Welthandel - TTIP: Wir müssen die Transport-Emissionen begrenzen - zuerst im Inland
Der Welthandel wächst und bringt Wohlstand. Mit ihm nehmen Emissionen zu: Bis 2050 vervierfacht sich der CO2-Ausstoss durch den internationalen Frachtverkehr, sagt unser Gastautor.
Dieser Text ist Teil unserer Debatte zum Welthandel. Auf unserem neuen Portal für Argumente und Zusammenhänge können Sie sich auch einen schnellen Überblick über die Diskussion zum aktuellen Klimagipfel in Paris verschaffen. Hier geht es zu unserer "Landkarte der Argumente" zum Klimagipfel.
Dass Handel zwischen Nationen eine gute Sache ist, demonstrierte der britische Ökonom David Ricardo vor 200 Jahren mit einem berühmten Gedankenexperiment. Was würde es die Briten kosten, wenn sie ihren Portwein selber produzierten, fragte Ricardo sinngemäß. Und umgekehrt: Welchen Aufwand würde es für die Portugiesen bedeuten, ihre Tuche nicht mehr aus England zu importieren, sondern eigene Webstühle anschafften?
Ricardos Schluss: Selbst wenn es den Briten gelänge, auf ihrer feucht-kühlen Inseln Wein anzubauen, so wäre das doch so aufwändig, dass sie billiger und besser wegkommen würden, wenn sie ihren Aperitif weiter aus dem fernen Portugal bezögen. Für die Portugiesen würde es sich gleichfalls nicht lohnen, den profitablen Weinbau zu vernachlässigen, um ihre Energie auf die Weberei zu richten.
Die Logik der internationalen Arbeitsteilung – jeder produziert und verkauft das, was er am besten kann und deckt sich bei anderen mit den Dingen ein, die diese effizienter herstellen - gilt unverändert. Sie bildet bis heute das Rückgrat des Welthandels, der seine erstaunliche Potenz als Triebfeder für wirtschaftliche Entwicklung kontinuierlich unter Beweis stellt.
Die Kosten des Erfolgs
Was sich geändert hat ist die Art und Weise, wie der Wein von Portugal nach Britannien kommt und die englische Textilien an den Douro. Statt wie zu Ricardos Zeiten CO2-neutral mit Segelschiffen werden Güter heute per Containerschiff oder Lkw, Bahn oder Luftfracht befördert. Das geht schneller, ist zuverlässiger und ermöglicht den Transport ganz anderer Mengen – aber es ist auch mit erheblichen Emissionen schädlicher Treibhausgase verbunden, weil unsere modernen Verkehrsmittel nach wie vor zu über 90 Prozent durch Öl und Kohle angetrieben werden. Der Preis für Wohlstand durch Welthandel, ist seit Ricardo erheblich gestiegen.
Das Thema Verkehr und Klima evoziert meist Bilder von Massenstaus in Megastädten. Aber nahezu ein Drittel aller weltweiten Verkehrsemissionen stammt aus dem internationalen Frachtverkehr. Die scheinbar endlosen Lastwagenschlangen, die die rechte Spur auf vielen Autobahnen Europas (wie anderer Weltgegenden) in Beschlag nehmen, sind das Symbolbild für die Erfolgsgeschichte des Welthandels wie für dessen umweltpolitische Kehrseite.
Diese Kehrseite müssen wir jetzt entschlossen angehen, wenn wir die wir die positiven Seiten weiter Genießen möchten. Die OECD prognostiziert, dass der Welthandel in den kommenden dreieinhalb Jahrzehnten wertmäßig um das 3.4-fache wachsen wird. Schon diese Zahl lässt erahnen, wie sich das globale Frachtverkehrsaufkommen entwickeln wird. Beim Weltverkehrsforum haben wir ein – preisgekröntes – Modell entwickelt, das den Warenwert in Güterströmen ausdrückt. Dessen Ergebnisse sollten uns nachdenklich machen: Als Frachtvolumen ausgedrückt wird der Welthandel noch deutlich stärker zunehmen, nämlich um den Faktor 4.3.
Mehr Waren, mehr Emissionen
Größere Warenmengen, die über weitere Distanzen transportiert werden bedeuten mehr Emissionen. Verschiebungen in den weltweiten Handelsströmen befördern zudem CO2-intensiven Güterverkehr per Straße: Der künftig stark zunehmende Handel innerhalb Afrikas und auf dem asiatischen Festland wird überwiegend mit Lkw abgewickelt werden, weil dort nachhaltigere Alternativen wie Schiene und Wasserwege wenig ausgebaut sind. Allein in Afrika werden die Emissionen aus grenzüberschreitendem Güterverkehr so bis 2050 um 700% zunehmen.
Weltweit wird sich der CO2-Ausstoss des Welthandels bis 2050 vervierfachen. Solch eine Entwicklung könnte die Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels ernsthaft unterminieren. Was tun? Den UN-Klimaverhandlungen, die in dieser Woche in Paris beginnen, wird es hoffentlich gelingen, die Regierungen der Welt endlich wirksam auf einen klar definierten Pfad zur Nachhaltigkeit festzulegen. Doch das Verhandlungsergebnis wird komplex und interpretierungsbedürftig sein, wie es bei multilateralen Vereinbarungen unter fast 200 Staaten nicht anders sein kann.
Handeln beginnt daheim
Die internationale Schifffahrt wie die Luftfahrt sind überhaupt nicht Gegenstand der Verhandlungen in Paris. Weil ihre Emissionen nicht Nationen zugerechnet werden können, haben die beiden UN-Unterorganisationen IMO und ICAO das Mandat, unabhängig von der UN-Klimakonvention Lösungen zu erarbeiten. Wiederum sind es dort an die 200 Staaten, die sich auf Maßnahmen einigen müssen. Sie werden für 2016 erwartet, aber bis diese in den CO2-Werten zum Tragen kommen, wird viel Zeit vergehen.
Der Kampf gegen die steigenden Emissionen aus dem Welthandel sollte deshalb buchstäblich vor der eigenen Haustür beginnen. Gerade 10 Prozent des internationalen Güterverkehrs findet innerhalb von Landesgrenzen statt, etwa zwischen Häfen und Fabriken im Hinterland. Die meisten ökonomischen Modelle des Welthandels erfassen diesen Anteil erst gar nicht
Dabei sind diese 10 Prozent verantwortlich für 30 Prozent der Welthandels-Emissionen. Mit begrenzten aber gezielten Eingriffen lässt sich hier also ein erheblicher Nachhaltigkeitseffekt erzielen. Und weil diese Maßnahmen in nationaler Kompetenz liegen und keine langwierigen internationalen Verhandlungen erfordern, lassen sie sich vergleichsweise zügig umsetzen. Wir müssen nur damit anfangen - am besten heute.
José Viegas ist Generalsekretär des International Transport Forum (ITF), einer zwischenstaatlichen Organisation mit 57 Mitgliedsstaaten, die zur Familie der OECD-Organisationen gehört. Das ITF organisiert einen Weltgipfel der Verkehrsminister in Leipzig.
José Viegas