zum Hauptinhalt
Flugzeuge der Lufthansa stehen auf dem Münchner Flughafen (Archivbild)
© AFP/Christof Stache

Flaute wegen Coronavirus-Angst: Wieso die Krise der Lufthansa dennoch nutzen könnte

Der Coronavirus stürzt die Lufthansa in ihre größte Krise seit dem 11. September. Es geht um die Existenz. Doch am Ende könnte der Konzern gestärkt hervorgehen.

Es ist ein neues Phänomen am Himmel: „Geisterflüge“. Passagiere berichten in Zeiten des Coronavirus von fast leeren Flugzeugen. Und Airlines von „No-Show“-Quoten von bis zu 50 Prozent. Das heißt: Die Hälfte der auf einen Flug gebuchten Passagiere taucht am Gate gar nicht auf. Die Lufthansa reagiert darauf so radikal wie bislang kaum eine andere Fluglinie.

Lufthansa und die Töchter Eurowings, Austrian Airlines, Swiss und Brussels Airlines streichen jede zweite Verbindung. Hunderte Flugzeuge sollen in den nächsten Wochen am Boden bleiben, womöglich auch die gesamte A380-Flotte. 14 Maschinen des weltgrößten Passagierflugzeugs könnten „aufgrund der außergewöhnlichen Umstände“ zeitweise außer Dienst gestellt werden, teilte der Konzern mit.

Flugbuchungen gehen stark zurück

Es sind extreme Maßnahmen in außergewöhnlichen Zeiten. Weltweit geraten Fluglinien gerade mächtig ins Trudeln. Air France-KLM und American Airlines haben in den letzten Wochen die Hälfte ihres Börsenwerts verloren. Der Airline-Weltverband IATA rechnet mit Umsatzeinbrüchen von rund 113 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr. So dramatisch war die Lage lange nicht.

[Alle wichtigen Updates des Tages zum Coronavirus in den Fragen des TagesDazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten.]

„Die Flugbuchungen gehen massiv zurück. Dabei übersteigt die aktuelle Abwärtsentwicklung alle bisher gemachten Erfahrungen mit externen Schocks – der Nachfragerückgang ist stärker als bei der SARS-Krise, den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und der Weltwirtschaftskrise von 2008 bis 2009“, sagte Matthias von Randow dem Tagesspiegel.

Südkoreanische Soldaten sprühen Desinfektionsmittel am Flughafen in Daegu, Südkorea.
Südkoreanische Soldaten sprühen Desinfektionsmittel am Flughafen in Daegu, Südkorea.
© REUTERS/Kim Kyung-Hoon

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) warnt vor „ernsthaften Verwerfungen im System Luftverkehr“. Flugzeuge, die nicht fliegen, verdienen kein Geld. Aber Flugzeuge, die fast leer abheben und Kerosin verbrauchen, sind finanziell ein Fass ohne Boden.

Die Frage ist gerade: Welche Fluglinie verbrennt in nächster Zeit am meisten Geld – und wie lange reichen die Reserven? In der Frankfurter Lufthansa-Zentrale hat sich Vorstandschef Carsten Spohr für die Radikalkur entschieden. Es gibt nur einen Haken.

Geisterflüge, um Slots nicht zu verlieren

Die „Geisterflüge“ von Fluglinien wie British Airways und anderen haben einen bürokratischen Grund: Um wertvolle Start- und Landerechte an wichtigen Drehkreuzen nicht zu verlieren, müssen Airlines 80 Prozent dieser Rechte auch wahrnehmen. Steuert eine Fluglinie einen Airport seltener an, droht sie die – normalerweise heißt begehrten – Slots an die Konkurrenz zu verlieren und damit langfristigen Umsatz. Bei lukrativen Strecken kann das existenzentscheid sein.

Hat schwere Zeiten vor sich: der Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Lufthansa AG Carsten Spohr
Hat schwere Zeiten vor sich: der Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Lufthansa AG Carsten Spohr
© dpa/Boris Roessler

Mit der vorübergehenden Stilllegung der halben Flotte wettet die Lufthansa nun darauf, dass die Regelung wegen der Corona-Krise außer Kraft gesetzt wird, wie es etwa nach dem 11. September, während der Sars- und der Weltwirtschaftskrise gemacht wurde. „Diesen Weg sollte die Politik auch jetzt gehen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Airlines unnötige Flüge durchführen müssen, nur um sich ihre Slots zu sichern“, sagte eine Lufthansa-Sprecherin dem Tagesspiegel.

Auch der Klimaschutz ist ein Argument

Die Wette könnte aufgehen, denn die Airline hat ein Argument, das die Politik nicht ignorieren kann: den Klimaschutz. Die Bundesregierung ist jedenfalls schon überzeugt.

Mit fast leeren Jets weiter zu fliegen „wäre nicht nur wirtschaftlich irrsinnig, sondern auch klimaschädlich“, sagte der Luftfahrt-Koordinator der Bundesregierung, Thomas Jarzombek (CDU), dem Tagesspiegel. „Deshalb spricht vieles dafür, diese Regelung für die Zeit der Corona-Krise auszusetzen“. Zwar müsste die EU-Kommission dem zustimmen, „aber alles andere als grünes Licht aus Brüssel wäre angesichts der Lage keinem Bürger vermittelbar“.

Vor allem Mitarbeiter von Einsparungen betroffen

Wenn die Krise länger dauert, wird das aber nicht reichen. Schon jetzt spart die Lufthansa, wo sie kann, was vor allem die Mitarbeiter trifft. Einstellungsstopp, Vorbereitung von Kurzarbeit und unbezahlter Urlaub gehören zu den ersten Einschnitten. Die Investoren sind nervös und decken sich gerade mit Kreditausfallversicherungen ein, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet. Damit sichern sie sich für den unwahrscheinlichen Fall ab, dass die Lufthansa ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann.

Weitere Hintergründe zu den Auswirkungen des Coronavirus:

Der Konzern selbst ist gerade dabei, sich hunderte Millionen Euro zu leihen, um die Notreserven aufzufüllen. Auch die Flughäfen in Frankfurt und Düsseldorf besorgen sich gerade kurzfristig Geld. Ob und wann die Lufthansa, die eigentlich allergisch auf staatliche Subventionen reagiert, weil davon sonst nur ihre Konkurrenten profitieren, die Bundesregierung zur Hilfe rufen würde, bleibt offen.

Wenig los: Am internationalen Abflugterminal am John F. Kennedy Flughafen sind nur wenige Reisende unterwegs.
Wenig los: Am internationalen Abflugterminal am John F. Kennedy Flughafen sind nur wenige Reisende unterwegs.
© AFP/Spencer Platt

„Die Situation ist sehr dynamisch. Wir ergreifen laufend Maßnahmen, um die finanziellen Folgen des Nachfrageeinbruchs zu verringern“, heißt es in Frankfurt. Und: „Staatliche Hilfen in Ausnahmefällen waren und bleiben legitim“. Sollte die Krise so lange weitergehen, dass finanzielle Hilfen wie Überbrückungskredite nötig würden, dann „steht die Bundesregierung bereit, wichtige Verkehrsinfrastrukturen zu schützen“, sagte Luftfahrt-Koordinator Jarzombek. Noch sei es aber zu früh, darüber zu spekulieren. Neben Kurzarbeitergeld sei auch eine vorübergehende Entlastung bei den Abgaben wie den Luftsicherheitsgebühren eine Option. Eine Verschiebung der im Rahmen des Klimapakets verabschiedeten und symbolträchtigen Erhöhung der Luftverkehrsteuer habe „aktuell aber keine Priorität“, sagte der CDU-Politiker.

Coronavirus-Krise könnte Lufthansa stärken

So verrückt es in dieser Situation klingen mag: Langfristig könnten die aktuellen Verwerfungen die Stellung der Lufthansa womöglich sogar stärken. Der größte Airlines-Konzern Europas liefert sich seit Jahren einen ruinösen Verdrängungswettbewerb mit seinen Rivalen. Mit Kampfpreisen wird um Marktanteile gerungen in der Hoffnung, dass diese sich irgendwann in Gewinne ummünzen lassen. Allerdings wartet die Branche nun schon seit Jahren auf diesen Moment.

Die Krise dürfte die lange erwartete Konsolidierung nun beschleunigen. Dabei gilt das Serengeti-Prinzip: Nur die Stärksten und Schnellsten überleben. Die ersten Airlines geben bereits auf.

Felix Wadewitz

Zur Startseite