Vor dem "Super Tuesday": Wie Donald Trump die Arbeiterklasse verführt
Amerikas Mittelschicht und Arbeiterklasse haben schwere Zeiten hinter sich. Populisten wie Donald Trump und Bernie Sanders nutzen die Angst vor dem sozialen Abstieg geschickt aus.
Donald Trump lässt sich nicht lumpen. Fast zwei Millionen Dollar hat der Präsidentschaftsbewerber für Werbespots locker gemacht, die in den vergangenen Wochen über Fernsehbildschirme in Texas, Georgia, Tennessee oder Alabama flimmerten. Wenn kommende Woche der „Super Tuesday“ ansteht, in mehr als einem Dutzend Bundesstaaten Vorwahlen stattfinden, hofft Trump, die Rendite in Form von Wählerstimmen zu ernten. Sein Plan könnte aufgehen, denn selten zuvor haben es Populisten wie Trump verstanden, die Zukunftssorgen und Unzufriedenheit der amerikanischen Mittelschicht und Arbeiterklasse in hohe Zustimmungswerte umzumünzen. Der US-Wahlkampf ist zum Klassenkampf geworden, und so wie es derzeit aussieht, haben die Populisten gute Chancen.
Bernie Sanders: der unterschätzte Kandidat
Ein kurzer Blick zurück: Washington am 29. April 2015. Bernie Sanders, ein strubbeliger Senator aus dem Bundesstaat Vermont, kündigt seinen Eintritt ins Rennen um das Weiße Haus an. Im Wettbewerb um die Parteinominierung ist Sanders der erste Rivale für Hillary Clinton – der als Außenseiter zunächst belächelt wird. Sanders selbst liefert die Gründe warum: Es werde ihm wohl nicht gelingen, Milliardensummen für seine Wahlkampagne einzusammeln. „Zu meinen Freunden zählen weder Millionäre noch Milliardäre.“ Unterschätzen aber, warnt der Senator, dürfe man ihn nicht.
Er soll Recht behalten. Auf dem Wahlkampfkonto des gebürtigen New Yorkers herrscht zwar auch Wochen später noch Dürre. Seine Botschaften aber fallen auf fruchtbaren Boden. Die Wirtschaft des Landes sei „manipuliert“, schimpft er im Interview mit dem TV-Sender ABC, sie diene den Reichen und Mächtigen, aber nicht den gewöhnlichen Amerikanern. „Dieses Land gehört aber nicht einer Handvoll Milliardären!“ Die Amerikaner finden Gefallen an Sanders wütenden Attacken auf Wall Street und Corporate America: Seine Umfragewerte steigen.
Trump punktet mit Attacken aufs Establishment
Wenige Wochen, nachdem Sanders das demokratische Establishment durcheinander gewirbelt hat, gelingt Donald Trump bei den Republikanern Gleiches. Auch der Geschäftsmann hält sich mit Angriffen auf die politischen Eliten nicht zurück und verspricht seinen Landsleuten, Amerika wieder zurück zu alter Stärke zu führen. „Unser Land hat ernste Probleme“, proklamierte Trump bei seinem Eintritt ins Rennen um das Weiße Haus. „Wir siegen nicht mehr.“ Seiner Feststellung lässt er eine Liste von Niederlagen folgen: Keine Siege über China, das den Amerikanern die Jobs klaue. Keine Siege über Japan, das die USA mit „Millionen Autos“ flute. Wie schon Sanders zuvor bei den Demokraten wird auch Trump zunächst von der Parteielite belächelt – und wenig später dann sein gutes Abschneiden in den Umfragen mit Schrecken zur Kenntnis genommen.
Der Erfolg von Sanders und Trump überrascht dabei nicht nur das Establishment, sondern lässt auch Märkte und Unternehmer staunen. Aus gutem Grund, denn die amerikanische Wirtschaftslage lässt sich in diesen Tagen am besten mit Superlativen beschreiben: Die Zahl der Vollbeschäftigten klettert 2015 auf den höchsten Wert seit Beginn der statistischen Erfassung, während die Arbeitslosenquote erstmals seit Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 wieder unter fünf Prozent sinkt. Mit mehr Menschen in Lohn und Brot steigen auch die Konsumausgaben schneller als in den zehn Jahren zuvor, was wiederum das US-Wirtschaftswachstum mit 3,1 Prozent auf den höchsten Wert seit neun Jahren drückt. Kurzum: Amerika geht es gut. Eigentlich.
Warum die Mittelschicht in Bedrängnis gerät
Denn was die Erfolgsmeldungen aus der Wirtschaft nicht abbilden, bringt eine vielbeachtete Studie des Think Tanks Pew Research Center (Pew) im Dezember 2015 auf den Punkt: die schleichende „Aushöhlung“ der amerikanischen Mittelklasse. Zwar stieg laut Pew- Analyse in den vergangenen vier Dekaden die Zahl der Haushalte mit hohem oder sehr hohem Einkommen rapide an. Gleichzeitig wuchs aber auch die Unterschicht. Die Folge laut Pew-Institut: Zählten 1971 noch 61 Prozent der amerikanischen Bevölkerung zur Mittelschicht, waren es 2015 nur noch knapp unter 50 Prozent. Tendenz: steigend.
Tatsächlich belegen auch noch andere Zahlen, dass sowohl US-Immobilienkrise wie auch die darauf folgende globale Finanzkrise der amerikanischen Mittelschicht schwer zugesetzt haben. So sank etwa die Wohneigentumsquote laut Daten der US-Statistikbehörde USCB von ihrem Höchststand 2006 von 69,1 Prozent bis 2015 auf 63,7 Prozent – den tiefsten Stand in zwei Dekaden. Und weil die Immobilienpreise steigen, die Gehälter gleichzeitig aber stagnieren, dürfte sich diese Entwicklung noch fortsetzen.
Für die Mittelklasse stellt das eine brisante Entwicklung dar. Denn am Gesamtvermögen der Mittelschicht macht der Immobilienbesitz laut USCB durchschnittlich gut 65 Prozent aus. Im Vergleich: Beim wohlhabendsten einen Prozent der US-Bevölkerung stehen Immobilienwerte lediglich für neun Prozent des Gesamtvermögens. Eine Studie der New York University kommt angesichts solcher Zahlen zum Schluss, dass das Reinvermögen der amerikanischen Mittelschicht – also Vermögenswerte wie Immobilien oder Pensionsrücklagen abzüglich der Schulden – mittlerweile auf den tiefsten Stand seit 1969 gefallen ist.
Sanders Flirt mit dem Sozialismus
Die Furcht vor dem sozialen Abstieg weiß Sanders zu instrumentalisieren. „Es ist an der Zeit, die Gier der Großkonzerne und den Krieg gegen die amerikanische Mittelklasse zu beenden. Genug ist genug!“, schreibt Sanders in einem Gastbeitrag für den „Boston Globe“ im Juni. Amerikas Mitte stellt er höhere Mindestlöhne, niedrigere Steuern und eine kostenfreie College-Ausbildung in Aussicht. Mit ähnlichen Versprechungen versucht zwar auch Clinton, in der Mittelschicht um Stimmen zu werben. Anders als die frühere Außenministerin aber, die zeitlebens zum politischen Establishment zählte, kann Sanders noch einen Schritt weiter gehen: die Wähler auf einen politischen Umbruch, eine geradezu revolutionäre Transformation einstimmen.
Wer seine Auftritte im Fernsehen mitverfolgt, merkt, wie sehr er Gefallen daran findet, sich als Schreck der herrschenden Klassen zu stilisieren. Er sei ein „demokratischer Sozialist“, sagt er bei einer Rede vor Studenten an der Georgetown University – und lässt damit all jene Amerikaner erschaudern, für die auch 27 Jahre nach Ende des Kalten Krieges der Begriff „Sozialismus“ einen düsteren, unamerikanischen Klang hat. Bei den parteiinternen Nominierungswahlen Anfang Februar in Iowa punktete Sanders daher vor allem bei Jungen: 84 Prozent der 17 bis 29-Jährigen stimmten für Sanders, nur 14 Prozent für Clinton. Sanders Flirt mit sozialistischen Ideen schreckt junge Amerikaner nicht ab. Im Gegenteil: Mit dem Sozialismus verbindet die junge Generation mehrheitlich etwas Positives, wie eine Umfrage des Yougov-Instituts im vergangenen Jahr feststellte.
Die junge Generation liebt den Senator aus Vermont
Wie keinem anderen demokratischen Kandidaten gelingt es ihm, die Gunst der jungen Generation zu gewinnen. „Ich denke nicht, dass seine Vorschläge radikal sind“, zitiert der TV-Sender CNN Joe Luther, Sprecher des Fachschaftsrats an der Georgetown University. „Dinge wie eine staatlich finanziertes Gesundheitssystem, Erziehungsurlaub für Angestellte oder gebührenfreie Colleges sind doch längst politischer Alltag auf anderen Kontinenten.“ Gerade beim letzten Punkt, mit seiner Forderung nach der Abschaffung von Studiengebühren, kann Sanders unter den Jungen punkten. Wie eine Auswertung der Branchenagentur Edvisors zeigt, verließ 2015 jeder Absolvent das College nicht nur mit einem Schulabschluss, sondern auch mit einem Schuldenberg von durchschnittlich 35 000 Dollar.
Trump seinerseits buhlt um die Stimmen jener Menschen, die ein College niemals von innen gesehen haben: die amerikanische Unterschicht. Während lediglich 23 Prozent der Republikaner mit akademischer Bildung für den Immobilientycoon stimmen würden, sprechen sich rund 40 Prozent der Republikaner ohne College-Abschluss für seine Kandidatur aus, heißt es in einer Umfrage der „Washington Post“ aus dem Dezember. Das sind mehr als fünfmal so viele Menschen, wie seine Wettbewerber Marco Rubio oder Ted Cruz auf sich vereinen können.
Die Arbeiterklasse: Von den politischen Eliten ignoriert
Trumps Slogan „Make America Great Again!“ mag vage und leer sein, resümierte die „New York Times“ deshalb unlängst. „Aber Wähler, die sich entmachtet und marginalisiert fühlen, klammern sich an dieses Versprechen.“ Und tatsächlich haben weder Demokraten noch Republikaner zuletzt viel unternommen, um die Arbeiterklasse für sich zu gewinnen.
Die Rezession von 2001 wie auch die Finanzkrise von 2007 haben die weiße Arbeiterklasse härter getroffen als andere Gesellschaftsschichten. Während des anhaltenden Aufschwungs der vergangenen vier Jahre stiegen die Gehälter der reichsten Amerikaner um drei und die der Mittelklasse immerhin noch um einen Prozent. Für die Geringverdiener hingegen gab es keinerlei Lohnverbesserungen.
Mit seinen Tiraden gegen illegale Migranten zielt Trump auf genau diese Wählerschaft ab – wohl wissend, dass es vor allem schlecht ausgebildete Amerikaner im Billiglohnsektor sind, die mit den Zuwanderern aus Mexiko, El Salvador oder Guatemala um Jobs und Gehälter konkurrieren müssen. Garniert mit markigen Sprüchen über die „Blutsauger“ von der Wall Street und dem Versprechen, hohe Schutzzölle einzuführen, trifft Trump dabei offensichtlich ins Schwarze. Einer Umfrage des Zogby-Instituts zufolge sieht ein Großteil der Wähler in Trump den Präsidentschaftsbewerber, der Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Steuerreformen am ehesten voranbringen könne.
Widerstand der Wirtschaftswissenschaftler
Unter Wirtschaftswissenschaftlern überwiegt indes die Skepsis. „Es gibt gute Gründe, warum viele Menschen verärgert und zornig sind, denn hinter vielen liegt eine schwere Dekade“, sagt Mark Zandi, Chefökonom vom Moody’s Analytics. „Aber wenn Trumps politische Ideen umgesetzt würden, wäre das ein Desaster für die Wirtschaft.“ Würde Trump ernst machen und die elf Millionen Immigranten ausweisen, ständen die USA vor einem neuen Abschwung, glaubt Zandi. „Die Menschen, an die sich seine Kampagne richtet, wären dabei die ersten, die zu leiden hätten.“ Auch Sanders’ Versprechen, das US-Wirtschaftswachstum auf mehr als fünf Prozent zu hieven und die Mittelklasse steuerlich zu entlasten, stoßen auf Zweifel unter Ökonomen – sogar in den eigenen Reihen. Seine Annahmen seien „unglaubwürdig“, ätzten vier frühere Wirtschaftsberater von Barack Obama und Bill Clinton in einem gemeinsamen Brief an Sanders. „Wer solche Versprechen macht, stellt sich gegen die gute Tradition unserer Partei, faktenbasierte Politik zu machen.“
Dass Trump und Sanders sich diese Kritik aus dem Establishment indes zu Herzen nehmen, ist unwahrscheinlich.