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Bei Einwurf Ärger? Die Post hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, was die Beförderung der Briefe angeht. Nicht immer kann sie diese erfüllen.
© Oliver Berg/dpa

Tagesspiegel testet die Post: Wie lange brauchen Briefe wirklich?

Die Beschwerden über die Post nehmen zu. Zu Recht? Wir haben Briefe innerhalb Berlins verschickt. Einige waren ganz schön lange unterwegs.

Detlef Krumme hatte gleich mehrfach Pech mit der Post. Nach dem Tod seiner Mutter verschickte der Berliner 30 Todesanzeigen. Vier von ihnen kamen niemals bei ihren Empfängern an – aber auch nicht zu Krumme zurück. Dann ging auch noch das Einwurfeinschreiben, mit dem er beim Amtsgericht Lüdinghausen die Testamentseröffnung beantragen wollte, verloren. Anrufe im Call-Center der Post brachten nichts, Krumme stellte einen Nachforschungsauftrag. Zwei Monate vergingen. Dann schrieb ihm die Post: „Trotz intensiver Nachforschungen“ könne man die Zustellung „leider nicht nachweisen“. Das heißt: Der Brief ist weg. Als Ausgleich erhält Krumme 12,85 Euro – 2,85 Euro fürs erhöhte Porto, zehn Euro Schadensersatz. Der Berliner ist sauer. Das Verhalten der Post sei eine „beispiellose Frechheit“, sagt er.

Kommt er oder kommt er nicht? Ist der Postbote krank oder überlastet, fällt die Zustellung schon mal aus.
Kommt er oder kommt er nicht? Ist der Postbote krank oder überlastet, fällt die Zustellung schon mal aus.
© Sebastian Kahnert/dpa

Mit seinem Ärger ist er nicht allein. Ute Steenken aus Schöneberg hat mehrfach Post, die sie erwartet hat, nicht bekommen. Auch Briefe, die die pensionierte Lehrerin ihrerseits verschickt hat, sind verschollen. Zwei Beispiele von vielen. An Geschichten über das Bermuda-Dreieck Post herrscht kein Mangel. Mal ist es ein Mietvertrag, der verschwindet, mal ein Stick mit Urlaubsfotos, oft sind es Umschläge mit Geld, die auf dem Postweg verloren gehen.

Die Unzufriedenheit der Kunden lässt sich mit Zahlen belegen. Mit 12.615 Fällen hat die Aufsichtsbehörde – die Bundesnetzagentur – 2018 mehr als doppelt so viele Beschwerden über den Postbereich erhalten wie im Vorjahr. Über die Hälfte betrifft den Briefsektor: Briefe kommen zu spät oder gar nicht, manchmal lässt sich der Briefträger tage- oder wochenlang nicht blicken. So wie in Charlottenburg, als vor zwei Jahren über 10.000 Haushalte zwei Wochen lang auf dem Trockenen saßen. Überhaupt scheinen die Verhältnisse in Berlin besonders schlimm zu sein: 3,35 Beschwerden pro 10.000 Einwohner hat es 2018 in der Hauptstadt gegeben, das ist Rekord.

Der Schuldige ist schnell ausgemacht: Über 90 Prozent der Beschwerden richten sich gegen die Post. Das ist kein Wunder. Denn im Briefbereich liegt der Marktanteil des einstigen Staatsunternehmens zwischen 85 und 90 Prozent. Die Post hat die Grundversorgung übernommen. Das heißt: Sie beliefert jedermann, egal ob der Empfänger auf einer Hallig oder in den Bergen wohnt. Den Universaldienst honoriert der Staat, indem er die Post beim Porto von der Umsatzsteuer befreit.

Was die Post verspricht

Im Gegenzug hat sich die Post in der Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV) zu bestimmten Garantien verpflichtet: Sie muss mindestens 12.000 Postfilialen oder -agenturen unterhalten, der Weg des Kunden zum nächsten Briefkasten darf maximal einen Kilometer betragen, zugestellt wird sechs Mal in der Woche, und auch für die Laufzeiten der Briefe gibt es Regeln: Mindestens 80 Prozent aller an einem Werktag eingelieferten Inlandsbriefe müssen am nächsten Werktag beim Empfänger sein, nach zwei Werktagen müssen 95 Prozent der Sendungen ihr Ziel erreicht haben. Allerdings bezieht sich das nicht auf den einzelnen Brief, sondern auf den Jahresdurchschnitt. Und obwohl die Dinge im Einzelfall oder in bestimmten Regionen ganz anders aussehen können, im Jahresschnitt erfüllt die Post diese Vorgaben, bestätigt die Bundesnetzagentur.

Post-Chef Frank Appel will mehr Zusteller beschäftigen, aber er will auch den Gewinn in der Brief- und Postsparte steigern.
Post-Chef Frank Appel will mehr Zusteller beschäftigen, aber er will auch den Gewinn in der Brief- und Postsparte steigern.
© imago images / Future Image

Die Post hält die Kritik an ihrer Arbeit ohnedies für unberechtigt. Wenn man die Zahl der Beschwerden auf die Briefmenge umlege, spreche man statistisch gesehen von einer Beschwerde auf 2,3 Millionen Sendungen, teilt die Post auf Tagesspiegel-Anfrage mit. „Die Zahlen unterstreichen aus unserer Sicht die überwiegend hervorragende Arbeit, die unsere Kolleginnen und Kollegen in der Zustellung jeden Tag in ganz Deutschland erbringen“, betont ein Post-Sprecher. Dass sich Beschwerden wie etwa in Berlin häufen, sei „nicht ungewöhnlich“. So könnten sich etwa krankheitsbedingte Ausfälle von Zustellern regional durchaus unterschiedlich auswirken. „Hinzu kommt, dass Berlin mit aktuell mehr als 3,6 Millionen Einwohnern das höchste Postaufkommen in Deutschland hat“, sagt der Sprecher.

Die gute Nachricht: Alle Briefe waren unversehrt

Wir wollten es genauer wissen und haben einen Test gemacht. Innerhalb Berlins haben wir 66 Briefe mit der Post und elf mit dem Post-Konkurrenten PIN verschickt und notiert, ob, wann und wie sie angekommen sind. In einige mit der Post verschickte Briefe haben wir echtes Geld gesteckt, in andere Spielgeld, in wieder andere Kartenattrappen.

Das Ergebnis ist durchwachsen: Für die Post und PIN spricht, dass alle Briefe unversehrt angekommen sind, auch die mit (vermeintlich) wertvollem Inhalt. Allerdings haben einige Briefe deutlich länger gebraucht als es die PUDLV vorsieht. Neun der insgesamt 66 Briefe – und damit 13,6 Prozent – haben die Briefträger der Post nicht am nächsten Werktag zugestellt. Drei kamen nach zwei Tagen an, sechs erst nach drei Tagen. Bei einer Lieferung nach Köpenick waren die betroffenen drei Briefe zwar nicht geöffnet, die Briefumschläge waren aber ramponiert. Die PIN AG stellte von elf Sendungen neun am nächsten Tag zu, in Reinickendorf und in Spandau mussten die Empfänger aber drei Tage auf die Briefe warten.

Unsere Testbriefe: 77 haben wir verschickt, 66 mit der Post, elf mit der PIN AG.
Unsere Testbriefe: 77 haben wir verschickt, 66 mit der Post, elf mit der PIN AG.
© Heike Jahberg

Großkunden schicken 92.000 Testbriefe

Mit insgesamt 77 Briefen in zwei Testläufen ist das Ergebnis natürlich nicht repräsentativ. Dazu muss man mindestens 72.000 Briefe über ein Jahr verschicken, heißt es beim Tüv. Unternehmen, die die Post für ihre Geschäftsbriefe nutzen, schrecken vor solchen Zahlen nicht zurück. 400 sind im Deutschen Verband für Post, Informationstechnologie und Telekommunikation organisiert (DVPT). „Es gibt eine massive Unzufriedenheit mit der Laufzeit“, berichtet Verbandschef Klaus Gettwart. „Zum Teil sind die Briefe sechs Tage unterwegs, unsere Unternehmen brauchen aber Verlässlichkeit.“

Der Verband will es jetzt genau wissen und macht den Test: Während eines Jahres wollen die Verbandsmitglieder 92.000 Briefe mit der Post verschicken. Am 1. April hat der Versuch begonnen, die ersten Erkenntnisse sind für die Post nicht schmeichelhaft: „Die Schwankungen sind sehr groß“, sagt Gettwart. Hinzu kommt: Die Kunden haben keine Handhabe, wenn es etwas schiefläuft. Das stimmt.

Großer Stapel: Viele Briefe kommen von Unternehmen. Aber auch unter den Großkunden herrscht Unmut über die Post.
Großer Stapel: Viele Briefe kommen von Unternehmen. Aber auch unter den Großkunden herrscht Unmut über die Post.
© DPA

Kunden haben keine Rechte

Das stimmt. Selbst die Bundesnetzagentur, die die Postunternehmen überwacht, hat keinerlei Sanktionsmöglichkeiten. Buß- oder Zwangsgelder als Strafe für schlechte Leistungen gibt es nicht. Auch die Teilnahme am Schlichtungsverfahren ist freiwillig. Nur wenn die Post im Jahresschnitt ihre selbst gesteckten Ziele verfehlen sollte, könnte die Behörde den Universaldienst neu ausschreiben – aber wer, wenn nicht die Post, kann diesen Mammutauftrag überhaupt ausführen?

Doch nun gibt es Druck aus der Politik. Tabea Rößner, verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, will es der Bundesnetzagentur ermöglichen, Bußgelder zu verhängen. Zudem soll das Schlichtungsverfahren verpflichtend werden. Die FDP verlangt, dass sich der Staat von seiner 20-Prozent-Beteiligung an der Post trennt. Im Bundeswirtschaftsministerium reagiert man. Bis zum Sommer will Peter Altmaier (CDU) ein Eckpunktepapier vorlegen. Einer der Punkte: die Gewährleistung effektiver Kundenrechte.

So haben wir getestet

Nicht nur bei der Bundesnetzagentur auch beim Tagesspiegel beschweren sich immer mehr Leser über die Post. Wir wollten dem auf den Grund gehen und haben daher Testbriefe innerhalb Berlins verschickt.

Wer hat mitgemacht?

Am 15. Mai haben wir an elf Tagesspiegel-Mitarbeiter jeweils drei Briefe mit der Post geschickt, davon enthielt jeweils einer der Briefe Spielgeld. Die Empfänger wohnen über das Berliner Stadtgebiet verteilt – in Spandau, Reinickendorf, Charlottenburg, Wedding, Moabit, Zehlendorf, Pankow, Prenzlauer Berg, Neukölln, Schöneberg und Köpenick. Wir haben die Briefe in verschiedene Briefkästen und bei Postfilialen in Berlin eingeworfen – jeweils so zeitig, dass sie am selben Tag noch bequem weiter befördert werden konnten.

Was war in den Briefen?

Am 20. Mai haben wir den Versuch wiederholt. In der zweiten Runde haben wir an die elf Empfänger wieder jeweils drei Briefe mit der Post verschickt, davon enthielt jeweils einer eine Kartenattrappe und einer einen echten Fünf-Euro-Schein. Parallel dazu haben wir an jeden Empfänger eine Sendung mit der PIN AG versandt.

Was ist das Ergebnis?

Der Großteil der Briefe kam am Tag nach dem Einwurf an. Alle Sendungen waren vollständig und unversehrt.

Also alles gut?

Schneller mit der Brieftaube? In den Wedding oder nach Pankow wäre es mit dieser Art der Luftpost schneller gegangen.
Schneller mit der Brieftaube? In den Wedding oder nach Pankow wäre es mit dieser Art der Luftpost schneller gegangen.
© imago/photothek

Nein. Denn einige Briefe waren länger unterwegs als sie sollten. So brauchte die Post in der ersten Runde drei Tage, um die jeweils drei Briefe in den Wedding und nach Pankow zu transportieren. Alle anderen 27 Sendungen waren bereits am nächsten Tag da.

In der zweiten Testrunde schwächelte die Post in Moabit. Die drei Testbriefe dorthin brauchten zwei Tage, die PIN AG war hier schneller. Dafür ließ sich der Post-Konkurrent bei anderen Testpersonen Zeit: Nach Reinickendorf und nach Spandau waren die Briefe mit der PIN AG drei Tage unterwegs.

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