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Alexander Hedderich (47) leitet seit 2009 bei der Deutschen Bahn die Güterzugsparte DB Schenker Rail. Seit 1999 hat der Diplom-Volkswirt bei dem Staatskonzern unter anderem als Wettbewerbsbeauftragter und oberster Stratege gearbeitet. Er gilt als einer der führenden Köpfe hinter dem Börsengang, der 2008 nur wenige Tage vor dem geplanten Termin abgesagt werden musste.
© Thilo Rückeis

Bahn-Vorstandsmitglied Hedderich im Interview: „Wir kämpfen um jeden Zug“

Alexander Hedderich, Chef der Güterzugsparte der Deutschen Bahn, spricht im Interview über die Energiewende, die Konkurrenz, Stuttgart 21 und den Schienenlärm.

Herr Hedderich, der Bahn-Konzern erzielt einen Rekordgewinn, aber Ihre Güterbahn schafft nur eine schwarze Null. Warum?

Das ist der Gewinn in Deutschland. Mit allen unseren europäischen Gesellschaften haben wir 2012 knapp 90 Millionen Euro eingefahren, rund 50 Millionen zum Beispiel in Großbritannien.

Eine Ertragsperle ist Schenker Rail trotzdem nicht.

Ich habe einen anderen Blick darauf: Bisher ging es für uns bergauf, wenn die Konjunktur gut lief und bergab, wenn die Wirtschaft stockte. Diesen Trend haben wir durchbrochen, allein in Deutschland haben wir das Ergebnis um 80 Millionen Euro verbessert. Schließlich ist der Transportmarkt in Europa seit Ende 2011 geschrumpft, auch für den Straßengüterverkehr. Bei DB Schenker Rail gab es 2012 den zweitgrößten Rückgang an transportierten Gütern in der Unternehmensgeschichte. Zugleich hatten wir die vierthöchste Ergebnissteigerung. Trotz des Gegenwinds von der Konjunktur haben wir einen großen Schritt nach vorne gemacht.

Die Politik will möglichst viel Verkehr auf die Schiene holen. Woran scheitert das?

Das Spiel ist nicht verloren. Doch gerade in einem Abschwung ist das Geschäft schwierig. Lokomotiven, Waggons und Anlagen verursachen auch Kosten, wenn die Wirtschaft nicht so viele Transporte bestellt. Wir müssen aber gerüstet sein für den Zeitpunkt, wo das Wachstum wieder anzieht. Das ist die Herausforderung. Auf lange Sicht ist der Schienengüterverkehr ein Wachstumsgeschäft, ich rechne hierzulande mit einem durchschnittlichen Plus von drei Prozent im Jahr. Allerdings kalkulieren wir zunehmende Schwankungen ein.

Reicht das, um den LKW zu überholen?

Die Schiene ist seit 2002 stärker gewachsen als der Gesamtmarkt. 2002 hatte die Schiene einen Marktanteil von 14,6 Prozent am deutschen Transportmarkt, 2012 waren es 17,2 Prozent. Der Trend hat sich gedreht – und das trotz der stark gestiegenen Preise für Energie, Trassen und Personal.

Die Bahn ist zu langsam, zu unflexibel, zu unzuverlässig, lästert die Wirtschaft.

Natürlich gibt es Bereiche, in denen wir besser werden können. Mitunter stoßen wir aber an Systemgrenzen. Etwa letzten Sommer beim Nord-Süd-Transport: Von den drei Trassen – über den Brenner, den Gotthard und den Lötschberg – waren zeitweise zwei wegen eines Erdrutsches und Bauarbeiten geschlossen. Der Lkw kann eine kleine Nebenstraße nehmen, der Zug hat nicht so viele Alternativen.

Ist die Schiene nicht schon an ihrer Leistungsgrenze, etwa entlang des Rheins?

Nein. In diesem Jahrzehnt wird das Wachstum des Güterverkehrs nicht an der Infrastruktur scheitern. Diese Frage könnte sich nach 2020 stellen. Das eigentliche Problem für das Wachstum ist die immer noch zunehmende Kostenbelastung.

Die Bahn hat gerade beschlossen, zwei Milliarden Euro ihres Geldes in Stuttgart 21 zu stecken. Das muss Sie doch ärgern.

Mit unserer europäischen Ausrichtung bei DB Schenker Rail können wir sehr gut einschätzen, dass die Infrastruktur in Deutschland am besten ist. Projekte wie Stuttgart 21 schaffen auch Kapazität für den Schienengüterverkehr.

Werden Sie den Sparkurs verschärfen?

Durch unserem „Aktionsplan Deutschland“ haben wir großen Erfolg gehabt und sind trotzdem bereit für den Aufschwung. Wir wollen – aus Kundensicht – die beste Güterbahn in Europa sein. Es geht darum, Effizienz und Produktivität zu erhöhen und an der Qualität zu arbeiten.

Planen Sie auch Personalabbau?

Wir haben derzeit mehr Kolleginnen und Kollegen an Bord als für das Geschäft nötig. Trotzdem bauen wir kein Personal ab – wegen der Demografie: Über die Hälfte der Belegschaft ist älter als 50. Bei einer Sanierung würden wir die Jungen aus der Firma treiben, das wollen wir nicht. Deshalb bilden wir überdurchschnittlich aus und bieten allen Auszubildenden eine Übernahme an, die das wollen und entsprechende Leistungen zeigen.

Sie verschrotten weitere Güterwagen?

Das heißt zuerst, dass wir unsere Flotte besser managen. Bislang lief ein Güterwagen im Jahr durchschnittlich 30 000 Kilometer, die Hälfte davon unbeladen. Nun setzen wir Güterwagen zum Teil in unseren osteuropäischen Gesellschaften ein, wo sich das Geschäft sehr gut entwickelt, und wir trennen uns weiter von alten Exemplaren.

Ihre Konkurrenten haben schon fast 30 Prozent Marktanteil. Was machen die besser?

Deutschland ist das zentrale Transitland für Bahn-Transporte, jede vierte Eisenbahn-Bewegung in Europa findet hierzulande statt. Auf diesem Markt muss man sein. DB Schenker Rail hat in den vergangenen Jahren jeweils etwa 1,5 Prozent Marktanteil verloren. In anderen Industrien war es nach einer Liberalisierung viel mehr. Wir kämpfen um jeden Kunden und jeden Zug. Übrigens handelt es sich bei unseren Konkurrenten oft nicht um kleine Privatfirmen, sondern um Töchter europäischer Staatsbahnen.

Die Wettbewerber vermiesen Ihnen vor allem bei den lukrativen Ganzzügen das Geschäft. Ist es rentabel, aufwendig zusammengestellte Einzelwagenzüge zu fahren?

Der Einzelwagenverkehr ist die Königsdisziplin im Schienengüterverkehr. Für uns ist es das Kerngeschäft, das wir mit unseren Partnern in der Allianz Xrail in Europa voranbringen wollen. Einen Kohle-Ganzzug von einem Hafen zu einem Kraftwerk zu fahren, ist nicht die Kunst. Dutzende Wagen bei Kunden zu sammeln, sie zu bündeln und am Ende an die Bestimmungsorte zu verteilen und damit noch Geld zu verdienen dagegen schon.

"Wenn wir eine Energiewende wollen, brauchen wir zugleich eine Verkehrswende."

Die Bundesregierung will die Ausnahmen der Schiene beim Ökostrom kassieren. Was würde das für Sie bedeuten?

DB Schenker Rail fährt mehr als 90 Prozent seiner Leistung in Deutschland elektrisch. Wenn wir eine Energiewende wollen, brauchen wir zugleich eine Verkehrswende. Mit einer Energiewende, die die Elektromobilität verteuert, wird das nichts.

Welche Mehrkosten kämen auf Sie zu, wenn es bei den Plänen von Umweltminister Peter Altmaier bliebe?

Die Diskussion ist ja noch nicht zu Ende. Wenn alle potenziellen Risiken aus dem EEG einträten, könnte auf die Schiene eine Mehrbelastung von fast 500 Millionen Euro zukommen.

Müssen Sie dann die Preise anheben?

Am Ende des Tages bleibt nichts anderes übrig. Die Produktivität versuchen wir ohnehin zu steigern. Höhere Kosten werden zu Lasten von Investitionen und Verkehrsmenge gehen.

Sie fahren auch Güterzüge nach Asien. Ist das ein Nischenprodukt, oder steckt darin Potenzial?

Das Produkt hat Zukunft, das zeigen etwa die Verkehre für BMW nach China. Die Wirtschaftlichkeit hängt allerdings stark von der Entwicklung der Frachtraten der Schiffe ab: Sind sie hoch, wird die Eisenbahn ein ernst zu nehmender Konkurrent auf dieser Strecke. Schwere und wertvolle Güter wie Laptops oder Autoteile sind prädestiniert für die Bahn. Weil Züge schneller sind, können diese Waren dann drei Wochen früher verkauft werden.

Wenn die Bahn eine stärkere Rolle spielen soll, müssen Sie noch das Thema Lärm in den Griff bekommen.

Das ist die große Herausforderung für die Branche. Die Deutsche Bahn will den Schienenlärm bis zum Jahr 2020 um die Hälfte reduzieren. Derzeit werden jeden Tag zwei Wagen auf neue, leise Bremsen umgerüstet.

Dann wird es noch lange dauern, bis Sie am Ziel sind.

7500 Wagen, also alle neu gekauften, haben schon eine leise Bremse. Wir setzen jetzt auf eine neue Technik, bei der ein Umbau günstiger ist. Mitte des Jahres soll es für diese Bremse eine Genehmigung geben. DB Schenker Rail wird dann so schnell wie möglich umrüsten.

Wie kann man das beschleunigen?

Jede Kostensteigerung bremst die Güterbahnen. Deshalb darf die Branche nicht alleine gelassen werden. Der Staat sollte Fördermöglichkeiten prüfen und anpassen.

Sie wollen mehr Geld vom Staat?

Im Moment will der Bund Zuschüsse zur Umrüstung leisten, dieses Geld aber aus dem Topf für die Infrastrukturfinanzierung umschichten. Es geht um knapp 140 Millionen Euro. Ich würde mir deutlich mehr wünschen. Das Thema Lärmschutz eignet sich auch gut für eine EU-Förderung.

Durch einige Dörfer am Rhein rollt alle vier Minuten ein Güterzug. Müssen diese Menschen im Sinne der Verkehrswende einfach damit leben?

Die Lärm-Grenzwerte müssen eingehalten werden. Aber das Thema bleibt Teil unserer Gesellschaft. Lärm innerhalb festgelegter Grenzen muss eine Gesellschaft aushalten, die sich als Industrienation versteht.

DER MANAGER: Alexander Hedderich (47) leitet seit 2009 bei der Deutschen Bahn die Güterzugsparte DB Schenker Rail. Seit 1999 hat der Diplom-Volkswirt bei dem Staatskonzern unter anderem als Wettbewerbsbeauftragter und oberster Stratege gearbeitet. Er gilt als einer der führenden Köpfe hinter dem Börsengang, der 2008 nur wenige Tage vor dem geplanten Termin abgesagt werden musste.

DAS UNTERNEHMEN: Mehr als 32 000 Menschen arbeiten heute europaweit für DB Schenker Rail. Das Unternehmen ist in 15 Ländern aktiv und verfügt mit mehr als 100 000 Güterwagen und gut 3500 Lokomotiven über den größten Fuhrpark auf dem Kontinent. Angesichts des hohen Kapitaleinsatzes gilt die Sparte aber als anfällig für Konjunkturschwankungen.

Das Interview führte Carsten Brönstrup.

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