werden. Allerdings wäre der ADAC gut beraten, seine kommerziellen Aktivitäten – etwa den Verkauf von Versicherungen – von seinem Service – den Autotests und der Pannenhilfe – zu trennen.
Der ADAC und die Stiftung Warentest landen in Umfragen weit vorn, wenn es um die Frage geht, wem die Verbraucher vertrauen. An wem sollen sich die Menschen jetzt orientieren?
Die Verbraucher können sich nach wie vor an den Ergebnissen unserer mehr als 100 Tests pro Jahr orientieren. Ein noch nicht rechtskräftiges Urteil ändert daran hoffentlich nichts. Beim ADAC sieht es anders aus, da muss verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückgewonnen werden.
Von Ihren Zeitschriften, „Test“ und „Finanztest“, verkaufen Sie immer weniger ...
... das hat sich im vergangenen Jahr geändert. Wir haben in fast allen Sparten zugelegt, vor allem beim Verkauf unserer Artikel über das Internet. Unsere Online-Erlöse haben wir im vergangenen Jahr um 40 Prozent gesteigert. Wir legen im operativen Geschäft um mehr als 1,5 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr zu. Das ist toll und deutlich besser als geplant. 2013 haben wir schwarze Zahlen geschrieben.
Allerdings hat das Verbraucherministerium kräftig mitgeholfen und Ihnen eine halbe Million Euro extra zugeschossen, weil in der Niedrigzinsphase nur geringe Erträge aus Ihrem Stiftungskapital kommen.
Als wir das Stiftungskapital bekommen haben, ist das Ministerium von einer jährlichen Verzinsung des Geldes von fünf Prozent ausgegangen. Das hat in der Niedrigzinsphase nicht funktioniert. Die 500000 Euro waren ein Ausgleich dafür.
Seit Juli vergangenen Jahres müssen Unternehmen, die mit dem Testurteil werben wollen, Geld zahlen. Was hat Ihnen das Logo-Lizenzsystem gebracht?
Seit vergangenem Juli dürfen Hersteller nur noch mit Testergebnissen werben, wenn sie eine Lizenz erwerben. Die gesamte Abwicklung läuft über das RAL, eine gemeinnützige Institution, die auch den Blauen Engel lizensiert. Eine Lizenz kann nur für maximal zwei Jahre erworben werden. Wir wollen damit verhindern, dass Unternehmen mit alten Testurteilen Werbung machen. Außerdem planen wir bei etwa jeder zehnten Lizenz Nachprüfungen, um zu schauen, ob die entsprechenden Produkte das Qualitätsurteil noch zu Recht tragen. Das soll verhindern, dass Unternehmen im Nachhinein Rezepturen verändern oder sonst irgendwie tricksen. 2013 haben wir mit dem Logo-Lizenzsystem insgesamt rund 550000 Euro eingenommen.
Gibt es noch andere Ideen, wie die Stiftung Geld verdienen könnte? Etwa durch den Vertrieb stiftungsgeprüfter Versicherungen oder Riester-Renten?
Nein. Wir konzentrieren uns auf unsere unabhängigen und neutralen Tests, den Verkauf der „Test“- und „Finanztest“- Hefte und die Einnahmen aus dem Logo-Lizenzsystem.
Leicht gesagt, wenn man jedes Jahr 5,5 Millionen Euro vom Verbraucherministerium bekommt! In den Koalitionsverhandlungen war sogar von weiteren Zuwendungen die Rede.
Wir finanzieren uns zu rund 90 Prozent durch eigene Einnahmen. Vier Millionen Euro bekommen wir als Ausgleich dafür, dass unsere Publikationen anzeigenfrei sind. 1,5 Millionen Euro werden für zusätzliche Untersuchungen im Bereich Finanzdienstleistungen zur Verfügung gestellt. Für unseren Wirtschaftsplan sind wir davon ausgegangen, dass es keine zusätzlichen Mittel gibt.
Das Interview führte Heike Jahberg.
DER CHEF
Hubertus Primus (58) ist seit zwei Jahren Chef der Stiftung Warentest. Der Jurist kam 1990 zur Stiftung, als Redakteur für „Finanztest“. Zwei Jahre später übernahm er die Chefredaktion. 1999 wurde Primus Chefredakteur der Zeitschrift „Test“ und zog in die Geschäftsleitung ein.
DIE STIFTUNG
Die in Berlin ansässige Stiftung ist eine der wichtigsten Verbraucherschutzorganisationen Deutschlands. Seit 50 Jahren testet sie Produkte und Dienstleistungen.
DER STREIT
Die Stiftung Warentest hatte behauptet, dass das von Ritter Sport verwendete Aroma Piperonal anders als auf der Verpackung angegeben nicht natürlich, sondern synthetisch hergestellt worden ist. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gewann Ritter Sport.
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