Ohne Schutz: Wie in Brasilien Orangensaft hergestellt wird
Eine Studie der Christlichen Initiative Romero berichtet von unfairen Löhnen und mangelndem Arbeitsschutz. Die Organisation fordert die deutschen Supermärkte und Discounter zum Handeln auf.
Berlin – 89 Cent kostet ein Liter Orangensaft von einer Eigenmarke in vielen deutschen Supermärkten oder Discountern. 80 Prozent des Konzentrats, aus dem er hierzulande angerührt wird, kommt aus dem sonnigen Brasilien. Dort aber landen von den 89 Cent gerade einmal 20 bei den Herstellern, die davon Plantagen bewirtschaften und den Saft aus den Orangen holen. Das geht aus einer Studie der Christlichen Initiative Romero und der Gewerkschaft Verdi hervor, die auf katastrophale Arbeitsbedingungen in der Saftindustrie in Brasilien hinweist. Dafür hat Romero Interviews mit Arbeitern und Gewerkschaftern geführt sowie Studien ausgewertet.
„Sowohl in den Fabriken als auch auf den Plantagen wird unter extremem Druck und ohne angemessene Schutzvorkehrungen gearbeitet“, sagt Sandra Dusch Silva von Romero. „Ausbeutung zu Hungerlöhnen“ sei Alltag. Auf den Plantagen in der Region Sao Paolo, wo der Großteil der brasilianischen Orangen angebaut wird, sind demnach nur rund ein Fünftel der Arbeitskräfte fest angestellt, der Rest habe Saisonverträge. Zudem litten die Beschäftigten unter den „allgegenwärtigen Pestiziden“, die versprüht würden. Auch die Arbeitssicherheit sei kaum gewährleistet. Viele Pflücker verunglücken der Studie zufolge, etwa weil die Leitern nicht in ordnungsgemäßem Zustand sind.
Die Löhne kritisiert Romero als intransparent. Sie hängen demnach vom Pflückergebnis und von den Preisen an den Rohstoffbörsen ab. Wenn zu wenig gezahlt werde oder gar nicht, hätten die Arbeiter kaum eine Chance, sich zu wehren.
Das bestätigt auch Cicera Coltro. Die ehemalige Erntehelferin ist derzeit in Deutschland, um auf die Missstände auf den Plantagen aufmerksam zu machen. Die Arbeit, so erzählt sie, sei sehr gefährlich und hart, es gebe unter anderem giftige Schlangen und Spinnen. „Die Bezahlung ist oft ungewiss. Der Arbeitsvermittler behält seine Provision direkt ein.“ Coltro bekam zuletzt im Schnitt umgerechnet neun Euro am Tag für zwei Tonnen geerntete Orangen, Gewerkschaften betrachten mindestens 14 Euro Tageslohn als existenzsichernd. „Um über die Runden zu kommen, müssen die Arbeiter in der Regel auf Pausen verzichten“, sagt Dusch Silva. Zwar sei in den Saftfabriken der Lohn besser als auf den Plantagen. Doch auch hier klagten Mitarbeiter, dass sie die versprochenen Monatslöhne nur durch Überstunden erreichten. Die Beschäftigten arbeiteten dort ebenfalls unter „extremen Bedingungen“, heißt es in der Studie. Es sei sehr laut und heiß, selten gebe es Schutzkleidung.
Die Kontrolle der Firmen ist schwierig. Zwar ist in Brasilien das Orangensaftgeschäft in den Händen drei großer Konzerne: Cutrale, Citrosuco und LDC Dreyfus. In der Regel, so schreibt Romero, arbeiteten die Beschäftigten auf den Plantagen aber für Subunternehmen.
Verdi und Romero fordern daher die deutschen Handelsketten, die die Konzentrate beziehen und den Saft hierzulande so günstig anbieten, zum Handeln auf. „Der Preiskampf wird auf dem Rücken der Arbeiter auf den Plantagen und in den Saftfabriken ausgetragen“, klagen die Organisationen. Rewe, Lidl und Co. sollten ihre Marktmacht aufgrund des großen Einkaufsvolumens nutzen, um sich dort für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen.
Die Einzelhändler reagieren zurückhaltend. Rewe teilt mit, man habe „keine direkten Geschäftsbeziehungen“ zu den genannten Herstellern von Orangensaftkonzentrat, man beziehe von Abfüllern. Dennoch weise Rewe die Lieferanten auf die „Einhaltung der ILO-Arbeitsnormen“ hin. Edeka erläutert, es gebe nur begrenzte Möglichkeiten, auf die Arbeitsbedingungen Einfluss zu nehmen. Man habe jedoch alle Orangensaft-Lieferanten der Eigenmarken aufgefordert, Produkte und Rohstoffe durch die „Business Social Compliance Initiative oder vergleichbare unabhängige Systeme abzusichern“. Die Initiative ist ein Zusammenschluss der Industrie, der Sozialstandards festlegt. Aldi Süd erklärte, die Missstände entsprächen „nicht unseren unternehmenseigenen Vorgaben“. Man habe die Geschäftspartnern nun aufgefordert, die Richtlinien zur verantwortlichen Unternehmensführung einzuhalten. Lidl, das ebenfalls darauf verweist, keine direkten Geschäftsbeziehungen nach Brasilien zu haben, teilte mit, es verkaufe auch Fairtrade Orangensaft. Aldi Nord erklärte, man nehme die Berichte „sehr ernst“. Die brasilianischen Zulieferer seien zur Einhaltung internationaler Sozialstandards verpflichtet und würden regelmäßig auditiert.
Ein brasilianischer Anwalt will nur gegen die Saftkonzerne vorgehen. Er plane eine Anzeige wegen Sklavenarbeit in der Region, die man beim Arbeitsministerium einreichen wolle, erklärte der Jurist Marcio Bortolucci.
Jahel Mielke