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Die Forderungen der Leute waren berechtigt, sagt Theo Waigel.
© AP / Keystone

Theo Waigel zu Währungsreform: "Wir hatten keine Wahl"

Als Bundesfinanzminister hat Theo Waigel die Währungsunion mit verhandelt. Rückblickend sagt er: Was wir gemacht haben, war richtig.

Herr Waigel, sind Sie häufig in den neuen Ländern unterwegs?

Ja, immer wieder und immer wieder gern. Wenn ich mir überlege, wie es war, als ich in den 60er Jahren über die Transitstrecke von Bayern in die DDR gefahren bin, und ich sehe, wie sich die Welt seitdem verändert hat, ist das faszinierend. Ich kann mich noch erinnern, als ich 1965 mit der Jungen Union per Bus in die DDR gefahren bin. Wir sind sowohl bei der Hin- als auch bei der Rückfahrt dreieinhalb Stunden lang am Grenzübergang festgehalten worden, das war reine Schikane.
Die Junge Union war in der DDR natürlich auch nicht sonderlich beliebt …

Das ging ja später weiter. In den 80er Jahren war ich Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der CSU-Landesgruppe und habe die DDR besucht. Aus den Stasi-Akten habe ich dann später entnommen, dass für die Woche, die ich damals in Ost-Berlin, Leipzig und Dresden verbracht habe, 120 IMs beschäftigt waren, um mich zu überwachen. Ich wusste aber, was los ist. Deshalb habe ich an einem Abend um Mitternacht in Dresden im Hotel laut gesagt: „Meine Herrschaften, jetzt darf ich mich von Ihnen verabschieden. Sie werden jetzt sieben Stunden lang nichts mehr von mir hören, weil ich ins Bett gehe“. Selbst das haben sie protokolliert, allerdings mit dem Hinweise, „der zu Observierende ist sich der Observierung bewusst.“ Kurzum: Man hatte immer ein dumpfes Gefühl. Wenn ich heute durch Dresden, Leipzig oder Ost-Berlin gehe, denke ich an die alten Zeiten zurück. Und ich bin befreit und beglückt, dass die alten Zeiten vorbei sind.
Bei den Verhandlungen zur Wirtschafts- und Währungsunion sind Sie als Finanzminister auf eine DDR im Übergang getroffen – auf alte Kader und neue Reformer. Wie war das für Sie?

Mein Hauptverhandlungspartner war der damalige DDR-Finanzminister Walter Romberg. Das war ein untadeliger Mann, ein Demokrat. Ich habe nie ein schlechtes Wort über ihn verloren. Mir war klar, wie schwer er es hatte, die richtigen Informationen zu bekommen. Ich kann mich an eine Verhandlungsphase erinnern, da hat einer aus dem DDR-Finanzministerium gesagt, man müsse noch mal alle Kader aktivieren. Ich habe damals gedacht, was ist das denn für ein Vokabular. Aber das hatte der nun mal über Jahrzehnte so gehört und gelernt. Es gab einen Mann im DDR-Finanzministerium, der hatte die Zahlen – so gut wie es damals überhaupt möglich war – drauf, das war der damalige Staatssekretär Walter Siegert. Ohne den wären wir nie zu vernünftigen Abmachungen gekommen.
Wie realistisch waren denn die Zahlen, mit denen Sie gearbeitet haben?

Wir konnten zwar nicht in die Bilanzen hinein schauen, aber einige Dinge waren sicher. Wir wussten, wie hoch die Gehälter waren und die Renten. Die Beamten in der Deutschen Bundesbank und im Bundesfinanzministerium haben damals Höchstarbeit geleistet und die Herkulesaufgabe glänzend gelöst. Wir haben einen großen staatsrechtlichen Vertrag geschlossen und die soziale Marktwirtschaft in der DDR eingeführt.

"Die Leute hätten ihre Koffer gepackt"

Die Forderungen der Leute waren berechtigt, sagt Theo Waigel.
Die Forderungen der Leute waren berechtigt, sagt Theo Waigel.
© AP / Keystone

Mit der Umstellung der Löhne im Verhältnis eins zu eins haben Sie aber zahlreiche Kombinate in den Ruin getrieben!

Wir hatten keine Wahl. Wir mussten Löhne, Gehälter und Renten eins zu eins umstellen. Die Löhne und die Renten in der DDR betrugen nur ein Drittel, maximal 40 Prozent von dem, was im Westen in D-Mark ausbezahlt worden war. Bei einem schlechteren Kurs, etwa zwei zu eins, hätten die Menschen nur noch ein Sechstel bekommen von dem, was im Westen üblich war – ein unhaltbarer Zustand. Die Leute hätten doch alle ihre Koffer gepackt und wären in den Westen gezogen. Ich möchte mal an die große Währungsreform 1948 erinnern.
Nach dem Krieg? Da war das Umstellungsverhältnis aber doch zehn zu eins, also deutlich schlechter!

Ja, aber Löhne und Renten sind auch hier eins zu eins umgestellt worden. Bei der Wirtschafts- und Währungsunion im Jahr 1990 ist ja auch nicht alles eins zu eins angepasst worden, einige Werte sind ja mit eins zu zwei beziehungsweise eins zu drei umgestellt worden, unterm Strich hatten wir einen Umtauschkurs von eins zu 1,8. Das war ziemlich nahe an dem Vorschlag der Bundesbank, die damals eins zu zwei für das richtige Verhältnis gehalten hatte.
Aber es sind ja trotzdem viele Bürger aus der einstigen DDR in den Westen gegangen, weil sie keine Arbeit mehr hatten.

Das lag aber nicht nur an den höheren Löhnen, die die Kombinate nicht zahlen konnten, sondern daran, dass den Ost-Unternehmen die Märkte weggebrochen sind. Es hat doch nach der Wende niemand mehr einen Trabi oder einen Wartburg haben wollen. Und wegen der Veränderungen in der Sowjetunion ist auch noch der Ostblockmarkt verschwunden. Es gab keine Alternative zu den Privatisierungen durch die Treuhand. Das war für die Unternehmen die einzige Möglichkeit, den Markt im Westen zu erreichen.
Der Wirtschafts- und Währungsunion waren ja monatelange Demonstrationen in der DDR vorausgegangen mit Rufen wie "Eins zu eins, sonst werden wir niemals eins". Hatten Sie als Politiker damals überhaupt einen Spielraum beim Umtauschkurs?

Was die Leute gefordert haben, war berechtigt. Auch die Umstellung der kleinen Sparguthaben im Verhältnis eins zu eins. Sonst hätten die Menschen von ihrer Lebensleistung nichts gehabt. Sie hatten doch außer ihren Ersparnissen nichts, die Renten in der DDR waren niedrig, die meisten Menschen hatten kein Eigentum. Die Umstellung der Sparguthaben hat insgesamt 30 bis 35 Milliarden DM ausgemacht, das war nicht das Problem.
Was hat denn die deutsche Einheit insgesamt gekostet?

Zwei Billionen Euro.
Mit welchen Kosten hatten Sie damals gerechnet?

Ich habe gar keine Schätzung abgegeben, zum Glück. Der Schriftsteller Ernst Jünger hat mal auf die Frage, was er zu den Kosten der deutschen Einheit meint, gesagt: „Wenn dein Bruder vor der Tür steht, lässt du ihn rein und fragst nicht, was das kostet.“ Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute hatten damals mit 50 bis 500 Milliarden DM gerechnet, die lagen alle falsch. Selbst ein so kluger Mann wie der erste Präsident der Treuhand, Detlev Rohwedder, musste seine erste Schätzung des DDR Volksvermögens von plus 500 in minus 300 Milliarden DM korrigieren. Ich bin im Herbst nach Korea eingeladen, um dort darüber zu sprechen, was eine Wiedervereinigung kostet. Ich bin aber nicht sicher, ob ich zur Wiedervereinigung Koreas einen entscheidenden Beitrag leiste, wenn ich sage, wieviel das in Deutschland war.

"Der Osten hat unheimlich aufgeholt"

Ex-Minister, Ex-CSU-Chef, heute arbeitet Waigel als Rechtsanwalt in München.
Ex-Minister, Ex-CSU-Chef, heute arbeitet Waigel als Rechtsanwalt in München.
© imago/Stefan Zeitz

Was würden Sie den Koreanern raten, was sollte man auf keinen Fall bei einer Wiedervereinigung tun?

Die Probleme dort sind noch größer als sie bei uns waren. Und ich habe große Zweifel, dass das Regime in Nordkorea bereit ist, sich mit dem Süden zu vereinigen.
Wenn man heute durch Deutschland reist, stößt man tolle Städte im Osten wie Leipzig und verblühende Landschaften im Westen, etwa das Ruhrgebiet. Ist der Westen der neue Osten?

Wir haben heute ausgeglichenere Verhältnisse als zur Zeit des Kaiserreichs. Es gibt noch immer ein Ost-West-Gefälle, aber der Osten hat unheimlich aufgeholt, was Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit angeht.
Braucht man den Soli noch?

Der Soli steht dem Bund allein zu, daher ist er für den Bundesfinanzminister eine wichtige Einnahmequelle. Immerhin hat der Bund in den letzten Jahrzehnten ja auch 80 Prozent der Vereinigungskosten getragen. Aber der Soli wird nicht unendlich lange erhoben werden können, das geht schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht.
Sie waren nicht nur an dem Ende der DDR-Mark, sondern auch am Ende der DM beteiligt, die dem Euro weichen musste. Welche Währungsunion war schwieriger: die deutsch-deutsche oder die europäische mit der Einführung des Euro?

Der deutsch-deutsche Prozess musste schneller gehen, dafür konnten wir das alleine entscheiden.
Allerdings mit Rückendeckung der Alliierten, vor allem der des damaligen Staatspräsidenten der Sowjetunion Michail Gorbatschow …

Ich glaube nicht, dass wir unter Putin die deutsche Einheit erreicht hätten. Es war ein Glücksfall, dass wir damals Gorbatschow als Partner hatten und dass sich Jelzin an alles gehalten hat, was wir mit Gorbatschow vereinbart hatten. Für die europäische Wirtschafts- und Währungsunion hatten wir uns ein Jahrzehnt vorgenommen. Die ersten Beschlüsse der Regierungschefs waren aus dem Jahr 1988, die Beschlüsse über den Beginn der Währungsunion und die Teilnehmerzahl fielen im Mai 1998 in Brüssel. Der Abstimmungsprozess war auf europäischer Ebene schwierig, es waren alle Mitgliedsstaaten beteiligt, auch die, die sich dann gegen den Euro entschieden haben. Und die Beschlüsse mussten einstimmig erfolgen, sonst wäre der Vertrag von Maastricht nicht zustande gekommen.

"Das Bargeld abzuschaffen, ist problematisch"

Der Euro hat eine lange Schwächephase hinter sich.

Der Euro steht derzeit im Vergleich zum US-Dollar besser dar als die D-Mark in der meisten Zeit zwischen 1948 und 1998. Nicht der Euro ist das Problem, sondern ein Land in der Euro-Zone.
Wäre die Euro-Zone ohne Griechenland besser bedient?

Ich konnte mir 1997/1998 nicht vorstellen, dass Griechenland Mitglied der Währungsunion sein könnte und habe das auch damals, als die Griechen das wollten, abgelehnt. Die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone ist nach meiner Zeit erfolgt, die Entscheidung war falsch.

Einige Ökonomen wollen das Bargeld abschaffen. Was halten Sie davon?
Ach, wissen Sie, ich bin altmodisch. Wenn ich essen gehe oder tanke, zahle ich meistens bar. Ich weiß auch nicht, warum das schlecht sein soll. Wenn es darum geht, Missstände zu bekämpfen, also Schwarzarbeit oder Steuerhinterziehung, kann man das doch auch anders bekämpfen, etwa indem Quittungen vorgeschrieben werden. Das Bargeld abzuschaffen, halte ich für problematisch. Damit verändern wir nicht die Welt zum Besseren.

Theo Waigel (76) war von 1989 bis 1998 Bundesminister der Finanzen und 1988 bis 1999 CSU-Vorsitzender.

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