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Fernsehgeschichte: Zu DDR-Zeiten wurden im Werk für Fernsehelektronik Bildröhren produziert. In Zeiten der Flachbildfernseher braucht man sie nicht mehr.
© bpk / Herbert Hensky

Das Ende eines Berliner Industriebezirks: Wie in Oberschöneweide die Lichter ausgingen

In Oberschöneweide wurden nach der Währungsunion 25.000 Jobs abgebaut. Viele Traditionsunternehmen mussten dicht machen.

So viele nachdenkliche Gesichter hatte es vorher noch nie im traditionsreichen Union-Stadion in Köpenick gegeben. Frauen, Männer und Jugendliche zogen im Sommer 1990 mit ernsten Mienen in Richtung Alte Försterei. Viele der 8.000 Menschen wollten die dramatische Lage nicht wahrhaben, machten sich Mut und hörten dann auf den Rängen und der damals noch kleinen Tribüne die erhofften Worte: „Hier wird keiner entlassen!“ Doch das galt nicht dem Trainer oder Spielern der heiß geliebten Union-Mannschaft, sondern den Beschäftigten eines der größten Industriebetriebe im Osten. 9.500 Menschen fertigten in Oberschöneweide rund um die Uhr Farbbildröhren auf einem damals sehr hohen technischen Niveau. Der erste von der Treuhandanstalt eingesetzte Arbeitsdirektor machte den Beschäftigten im weiten Stadionrund noch Mut. Doch keine vier Wochen nach der denkwürdigen Betriebsversammlung unter freiem Himmel waren die Worte nichts mehr wert.
Die Währungsunion mit der Umstellung auf marktgerechte DM-Preise hatte die bisherigen Abnehmer in ganz Osteuropa zahlungsunfähig gemacht. Sie verfügten nicht über die erforderlichen Devisen. Selbst die Westmärkte waren dicht. Sony verweigerte sogar die weitere Nutzung wichtiger Lizenzen für die Röhrenproduktion. Das Ende eines stolzen und als Vorzeigebetrieb bezeichneten Werkes schien besiegelt zu sein.
Dabei traf der drohende Kahlschlag nicht nur das Werk für Fernsehelektronik. Entlang der Wilhelminenhofstraße, in der die AEG am Ende des 19. Jahrhunderts ihr „Elektropolis“ auf den Weg gebracht hatte, ließ die Währungsunion kaum einem Betrieb eine Überlebenschance. Die heute fast unvorstellbare große Zahl von 25.000 Jobs ging hier innerhalb weniger Jahre verloren. Das Kabelwerk Oberspree hatte 6.000 Beschäftigte, das Transformatorenwerk Oberspree 2.500 und die Batteriefabrik immerhin noch 1.200. Der Abbau nahm überall einen ähnlichen Verlauf wie bei den Fernsehelektronikern. Zuerst wurde ein großer Teil der Arbeiter und Angestellten auf „Kurzarbeit Null“, also ohne jegliche Beschäftigung, gesetzt. Lediglich Betriebsangehörige mit drei und mehr Kindern erhielten einen Aufschub, bevor auch sie in der Kurzarbeit das Entlassungsschreiben erhielten.

Nur noch ein Museum

Im Unterschied zu den meisten anderen großen Betrieben und Kombinaten in Ostdeutschland sind für das Werk alle Fakten über die spannende Entwicklung ab 1990 dokumentiert. Der „Industriesalon“ in der von der Wilhelminenhofstraße abzweigenden Reinbeckstraße besitzt das komplette Werksmuseum, viele Modelle der produzierten Röhren und Bildschirme und selbst einen gegen den Empfang des RIAS gerichteten Störsender. Regelmäßig sprechen hier Fachleute und vor allem Zeitzeugen über die damalige Zeit. Rundgänge durch das einstige Industrierevier stoßen auf ein reges Interesse nicht nur bei früheren Beschäftigten, sondern auch bei jungen Leuten. Dabei handelt es sich vorwiegend um Studenten der Hochschule für Wirtschaft und Technik, die hier ab 2009 die leeren Produktionsräume nutzt und eine ganz neue und lebendige Stimmung nach Oberschöneweide brachte.
Großes Erstaunen löst auf solchen geführten Spaziergängen der Abstecher in den Aman-Ullah-Saal in dem wie ein Theater konstruierten Peter-Behrens-Haus aus, das wegen seiner Höhe früher als das Rathaus von Oberschöneweide bezeichnet worden war. Der nach einem afghanischen König benannten Saal, der 1928 dem damals hier ansässigen Automobilwerk einen umjubelten Besuch abgestattet hatte, besticht durch den hier befindlichen großen runden Tisch. Man muss in Berlin schon lange suchen, um so ein hölzernes Monstrum irgendwo ein zweites Mal zu entdecken. Doch noch mehr als die Ausmaße fasziniert die Besucher die Gespräche und Geschichten, die hier ihren Ausgangspunkt nahmen. Hier an diesem Tisch saßen über die Jahrzehnte nicht nur die Vorstände der AEG und deren Autowerk zusammen. Auch die Direktoren des volkseigenen Werks für Fernsehelektronik berieten hier über Produktionspläne, Ersatzteilprobleme oder neue Handelsbeziehungen. 1993 drangen bis dahin völlig unbekannte Worte aus dem Saal nach draußen. Der große koreanische Konzern Samsung übernahm das fast schon am Boden liegende und damit kurz vor der Insolvenz stehende Werk und fuhr die Produktion auf einen Jahresausstoß von 2,5 Millionen Bildröhren hoch.

Samsung brachte neue Hoffnung

Die Währungsunion erschien den verbliebenen 1.400 Beschäftigten plötzlich aus einer anderen, ja rundum positiven Perspektive. Unvergessen blieb die Beschwörung der neuen Eigner auf die „Samsung-Familie, zu der nun auch das Berliner Werk für immer gehört“, wie es damals hieß. Nichts könne diese Familie zerstören. „So lange es Menschen gibt, wird es Fernseher geben“, lautete die einleuchtende Losung. Dennoch flossen bald wieder Tränen. Zwar hatten die koreanischen Chefs Recht mit ihrer These vom unendlichen Fernsehabsatz. aber die Form der Geräte änderte sich im Laufe der Zeit. In der Fernsehwelt war der Einschnitt fatal: Nach der Jahrtausendwende kaufte kaum noch jemand Röhrenfernseher. Flach mussten die Bildschirme sein. Und deren Produktion war nicht für Berlin vorgesehen. Im September 2005 verkündete Samsung das Ende und schon ein Vierteljahr später standen die Bänder still. Geblieben sind wenige Erinnerungen, die meisten davon im "Industriesalon". Aber auch der Aman-Ullah-Saal könnte so manche Geschichte über das Auf und Ab erzählen.

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