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© REUTERS

Arbeitsbedingungen bei Ryanair: „Wie im 19. Jahrhundert“

Verdi-Chef Frank Bsirske und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil besuchen Ryanair-Beschäftigte am Flughafen Frankfurt. Und sind entsetzt.

Hubertus Heil und Frank Bsirske sind gleichermaßen entsetzt. „Hier gibt es Arbeitsbedingungen, wie ich sie nicht für möglich gehalten habe. Uns begegnet das 19. Jahrhundert“, sagt der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. „Hier werden elementare Arbeitnehmerrechte mit Füßen getreten und Globalisierung mit Ausbeutung gleichgesetzt“, ergänzt Bundesarbeitsminister Heil (SPD) am Freitagvormittag am Frankfurter Flughafen. Intensiv haben sich beide zuvor mit Beschäftigten des irischen Billigfliegers Ryanair unterhalten.

Ryanair-Chef Michael O’Leary presse seine Beschäftigten aus wie eine Zitrone, meinen die Besucher. Ein halbes Dutzend Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter nicken zustimmend, als Heil, Bsirske und der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel ihre Eindrücke beschreiben. Und halten Schilder hoch, auf denen sie ihre Rechte einfordern. Auch die Abschaffung des Paragrafen 117 des Betriebsverfassungsgesetzes. Der besagt, dass das Personal einer Airline in der Kabine wie auch im Cockpit einen Betriebsrat erst dann bilden kann, wenn es einen Tarifvertrag gibt.

Weil das bei Ryanair nicht der Fall ist, können die Beschäftigten keine Vertretung wählen und damit auch ihre Rechte nur schwer geltend machen. „Wir werden diese Lücke bis zum Jahresende schließen“, verspricht Heil. Eine entsprechende Initiative habe er im Bundeskabinett auf den Weg gebracht.

Nach den Worten von Bsirske arbeiten die Kabinenbeschäftigten bei Ryanair am Rande des Existenzminimums und sehen sich Repression und Drohungen ausgesetzt. Die meist jungen Menschen hätten schlechtere Arbeitsbedingungen als ihre Großeltern. „Als ich vor einem Jahr meinen Job begonnen habe, hatte ich im Monat 900 Euro brutto“, sagt eine 20-jährige Italienerin, die in Frankfurt als Flugbegleiterin stationiert ist. Davor zahlte sie 3000 Euro für ihre Ausbildung. Am Anfang wurde sie über eine Agentur beschäftigt, heute hat sie einen Vertrag mit Ryanair und bekommt 1200 Euro brutto; die Hälfte davon geht für die Miete drauf.

Wer krank ist, erhält kein Lohnfortzahlung

Bezahlt wird sie nur, wenn sie im Flugzeug arbeitet. Für die Vor- und Nachbereitung am Boden gebe es nichts. Wer krank ist, erhält kein Lohnfortzahlung. An Bord müssen Lose, Essen und Getränke verkauft werden. Dafür gibt es eine geringe Provision. Wer zu wenig verkauft, muss mit einer Rüge rechnen und wird schon mal nach Dublin in die Zentrale zitiert. Und versetzt werden können die Beschäftigten jederzeit. Wer streikt, muss mit Kündigung rechnen.

Heil und Bsirske schütteln nur den Kopf. Das sei Ausbeutung in einem Unternehmen, das Milliarden verdiene, sagt der Arbeitsminister. „Aber Deutschland ist keine Bananenrepublik, sondern ein Rechtsstaat.“ Der Staat greife nicht in Tarifverhandlungen ein, schließlich gelte in Deutschland die Tarifautonomie, sagt Heil. „Aber hier geht es um mehr.“ Die gesamte Bundesregierung stehe auf der Seite der Ryanair-Beschäftigten.

Der Verdi-Chef ist skeptisch, dass es in den derzeit laufenden Verhandlungen schnell ein gutes Ergebnis für die Beschäftigten gibt, schließt weitere Streiks nicht aus. Ryanair sei mittlerweile zwar bereit, Arbeitsverträge nach deutschem Recht zu unterzeichnen. Sie wollten aber die Zustimmung der Gewerkschaft, bevor die Bedingungen klar seien. Zugleich böten die Iren Gehaltserhöhungen von 40 bis 60 Euro bei einer Laufzeit von vier Jahren. „Das spricht Bände“, sagt der Verdi-Chef und wagt keine Prognose, wann eine Einigung auf einen Tarifvertrag möglich ist.

Das ist auch bei den Piloten völlig offen. Dort war bis vor Kurzem eine Schlichtung im Gespräch. Ryanair und die Pilotenvereinigung Cockpit konnten sich aber nicht darüber verständigen. Jetzt wartet Cockpit, wie Vorstandsmitglied Ingolf Schumacher gegenüber dieser Zeitung sagte, auf ein verbessertes Angebot der Iren für die Vergütung und die Arbeitsbedingungen sowie auf Vorschläge für einen Sozialplan für die Beschäftigten in Bremen und in Weeze am Niederrhein. Dort schließt Ryanair seine Standorte.

Wenn das Angebot akzeptabel erscheine, sei man zu weiteren Verhandlungen in der kommenden Woche bereit. Wenn nicht, schließt Schumacher neue Streiks bei Ryanair nicht aus, im Schulterschluss mit Verdi und anderen Ryanair- Beschäftigten in Europa.

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