Erfinder der Pauschalreise: Wie Thomas Cook Kaiser Wilhelm mit 800 Maultieren ins Heilige Land brachte
Der Pauschaltourismus steckt in der Krise - und mit ihr Thomas Cook, der Konzern, der sie erfand. Dabei blickt er auf eine bewegte Geschichte zurück.
Lang war die Fahrt nicht, knapp 18 Kilometer um genau zu sein. Aber die meisten der 485 Reisenden dürften ihren Spaß gehabt haben. Es gab Schinkenbrote, Tee und Kuchen, eine Blaskapelle, alles für einen Schilling, Kinder die Hälfte. Kein Schnäppchen, sondern immerhin ein Drittel des täglichen Handwerkerlohns, aber für viele noch erschwinglich. Am Abend des 5. Juli 1841 brachte der Zug – dritte Klasse, offener Waggon – die Fahrgäste zurück nach Leicester. Und wieder standen Schaulustige an der Strecke, jubelten ihnen zu.
Es muss ein Spektakel gewesen sein, aber wahrscheinlich ahnte nicht einmal Thomas Cook selbst, dass er gerade Historisches vollbracht hatte. Das Arrangement, das der damals 33-jährige Buchdrucker aus den englischen Midlands für ein Abstinenzler-Treffen organisiert hatte, ging als Geburtsstunde des Pauschaltourismus in die Geschichte ein.
Nach diesem Trip von Leicester nach Loughborough wurde Cook gefragt, ob er nicht häufiger solche Ausflüge arrangieren könne. Er tat es und begründete ein Unternehmen, das zum Wegbereiter des modernen Tourismus werden sollte. Das Geschäftsmodell funktionierte 178 Jahre lang. Jetzt aber sind Cooks Nachfolger in Turbulenzen geraten. Den Tiefpunkt lieferten Mitte Mai die Analysten der Citigroup mit dem Kursziel null Cent für die Aktien des Reisekonzerns. Zwar hat sich der Kurs seitdem stabilisiert. Doch voraus gingen drei Gewinnwarnungen in Folge. Der Pauschaltourismus ist in der Krise.
Pauschaltourismus, das klingt nach 1970ern
Denn die Probleme sind nicht nur kurzfristiger Natur – ein heißer Sommer, der viele zum Zuhause-Bleiben verleitete, das schwache Pfund, das Briten die Reiselust austrieb – sie sind auch strukturell. 14 Tage Sand und Sonne mit all inclusive Service; das verspricht im Geschäft der großen Veranstalter keine guten Margen mehr.
Nicht unter dem Preisdruck der Online-Portale. Starke Worte sind dazu gefallen: Das Wort Pauschalreise müsse verboten werden, sagte TUI-Chef Fritz Joussen schon vor zwei Jahren. Auch Stefanie Berk, Geschäftsführerin von Thomas Cook Deutschland, hätte gern einen neuen Begriff geprägt, denn Pauschalreise, das klinge nach den 1970ern.
Tatsächlich ist die Idee sehr viel älter. Und am Anfang stand die Frage, wie konnte es einem Laienprediger und bekennendem Antialkoholiker wie Thomas Cook überhaupt gelingen, eine derartige Strategie zum Erfolg zu führen. Vielleicht, weil er schon ahnte, dass Karl Marx irrt, bevor der überhaupt behaupten konnte, Religion sei Opium fürs Volk. Binnen eines Jahres legte Cook in seiner englischen Heimat 4332 Kilometer als Missionar zurück, und zwar zu Fuß.
Danach war ihm klar, dass sein Glaube allenfalls eine schwache Droge war. Viel stärkere Wirkung entfaltete zu Cooks Zeiten der Alkohol. Der Gin-Konsum bedrohte die Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung. Eine beliebte Redensart begann mit der Frage: Wie kommt man am billigsten raus aus Manchester? Antwort: Durch einen Rausch. Cook, der als Lehrling unter den Schikanen seiner alkoholisierten Meister gelitten hatte, verfolgte den Plan, Reisen anzubieten, die nicht viel mehr kosten sollten, als ein Besuch im Pub.
Normalbürger konnten sich nun Reisen leisten
Schon bald veranstaltete er Exkursionen in britische Seebäder. Das Problem: Kein Proletarier durfte damals auf Urlaub hoffen, allenfalls der Sonntag war frei. Also organisierte Cook Mondscheinfahrten, aufgebrochen wurde spätabends, heimgekehrt auch. Das noch junge Verkehrsmittel Bahn übernahm dabei in seiner Kalkulation eine Rolle, vergleichbar jener der Billigflieger heute. Eine Bahnfahrt kostete nur ein Drittel dessen, was für die Postkutsche aufzuwenden war. Ein bis dahin elitäres Vergnügen geriet so in Reichweite des Normalbürgers.
Wie schwierig das Geschäft damals jedoch war, illustriert eine Fahrt nach Schottland, die er für 700 Teilnehmer 1849 anbot. Cook musste mit einem halben Dutzend konkurrierender Bahngesellschaften verhandeln, bis er die Tickets nach Edinburgh beisammen hatte. Die Tour wurde zum Desaster. Es regnete ohne Unterlass in die offenen Waggons. Als eine Kupplung brach, blieben mehrere Anhänger in der Dunkelheit zurück.
Erst spät in der Nacht konnte Cook seine Kunden auf die Gasthöfe von Edinburgh verteilen. Das Presseecho war nicht gut. Und doch war gerade die Überwindung solcher Schwierigkeiten ein Schlüssel zum Erfolg, – und ist es heute noch. Falls etwa eine Airline Pleite macht, ist es der Veranstalter, an den sie sich wenden können. Bei sprachlichen Problemen darf der Klient auf die Reiseleiter hoffen.
Den Grundstein dafür legte Cook, etwa mit der Einführung des Hotelgutscheins. Ganz egal welche Währung vor Ort akzeptiert wurde, Touristen sollten sich darum nicht scheren müssen. Die Kundschaft dankte es ihm. Auch Mark Twain, zwischen 1867 und 1897 mehrfach auf Europareise und von schikanösen Verhältnissen auf den Bahnhöfen entnervt, lobte den Veranstalter: „Cook besorgt dir überall Hotels, seine Helfen kümmern sich um dein Gepäck, besorgen dir Führer oder Pferde, Esel, Kamele, Fahrräder oder was immer du wünschst.“
Krisen deutete Cook zu seinem Vorteil um
Schon die Weltausstellung 1851 wurde nicht zuletzt dank Cook ein Erfolg, transportierte er doch 165.000 Briten nach London. Bald expandierte er über den Kanal. 1856 hatte Cook Belgien, Frankreich und Deutschland im Programm. Zur Pariser Weltausstellung brachte er 1867 20.000 Gäste ans Ziel, 22 Jahre später, wieder in Paris, waren es schon 200000. Cook nahm die Schweiz ins Programm auf, er machte das Rheinland zu einem Synonym für Deutschland.
Als 1870 der deutsch-französische Krieg begann, war das ein herber Rückschlag. Touristen verpassten die mit Soldaten voll besetzten Züge oder fuhren gar nicht erst los. Cook wurde mit einer Menge nicht einzulösender Buchungen konfrontiert, die er „ohne zu zögern“ erstattete, wie er in der Presse verbreiten ließ. Das stärkte seinen Ruf, den Reisenden in jeder Situation zur Seite zu stehen.
Zur gleichen Zeit hatten Thomas und sein Sohn John Mason Cook die Aktivitäten bereits auf Ägypten und Palästina ausgedehnt, die Region erlaubte ihnen auch gute Geschäfte im Winter. Schon bald fuhr auf dem Nil kein Dampfer mehr, der nicht in ihrem Auftrag unterwegs war. Das musste sogar die britische Regierung anerkennen. Als ihr General Gordon 1885 wegen des Mahdi-Aufstandes im sudanesischen Khartum festsaß, überließ sie die logistisch komplizierte Operation der Firma Cook, die das gesamte britische Expeditionskorps den Nil hinunter transportierte. Es war wohl das erste und einzige Mal, dass eine Militäraktion auf die Hilfe eines Reiseunternehmens angewiesen war. Zwar kam die Truppe zu spät, Gordon wurde in Khartum von den Aufständischen massakriert, am Ruf von Cook änderte das nichts.
Kaiser Wilhelm II war sein Gast
Um die Einstiegspreise gering zu halten, waren die Margen gering. Das Geschäft machten die Cooks mit Optionen. Die Kunden konnten ein besseres Hotel hinzubuchen, oder eine bequemere Anreise. Richtig gut verdiente Cook mit den hochpreisigen Palästinafahrten.
Für die beste Werbung sorgte der deutsche Kaiser. Wilhelm II plante für 1898 einen Besuch im Heiligen Land. Die Details überließ er „Thomas Cook & Son“. Firmenchef John Mason Cook, Vater Thomas war inzwischen verstorben, übernahm die Abwicklung persönlich. Die Firma organisierte 800 Maultiere und 156 Kutschen, 290 Kellner servierten in der Wüste opulente Menüs, 270 Zelte mussten aufgeschlagen werden. Für ihre Bemühungen berechnete Cook 48.143 Pfund, 2 Shilling und 3 Pence. Damals galt der Goldstandard. Ein Pfund Sterling entsprach knapp 8 Gramm Gold. Der Goldwert dieser Summe würde heute rund 14 Millionen Euro ausmachen.
Bis 1928 blieb die Firma in Familienbesitz, bis zur Übernahme durch die belgische Schlafwagengesellschaft „Compagnie International des Wagons-Lits“. Heute ist Thomas Cook ein Konzern mit Sitz in London, zum deutschen Ableger gehören Neckermann Reisen, Öger Tours, Bucher Reisen. Die Fluglinie Condor ist Teil der „Thomas Cook Group Airline“.
Mit "Erlebnischarakter" aus der Krise
Wie nun soll der Konzern aus der Krise kommen? Zum Beispiel mit mehr individualisierten Leistungen. TUI, größter Konkurrent und Marktführer in Deutschland war da schneller. Auch TUI verdient weniger im Pauschalgeschäft und versucht sich unabhängiger zu machen von Buchungsportalen. 70 Prozent des Ergebnisses würden mit „eigenen Hotels, Kreuzfahrten, Erlebnissen und Aktivitäten am Urlaubsort erzielt“, sagte Vorstandsvorsitzender Fritz Joussen bei Vorlage der Halbjahreszahlen Mitte Mai.
Auch Thomas Cook will stärker auf solche Angebote setzen. Statt des herkömmlichen Pauschalarrangements gibt es mehr Bausteine, die Exklusivität versprechen. Umworben werden so etwa Millennials, eine jüngere Klientel, der man kleinere Anlagen und Unterkünfte mit „Erlebnischarakter“ anbieten will. Geplant sind noch mehr eigene Hotels, 20 neue sollen allein in diesem Sommer dazukommen. Für die erforderlichen Investitionen will man ans Tafelsilber gehen: Die profitable, konzerneigene Airline Group steht seit Februar im Schaufenster, Lufthansa hat Interesse signalisiert.
Individualisierte Angebote mit Erlebnischarakter, das erinnert durchaus an die Karawane, die seinerzeit John M. Cook für den Kaiser ausrichtete. Die war ja auch außerordentlich profitabel. Cook Junior kostete sie allerdings das Leben. Er fing sich auf der Tour eine Diarrhöe ein, an der er nach seiner Heimkehr verstarb.
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