Interview: „Wieder nur die alten Schlachten“
Ökonom Rudolf Hickel zieht eine enttäuschende Bilanz der Beratungen
Herr Hickel, produziert diese Kommission mehr als nur einen Haufen Papier?
Es war richtig, die Kommission einzurichten. Sie diskutiert auf der Basis vieler Expertisen die wichtigen Grundfragen einer nachhaltigen Entwicklung Deutschlands. Allerdings war ich, was das Ergebnis betrifft, von Anfang an pessimistisch. Es wurden wieder die alten ordnungspolitischen Schlachten ausgefochten.
Ist der Graben tatsächlich unüberwindbar?
Marktgläubige und Marktskeptiker lassen sich kaum auf einen Nenner bringen. Die einen glauben, dass sich umweltverträgliches Wachstum von allein einstellt, ohne Regulierung. Die anderen wollen mehr sozialökologische Steuerung durch tiefe Eingriffe des Staates, weil zu viel Wachstum den Planeten zerstört. Wer ernsthaft Nachhaltigkeit für künftige Generationen will, braucht den Mut, auf das Wirtschaften Einfluss zu nehmen, braucht einen ökologischen Ordnungsrahmen für die Märkte.
Die Kommission ist angetreten unter dem Schock der Finanzkrise. Ist die Erinnerung daran bereits verblasst, so dass niemand einen dritten Weg wagt?
Die Finanzkrise hat bei den Beratungen leider bislang kaum eine Rolle gespielt. Vielleicht wäre die Bereitschaft zur Bändigung der durch die Finanzmärkte getriebenen Wachstumsgesellschaft größer gewesen, wenn die Auswirkungen kollabierender Finanzmärkte hierzulande schlimmer gewesen wären, etwa wie in den USA und Großbritannien.
Immerhin wird es einen neuen Wachstumsindikator geben.
Dazu hätte es keiner Enquetekommission bedurft. Darüber hat eine Wissenschaftlerkommission im Auftrag des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy bereits kluge Dinge herausgefunden. Der von Ideologien freie Expertenrat stellt der Politik und Öffentlichkeit Argumente zur Verfügung. Übrigens: Die Kritik an der Fixierung auf die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts zur Messung des Wohlstands wurde schon heftig Ende der 1960er Jahre diskutiert.
War die Kommission überfrachtet?
Absolut. Es wurde ein unglaublich breites Spektrum diskutiert, vom Klimawandel über den Ressourcenverbrauch bis zum Mindestlohn. Das war zu diffus. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit hätte in der ersten Etappe ausgeklammert werden müssen. Erst muss die Frage, welches Wachstum wir wollen und was der Staat dabei tun soll, geklärt werden. Bei der Umsetzung sind jedoch die sozialen Folgen auszusteuern.
Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.
Rudolf Hickel (70) ist Finanzwissenschaftler an der Universität
Bremen. Als Neokeynesianer stellt er die Nachfrage ins Zentrum der Wirtschaftspolitik und sieht
den Markt kritisch.
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