Gegenteilige Studienergebnisse: Wie sinnvoll ist die Mehrwertsteuersenkung für den Handel?
Ökonomen sind uneins über die besten Mittel gegen die Krise. Die Bundesregierung will am Dienstag weitere Schritte beschließen.
Was bringt die Mehrwertsteuersteuersenkung für den Handel? Wirtschaftsforscher sind sich uneinig. Die Steuersenkung werde der Konjunktur in Deutschland nur einen überschaubaren Impuls geben, betonte das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen HansBöckler-Stiftung in einer am Montag veröffentlichten Studie.
Das IMK verwies auf die Ergebnisse einer Umfrage unter gut 6300 Erwerbstätigen. Knapp 75 Prozent hätten dabei Ende Juni angegeben, sie wollten trotz der Steuersenkung ihr Konsumverhalten im zweiten Halbjahr nicht verändern.
Zur gegenteiligen Einschätzung gelangte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „Die Mehrwertsteuersenkung wirkt und hilft vor allem dem Einzelhandel dabei, die Krise zu überwinden“, betonte IW-Direktor Michael Hüther. Das IW hatte Daten der Firma Hystreet ausgewertet, die mittels Lasertechnik die Passanten in Straßenabschnitten in 21 deutschen Städten zählt. Demnach waren dort im Juli 27,2 Millionen Passanten unterwegs, 4,2 Millionen mehr als im Juni. Nach IW-Schätzungen sind von ihnen 1,7 Millionen wegen der Steuersenkung shoppen gewesen.
Der Handel erholt sich insgesamt
Auch in Berlin stabilisierte sich der Handel zuletzt. Im Juni lag der Umsatz auf Vorjahresniveau, wie das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg mitteilte. Die Umsätze durch Lebensmittel, Haushaltsgeräte, Möbel und Heimwerkerbedarf stiegen demnach sogar. Insgesamt wuchs der Umsatz im deutschen Einzelhandel im ersten Halbjahr 2020 um 1,5 Prozent im Vergleich zur zweiten Jahreshälfte 2019. Segmente wie Bekleidung, Tonträger, Bücher oder Schmuck verzeichneten aber drastische Verluste.
Nach Ansicht der IMK-Forscher wären die Milliarden für die Mehrwertsteuersenkung besser in einem höheren Kinderbonus angelegt. Fast 80 Prozent der Befragten hätten angegeben, sie würden bei einer Einmalzahlung wie dem Kinderbonus mehr ausgeben. Auch eine frühe Aufstockung des Kurzarbeitergeldes hätte nach Einschätzung der Autoren den Einbruch des Privatkonsums gebremst.
Verbraucherzentrale fordert "Rettungsschirm für Verbraucher"
Der Koalitionsausschuss berät am Dienstag das weitere Vorgehen in der Coronakrise. Dabei könnte unter anderem das Kurzarbeitergeld von 12 auf 24 Monate verlängert werden. Gleichzeitig soll die Aufstockung auf bis zu 87 Prozent des Nettolohns wieder heruntergefahren werden. Auch sollen Überbrückungshilfen für den Mittelstand verlängert und Milliarden für Schul-Cloud, Bahn, Offshore-Wind und Tele-Medizin beschlossen werden.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert von Union und SPD einen „Rettungsschirm für Verbraucher“. Damit meint der Verband ein Verbot überhöhter Inkassogebühren, kürzere Laufzeiten bei Handyverträgen sowie eine Einschränkung von Vorkassezahlungen. (mit dpa)