Unendlicher Ärger bei Karstadt: „Wir haben schon genug gegeben“
Karstadt-Mitarbeiter in Berlin protestieren gegen die „Tarifpause“ und fordern Investitionen von Berggruen.
Berlin – Die vielen schlechten Nachrichten haben Beate Hofer noch entschlossener gemacht. „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, sagt die groß gewachsene blonde Frau und lächelt. Seit 1991 arbeitet die 41-Jährige im Warenhaus in der Carl-Schurz-Straße in Spandau, das früher einmal Hertie war und heute zu Karstadt gehört. „Ich habe als alte Hertianerin nun schon eine Pleite und drei Sanierungen mitgemacht“, erzählt sie. Mit mehr als 50 Kollegen ist sie aus Spandau zum Alexanderplatz gekommen, um gegen den Ausstieg von Karstadt aus der Tarifbindung zu protestieren. Sie fühlt sich von Karstadt-Eigner Nicolas Berggruen betrogen. „Bevor er den Zuschlag bekam, hat er uns versprochen, dass wir in der Tarifbindung bleiben“, sagt sie. Bei Berggruens Rede vor dem Gesamtbetriebsrat vor drei Jahren saß sie selbst im Publikum. „Er hat gesagt, wenn Karstadt in Schwierigkeiten gerät, wird er Geld geben.“ Nun müsse Berggruen sein Versprechen endlich einlösen. „Für den ist das doch Taschengeld, er ist doch Milliardär“, sagt Hofer und zeigt auf das große Transparent, das die Kollegen aus Spandau mitgebracht haben, auf dem in dicken Lettern „Eigentum verpflichtet“ steht. „Wir Mitarbeiter haben schon genug gegeben“, sagt sie.
2010 hatten sich die Beschäftigten im Zuge der Übernahme durch Berggruen auf einen Sanierungstarifvertrag eingelassen. Sie verzichteten etwa auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, das Unternehmen konnte so jährlich 50 Millionen Euro sparen. Kurz nach dem Auslaufen der Vereinbarung im September 2012 verkündete der angeschlagene Warenhauskonzern Stellenstreichungen.
Dass Beate Hofer und ihre Kollegen Erfolg haben mit ihrem Protest, scheint seit vergangenem Donnerstag aber unwahrscheinlicher. Karstadt hatte nach einer Aufsichtsratssitzung in Essen die „Tarifpause“ erneut bekräftigt. Auch das Sanierungskonzept „Karstadt 2015“, das Vorstandschef Andrew Jennings auf den Weg gebracht hatte, solle fortgeführt werden.
Nicht nur das Vertrauen in Berggruen ist erschüttert, auch gegen Jennings richtet sich am Freitagmorgen auf dem Alexanderplatz die Wut. „Jennings hat immer gesagt, ,Karstadt 2015’ ist ein Marathon, und den muss man zu Ende laufen. Jetzt hält er selbst nicht durch“, sagt Hofer, die wie die anderen Mitarbeiter eine gelbe Warnweste trägt. Seitdem er das Unternehmen leite, klagt ein Mitarbeiter aus der Schuhabteilung, sei der Druck enorm gestiegen, weil die gleiche Arbeit mit deutlich weniger Leuten gemacht werden müsse. In Spandau, so erzählt Betriebsrätin Hofer, habe es 2010 185 Mitarbeiter gegeben, heute seien es 150.
Auch dass die Umsätze weiter sinken, kreiden die Beschäftigten dem Management an. „Kein Wunder, wenn wir ganze Abteilungen schließen“, sagt der Mitarbeiter aus der Schuhabteilung. „Die Leute waren richtig sauer, dass wir plötzlich keine CDs mehr verkaufen.“ Mit dem neuen Konzept wollte Jennings auch mehr junge Kunden in die Filialen locken. Nach Ansicht der Mitarbeiter aus Spandau ist das nicht geglückt. „Die Jungen kommen nicht, und die Älteren finden die neuen Marken nicht attraktiv“, sagt Hofer.
Zum Ärger, dem die Mitarbeiter mit Trillerpfeifen Ausdruck verleihen, kommt auch die Angst vor einer Pleite und dem Jobverlust hinzu. „Ich kann mir keine Rentenabschläge leisten und muss bis zum Schluss arbeiten“, sagt der 58-jährige Verkäufer aus der Schuhabteilung. Vorsorglich sei er schon einmal zum Arbeitsamt gegangen, um sich nach Alternativen zu erkundigen. „Die haben mir kaum Hoffnung gemacht“, erzählt er.
Zum Ende des Jahres läuft der Vertrag von Andrew Jennings aus, dann soll erneut jemand anders das Ruder bei Karstadt übernehmen. Die Mitarbeiter, die am Alexanderplatz streiken, scheint das kaum zu interessieren. „Egal, wer da oben sitzt, die hören doch eh nicht auf die Basis“, klagt die Kassiererin.
Solidarität gibt es an diesem Freitag auch von den Mitarbeitern anderer Handelsfirmen, die gekommen sind, um gegen die Kündigung der Tarifverträge in der Branche zu protestieren (siehe Kasten). Und von den Kunden. „Die haben Verständnis, dass wir streiken“, sagt die Kassiererin. Und ebenso Sorge, dass Karstadt pleitegehen könnte. „Eine Kundin kam zu mir und hat gesagt: Ohne Karstadt kann ich nicht leben“, erzählt sie.
Jahel Mielke