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Frühjahr 2011: Spanier demonstrieren in Berlin für mehr Gerechtigkeit in ihrem Land. Vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit treibt viele um - und aus dem Land.
© dpa

Arbeitnehmerfreizügigkeit: Willkommen in Deutschland, willkommen in Hartz IV

Die Euro-Krise setzt eine neue Zuwanderung in Gang. So zieht es junge Spanier nach Deutschland – auch wegen der Sozialleistungen.

In ihrer Heimat bekommen sie keinen Job und vom Staat keinen Cent. Deshalb zieht es junge spanische Akademiker zunehmend nach Deutschland. Viele wissen: Finde ich auch in der kalten Fremde keine Arbeit, bekomme ich wenigstens Hartz IV. „In Spanien gibt es gerade eine wahres Deutschlandfieber“, erzählt die 29-jährige Journalistin Zoraida Guijarro Cayuela, die selbst Ende 2010 nach Berlin gekommen ist – nach zwei Jahren vergeblicher Jobsuche in ihrer Heimat. Sie ist überzeugt: „Eine große Welle steht noch bevor.“ Doch die meisten von denen, die wie Guijarro Cayuela schon da sind, mussten feststellen, dass sie kurzfristig allenfalls Aussicht auf einen Hilfsjob haben und das auch nur, wenn sie einigermaßen Deutsch sprechen.

Bei der jungen Spanierin reichten die Sprachkenntnisse nicht aus, obwohl sie fast jeden Job angenommen hätte. Der Sachbearbeiter in der Arbeitsagentur vermittelte ihr einen bezahlten sechsmonatigen Deutschkurs und legte ihr auch gleich einen Antrag auf Hartz IV hin. Nun lernt Guijarro Cayuela seit November jeden Tag vier Stunden Deutsch und bekommt ihren Lebensunterhalt vom deutschen Staat finanziert. „Ich bekomme hier Hilfe, die ich in Spanien nie bekommen würde“, sagt sie.

Das hat sich offenbar herumgesprochen: In Berlin ist die Zahl der arbeitslos gemeldeten Spanier zwischen Januar 2011 und Januar 2012 um 60 Prozent gestiegen. Auch Angehörige aus anderen EU-Schuldenstaaten sind mit hohen Steigerungsraten dabei. So stieg die Zahl der arbeitslos gemeldeten Griechen im gleichen Zeitraum um 19 Prozent, die der Italiener immerhin auch um zehn Prozent.

In absoluten Zahlen ist der Trend allerdings noch nicht so riesig. 567 arbeitssuchende Spanier sind in der deutschen Hauptstadt gemeldet, bundesweit sind es rund 7000. Nur: Menschen wie Guijarro Cayuela, die einen Deutschkurs absolvieren oder in einer anderen Maßnahme der Arbeitsagentur stecken, tauchen in diesen Zahlen gar nicht auf. Und abebben wird der Zustrom angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage in Spanien, Griechenland und Co. wohl kaum.

Die Bundesregierung hat bereits reagiert, um eine Einwanderung aus europäischen Krisenländern in das deutsche Sozialsystem zu erschweren. Im Dezember ließ das Auswärtige Amt beim Europarat in Straßburg einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen von 1953 zu Protokoll geben, offiziell, um alle Europäer gleichzubehandeln. Denn bis dato hatten die Bürger der 18 Unterzeichnerstaaten, sobald sie in Deutschland gemeldet waren, Anspruch auf Sozialleistungen vom deutschen Staat. Dieses Privileg genossen unter anderem Spanier, Griechen und Franzosen – Polen und Österreicher dagegen nicht.

Seit Dezember gelten nun für neu ankommende Spanier, Griechen und Franzosen die gleichen Regeln wie für alle anderen EU-Bürger. Ein Anspruch auf Hartz IV besteht somit erst nach drei Monaten und auch nur dann, wenn der Antragsteller zuvor bereits in Deutschland gearbeitet hat und sich nicht nur zur Arbeitssuche in Deutschland aufhält. Doch die Hürde ist leicht zu nehmen: Um Hartz IV zu erhalten, reicht laut Arbeitsagentur bereits ein Praktikumsnachweis, denn der Anspruch ist nicht etwa an eine frühere sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gebunden.

Guijarro Cayuela fiel noch unter die alte Regelung, aber sie hätte auch unter der neuen Hartz IV beziehen können: weil sie bereits ein fünfmonatiges Praktikum in einer Berliner Onlinemarketingagentur absolviert hat. Dafür bekam sie monatlich 100 Euro. „Das reichte nicht zum Leben“, sagt sie. Dass sie in ihrem gelernten Beruf der Journalistin in Berlin nach dem Deutschkurs keinen Job finden wird, ist ihr klar. „Ich würde es lieben zu arbeiten, egal, ob als Kellnerin oder Klavierlehrerin“, sagt sie. „In Spanien gibt es nicht einmal solch einen Job für mich.“ Verbessert habe sich dort nur die Situation von Deutschlehrern.

Freizügigkeit für Arbeitnehmer, freier Warenverkehr, harmonisierte Vorschriften und vielfältige Fördermöglichkeiten: Wie Unternehmen von der EU profitieren können, lesen Sie im aktuellen Heft von „Berlin Maximal“, dem Mittelstandsmagazin des Tagesspiegels.

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