Autobauer in China: „Wir müssen Geduld aufbringen“
Mit großen Hoffnungen blicken die Autohersteller nach China, wo die Coronakrise überwunden scheint. Auch Volkswagen-China-Chef Stephan Wöllenstein ist optimistisch, warnt aber vor den Risiken des Neustarts.
Herr Wöllenstein, China ist quasi der letzte große Markt, auf dem Volkswagen in der Coronakrise noch Autos verkauft. Retten Sie den Konzern vor dem Kollaps?
Die Rollen haben sich vertauscht. Anfang des Jahres haben uns die intakten Märkte im Rest der Welt durch die Krise in China getragen. Jetzt können wir in China teilweise puffern, was in Europa oder in den USA wegbricht. Der Patient von gestern ist der Pfleger von heute.
Hat sich der chinesische Markt denn wirklich wieder erholt?
Ja, nach dem starken Einbruch im Februar (minus 80 Prozent) ging es im März wieder bergauf. Allerdings liegt der Markt im März wahrscheinlich immer noch 45 Prozent unter dem Vorjahreswert von 1,8 Millionen verkauften Pkw. Im Vergleich zum Vormonat also eine substanzielle Verbesserung – im Jahresvergleich immer noch ein deutlicher Rückgang.
Im Juni/Juli, so erwarten Sie, läuft alles in China wieder normal. Ist das nicht zu optimistisch?
Die Prognose gilt unter Vorbehalten. Corona darf in China nicht erneut ausbrechen und die Weltwirtschaft darf die Erholung der chinesischen Wirtschaft nicht drosseln. Außerdem dürfte ein Konjunkturprogramm der Regierung nötig sein, um die Binnennachfrage anzutreiben.
Sind alle 33 VW-Werke wieder am Netz?
Die beiden letzten gehen in Kürze wieder ans Netz. In einigen Fahrzeug- und Komponentenwerken läuft auch schon wieder der Drei-Schicht-Betrieb. Es hängt vom jeweiligen Modell ab, wo und wann wir die Produktion hochfahren. Wir tasten uns langsam und mit Blick auf den Gesundheitsschutz und die Marktsituation heran. In den Spitzenzeiten gab es in China 320 Arbeitstage im Drei- Schicht-Betrieb.
Seit einer Woche ist die Einreise nach China stark eingeschränkt. Wie sehr limitiert das den Hochlauf?
Das ist eher ein psychologisches Thema. Wir beschäftigen zusammen mit unseren Joint-Venture-Partnern in China über 1000 ausländische Mitarbeiter, von denen manche Familien gerade nicht einreisen dürfen. Das ist natürlich belastend.
Befürchtet wird, dass das Virus nun nach China importiert werden könnte.
Ich bin kein Virologe. In Peking und Shanghai werden seit einer guten Woche keine lokal Infizierten mehr gemeldet. Das erscheint mir realistisch, denn auch wir hatten unter unseren rund 100 000 Mitarbeitern im Land noch keinen positiven Covid-19-Fall. Die größten Sorgen bereiten die Fälle von infizierten Chinesen, die in die Volksrepublik zurückkehren. Allein in Europa sitzen nach meiner Kenntnis noch 16 000 chinesische Schüler und Studenten fest. Auch die Grenze zu Hongkong wurde geschlossen.
Aber der Warenverkehr läuft ungestört?
Ja, die lokale Produktion ist nicht beeinträchtigt. Volkswagen Group China schickt auch momentan fast im Tagesrhythmus per Luftfracht medizinische Hilfsgüter nach Deutschland und in europäische Nachbarländer. Die Güter sind Teil der Spende von Volkswagen für den Kampf gegen Corona. Wir unterstützen gern.
Verlassen Sie sich denn auf die offiziellen Zahlen der Regierung?
Wir ziehen unsere Rückschlüsse. Unsere Mitarbeiter bewegen sich ja auch in den großen Millionen-Städten. Wenn es hier eine große, verdeckte Dunkelziffer gäbe, dann müsste es statistisch auch unsere großen Standorte erwischen. Aber es gibt keine Coronafälle und daraus schließen wir, dass wir uns auf offizielle Angaben verlassen können.
Wie eingeschränkt ist das tägliche Leben noch und welche Auflagen müssen Sie in den Werken beachten?
In Peking gibt es aktuell eine Sondersituation, weil die Hauptstadt sich auf einen baldigen – bislang aber noch nicht terminierten – Volkskongress vorbereitet. Es öffnen täglich mehr Restaurants, allerdings mit strengen Auflagen, was etwa die Abstandsregeln betrifft. Das tägliche Geschäftsleben sieht auf den ersten Blick auch wieder normal aus, inklusive der Staus in der Rushhour. Aber das soziale Leben ist immer noch sehr stark eingeschränkt. Schulen, Unis und viele Dienstleistungs- und Servicebetriebe sind noch geschlossen.
Wie scharf sind die Kontrollen?
Lassen Sie es mich so sagen: Die chinesische Regierung sitzt wie an einem Wasserhahn, den sie Stück für Stück aufdreht, um zu sehen, ob es kontrolliert läuft. Wenn Sie zum Beispiel eine Shopping-Mall betreten, wird Fieber gemessen und die dazugehörige Mobilfunknummer notiert. Um Quarantänezeiten zu überblicken, wird erwartet, dass man eine App herunterlädt, die dokumentiert, wie lange man sich bereits in Peking aufhält. Der Reiseverkehr zwischen den Provinzen ist zudem noch reglementiert. Ich könnte also nicht einfach nach Shanghai fliegen und wieder zurück, denn dann müsste ich sofort wieder in 14-tägige Quarantäne. Ich kann auch nicht jeden beliebigen Eingang zu meiner Wohnanlage benutzen. Auch dort wird jedes Mal Fieber gemessen und kontrolliert, dass ich auch wirklich dort wohne.
Hält sich die Bevölkerung daran?
Ja, es gibt eine große Sensibilität. Hilfreich ist, dass Studenten und Wanderarbeiter noch nicht alle zurückgekehrt sind, da sie vermehrt öffentliche Verkehrsmittel in den Stoßzeiten benutzen. Aber man kann beobachten, dass die Menschen größere Ansammlungen meiden, Hygienetipps beherzigen und Abstand halten.
Was kann Deutschland vom chinesischen Krisenmanagement lernen?
Eine Lehre aus der Krise ist, dass sich Länder früh auf eine Strategie festlegen und an dieser auch strikt festhalten sollten, wie China oder Südkorea. Als Unternehmen stehen wir seit Tag eins auch fest zu unseren Maßnahmen: jeden Tag mehrmals Fieber messen, Desinfektion von Räumen und Klimaanlagen, Mundschutz- und Handschuhpflicht, Abstand halten, Homeoffice. Uns hilft, dass nicht nur die Arbeitgeber allein handeln, sondern die meisten Regeln auch außerhalb der Firma gelten. Wir können davon ausgehen, dass gesunde Mitarbeiter am nächsten Tag auch gesund wieder zur Arbeit kommen.
Ihr Appell lautet also: geduldig bleiben?
Ich kann die wirtschaftliche und persönliche Ungeduld gut verstehen. Nach allem aber, was wir hier seit Ende Januar erlebt haben, muss man diese Geduld wahrscheinlich aufbringen. Sonst riskiert man einen zweiten Knock-out. Wir haben acht bis zehn harte Wochen hinter uns – und gehen nun einen Weg zu einer kontrollierten Normalität.
Eine Kontrolle, die man sich in einer Demokratie nicht wünschen kann.
Die Systeme sind nicht zu vergleichen. Ich beschreibe nur, was in dem Land alles geleistet wurde. Nehmen Sie die Eindämmung des großen Brandherds der Virus-Epidemie in der Provinz Hubei mit der Hauptstadt Wuhan. Hier wurde nicht nur abgeriegelt, sondern es wurde auch eine maximale medizinische Versorgung gewährleistet.
Setzen mehr Chinesen jetzt auf den privaten Pkw statt auf den öffentlichen Verkehr?
Es gibt einen Nachholeffekt und eine zusätzliche Nachfrage, die aber vielleicht bis Ende dieses Jahres anhalten und sich dann normalisieren wird. Es gibt Appelle der Zentralregierung an die Provinzen und Großstädte, Quoten für die Zulassung privater Pkw zu lockern. Aber die Metropolen haben weiter das Ziel, die Luftqualität zu verbessern – etwa, indem mehr Elektroautos zugelassen werden.
Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer