Unterwegs im Mekong-Delta: Wie Vietnam gegen die Folgen des Klimawandels kämpft
Vietnam ist stark vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht. Mit deutscher Hilfe versucht das Land die Küsten zu schützen. Bauern sorgen sich um den Reisanbau.
„Als ich vor mehr als 50 Jahren mit der Landwirtschaft begonnen habe, war das Meer nur 500 Meter von unseren Häusern entfernt. Man konnte das Wasser sehen“. Thach Soal deutet dorthin, wo heute ein dichter Mangrovenwald zu sehen ist. „Damals gab es keine Mangroven“, fügt der hagere 71-jährige Khmer hinzu. Er lebt in Au Tho B, einem kleinen Weiler in der Provinz Soc Trang an der Südostküste Vietnams im Mekong-Delta.
Wir sitzen vor seinem Haus und schauen auf die grünen Felder, die sich 200 Meter weiter bis zu den Mangroven erstrecken. Reis und Zwiebeln werden hier angebaut und bescheren den Bauern ein bescheidenes, aber sicheres Einkommen. „Landwirtschaft war damals nicht möglich“, sagt der Mann mit den freundlichen Gesichtszügen. 1977 gab es erste Überlegungen für die Anpflanzung von Mangroven, die in anderen Küstenbereichen des Mekong-Deltas Land und Bewohner schützten. Der Wald wuchs zwar allmählich, aber eine Überwachung gab es nicht. Immer wieder schlugen Dorfbewohner Feuerholz.
Heute schützt der Wald Dorf und Felder nicht nur vor dem Meer und die - offensichtlich wegen des Klimawandels - stärkeren Taifune. Er sorgt auch dafür, dass die Bauern ihr Einkommen auf umgerechnet fast 900 Euro pro Jahr verdoppeln konnten. Das erscheint immer noch wenig, reicht aber hier für einen Fernseher oder ein Moped.
In dem mittlerweile drei bis vier Meter hohen ausgedehnten Mangrovenwald leben Schnecken und Fische, die die Bauern sammeln, fangen und auf den Märkten verkaufen. „Wir sollten dem Wald nichts antun“, sagt Soal. Auch er weiß um den Klimawandel. „Die Regenfälle sind viel stärker geworden.“ Dicke Tropfen prasseln auf das Dach, ein junger Mann rutscht mit seinem Moped vor dem Haus auf dem schlammigen Boden aus. „Heute regnet es auch in der Trockenzeit und wir erleben Phasen der Dürre in der Regenzeit.“
Die Überwachung der Mangrovenwälder
Gemeinsam mit australischen Gebern hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in Absprache mit der vietnamesischen Regierung ein Management-Modell für den Mangrovenwald in Au Tho B entwickelt. Seit drei Jahren regeln rund 800 Frauen und Männer wie Soal die Überwachung selbst, schauen, dass kein Holz geschlagen wird und dass die Dämme draußen vor der Küste intakt sind. Insgesamt profitieren rund 1.200 Haushalte in vier Dörfern von dem Modell, 950 Hektar Mangrovenwälder werden so geschützt.
Szenenwechsel auf die andere Seite des Mekong-Deltas nach Vam Ray in der Provinz Kien Giang. Zu erreichen sind die Häuser und Hütten der Menschen hinter den Mangrovenwäldern und dem kleinen Damm nur zu Fuß, dem Fahrrad oder dem Moped. Der 66-jährige Tang Nhat Anh und seine Frau leben hier seit 1992. Nach seiner Zeit beim Militär hat sich Anh ein Grundstück gekauft und ein bescheidenes Anwesen gebaut. Die drei erwachsenen Kinder sind längst aus dem Haus.
Lange war nicht klar, ob sie und die anderen Bewohner wirklich in Vam Ray würden bleiben können. Kaum noch vorhandene Mangroven, Erosion, immer heftigere Regenfälle und Taifune ließen das Meer immer weiter an die Häuser herankommen. „Früher konnten wir das Meer sehen und einfach nach vorne laufen“, erinnert sich der 66jährige. 100 Meter Küstenlinie seien allein in einem Jahr wegespült worden, im Durchschnitt holte sich das Meer jährlich 30 Meter Land. Salzwasser drückte ins Land, bedrohte den Anbau von Reis und Gemüse.
Die Kraft des Wassers
2006 wurde auch der Provinzregierung das Problem bewusst genauso wie dem Landwirtschaftsministerium in Hanoi. Experten auch der GIZ wurden hinzugezogen. Die Idee: Draußen im Meer mit tatkräftiger Hilfe der Menschen in Vam Ray mehrere Reihen von Zäunen aus Pfählen der lokalen Melaleuca-Bäume ziehen. Sie brechen die Kraft des Wassers. Beim Rücklauf wird das Ausschwemmen des für die Mangroven wichtigen Schlicks verhindert. Anh hat mitgeholfen, die Zäune zu ziehen, mit Baggern wurden die Pfähle bis zu fünf Meter tief in den Boden gerammt.
Die Maßnahmen haben gewirkt, sagt Kirsten Hegener, Sie leitet das Programm Umwelt, Landwirtschaft und Klimawandel der GIZ in Vietnam. Bis 2021 stellt sie im Auftrag des BMZ für den Kampf gegen den Klimawandel im Mekong-Delta knapp 19 Millionen Euro bereit. „Eine Fläche von zehn Hektar und damit von rund fünfzehn Fußballfeldern konnte in Vam Ray innerhalb von zwei Jahren wiedergewonnen werden“, beschreibt Hegener einen Erfolg des Programms. In der gesamten Provinz wurden seit 2015 rund 50 Kilometer Küste durch Zäune gesichert. Die Gefahr ist aber längst nicht gebannt. Allein in der Provinz Kien Giang sind ein Viertel der 205 Kilometer langen Küste schwer von Erosion gezeichnet, zeigt der von der GIZ geförderte Einsatz von Drohnen.
„Ein schmaler Streifen von 5.000 Hektar Mangroven bildet noch einen Schutz für Agrarflächen. Der durch Klimawandel bedingte Anstieg des Meeresspiegels bleibt eine große Gefahr“, sagt Hegener. Im gesamten Mekong-Delta geht es um eine Küstenlinie von 720 Kilometern. 17 Millionen und damit rund ein Fünftel der gut 95 Millionen Bewohner Vietnams leben hier, 4,5 Millionen sind unmittelbar von den Folgen des Klimawandels betroffen. Das Land ist weltweit zweitgrößter Reis-Exporteur, 55 Prozent davon werden Im Mekong-Delta gewonnen. Und 65 Prozent der Meeresfrüchte, vor allem Shrimps, und 70 Prozent des Obstes und des Gemüses. Gleichzeitig ist das Delta die drittgrößte Industrieregion des Landes und steuert 20 Prozent zum Sozialprodukt bei.
Statt drei gibt es nur noch zwei Reisernten
Vietnam gehört zu den weltweit zehn am stärksten vom Klimawandel bedrohten Ländern. In den letzten 50 Jahren ist der Meeresspiegel um 20 Zentimeter gestiegen, bis Ende des Jahrhunderts könnte es ein Meter sein, sagt Hegener. Dies würde 40 Prozent des Deltas überschwemmen und die Böden versalzen. Reisanbau und Landwirtschaft wären unmöglich. Verschärft wird die Lage durch die Übernutzung des Grundwassers. Dies lässt das Land absinken. Wodurch der Anstieg des Meeresspiegels noch bedrohlicher wird.
Deshalb unterstützt die GIZ in Absprache mit dem Landwirtschaftsministerium die Bauern auch bei neuen Methoden im Reisanbau. Der benötigt extrem viel Wasser und ist etwa in der Kommune Vinh Hung unweit der Provinzhauptstadt Bac Lieu zudem durch eindringendes, versalzenes Brackwasser bedroht. „Während die Felder früher dauerhaft geflutet wurden“, erklärt Nguyen Hong Khiem von der Landwirtschaftsbehörde, „werden sie nun abwechseln bewässert und trockengelegt“. Statt drei gibt es nur noch zwei Reisernten jährlich, in der dritten Periode wird Mais oder Gemüse angepflanzt.
Der Wasserverbrauch sei dadurch um fast ein Drittel gesenkt worden, deutlich weniger Pestizide müssten eingesetzt werden. Die Böden werden kaum noch ausgelaugt. „Zudem entsteht ein Viertel weniger klimaschädliches Methan“, ergänzt Hegener. Bei all dem liefern die Felder mehr Reis als früher, pro Hektar gab es allein von 2011 auf 2012 Mehreinnahmen von 4,3 Millionen Dong, umgerechnet stolze knapp 170 Euro.
Rund 1.100 Bauern und Bäuerinnen wie die 39jährige Luong Tho Thuy wurden bislang trainiert. Sie geben ihre Erkenntnisse an andere weiter - auch weil es sich eben auch finanziell lohnt. Die Einkommen haben sich verdoppelt auf je nach Anbaufläche bis zu 6.000 Euro im Jahr. „Wir brauchen heute weniger Saatgut und weniger Wasser“, sagt Thuy vor den saftgrünen Reisfeldern. Die Ernte steht kurz bevor.
Sonne und Wind werden kaum als Energielieferanten genutzt
Vietnam freilich trägt selbst zur Klimabelastung bei. Die Energieversorgung des Landes basiert neben großen Wasserkraftwerken auf billiger einheimischer Kohle. Sie bleibt wichtig wie Ingmar Stelter betont. Er ist bei der GIZ in Vietnam für erneuerbare Energien zuständig. 2018 wurden 41 Prozent des Strombedarfs aus Kohle gedeckt, 38 Prozent aus Wasserkraft, 19 Prozent aus Gas, aber nur 0,5 Prozent aus Sonne und Wind, obwohl die Sonneneinstrahlung hier knapp 1.000 Kilometer nördlich des Äquators intensiv ist. Dabei wächst der Stromverbrauch in Vietnam mit elf bis 12 Prozent jährlich fast doppelt so stark wie die Wirtschaftsleistung. 99 Prozent aller Haushalte sind an das Netz angeschlossen - für Stelter eine Erfolgsgeschichte.
Energie frisst nicht nur die boomende Industrie vor allem um Ho Chi Minh City, sondern auch rasant wachsende (Millionen-) Städte im Mekong-Delta wie Ca Mau oder Bac Lieu, wo hell erleuchtete Einkaufszentren aus dem Boden schießen und Dutzende Vier- und Fünf-Sterne Hotels zwischen Parolen der sozialistischen Einheitspartei und Konterfeis von Ho Chi Minh fertiggestellt wurden und noch gebaut werden.
2012 haben Partei und Regierung in Hanoi eine „grünes“ Wachstumskonzept ausgearbeitet. Der Anteil von Sonne und Wind an der Stromgewinnung soll bis 2030 auf mehr als 20 Prozent steigen. Die GIZ hilft dabei, unter anderem mit Programmen zur Steigerung der Energieeffizienz und der Ausarbeitung einer Einspeisevergütung für Strom aus Sonne und Wind. „Die hat zwischen April und Juli 2019, dem Auslaufen der aktuellen Einspeisetarife, zu einem wahren Boom geführt“, sagt Stelter. In nur drei Monaten wurden Solaranlagen mit einer Leistung von 4.000 Megawatt installiert. Das ist im Mekong-Delta deutlich sichtbar - auf den Dächern von Häusern und Fabrikhallen.
Etwa in der Provinz An Giang. „Die Energieressourcen werden knapp und der Klimawandel wird deutlich,“ betont Doan Minh Triet, stellvertretender Direktor der lokalen Industriebehörde DOIT im Konferenzsaal in Can Tho vor der Büste von Ho Chi Minh. Deshalb müsse man Sonne und Wind nutzen. „Vier größere Anlagen mit 214 Megawatt sind zurzeit in Betrieb. Und 498 Solaranlagen auf Hausdächern mit 3.762 Megawatt“. Solche kleineren Anlagen auf Dächern sind wichtig, weil der Platz für größere Anlage angesichts der intensiven Landnutzung im Mekong-Delta knapp ist.
Um Geschäftsleute, Fabrikbesitzer und Verbraucher in der Region zu überzeugen, hat die Behörde auf dem Dach ihres Gebäudes eine kleine Anlage installiert. Ein Monitor im Eingangsbereich zeigt die aktuell produzierte Strommenge und den Klima-Effekt. „Das vermeidet CO 2-Emissionen von rund 3.620 Tonnen pro Jahr“, schaut Triet ein wenig stolz auf den Monitor.
Ein paar Kilometer weiter bei der Sao Mai Corporation, die sich mit Fischverarbeitung beschäftigt, sind die Dächer der Hallen mit Dutzenden von Reihen mit Panels vollgestellt. Es ist die bislang größte Anlage im Delta mit einer Leistung von 1,06 Megawatt. 1,5 Millionen Euro hat das Unternehmen investiert - ohne öffentliche Förderung. Ein auf Dauer nicht nur für das Klima lohnendes Investment, wie Truong Vinh Thanh, der Vize-Direktor betont. „Jeden Monat sparen wir 450 Millionen Dhong“. Das sind nahezu 18.000 Euro.
Kein Wunder, dass Sao Mai mit seinen 10.000 Beschäftigten in der Provinz zwei weitere Solaranlagen betreibt und in drei anderen Provinzen des Deltas Projekte im Auge hat. Über hundert Millionen Euro, schätzt GIZler Stelter werde das Unternehmen investieren, wovon dann wie bei den bisher installierten Anlagen auch Siemens und die deutsche SMA profitieren dürften.
Die Herausforderungen des Klimawandels sind im sozialistischen, auf eine kapitalistische Wirtschaft ausgerichteten südostasiatischen Land offenbar erkannt. 4,7 Millionen Euro an deutschen Steuergeldern, die die GIZ für das Energie-Programm in Vietnam bis 2021 investiert, scheinen gut angelegt. Für das Klima, für Vietnam und zumindest zu einem kleinen Teil auch für deutsche Unternehmen.
Der Autor war auf Einladung der GIZ fünf Tage in Vietnam unterwegs. Er hat sich an den Reisekosten beteiligt.
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