E-Government: Wie die Modernisierung der Verwaltung gelingen kann
Bei der Digitalisierung der Behörden hinken wir massiv hinterher. Es muss sich mehr als Gesetze ändern. Ein Gastbeitrag.
Vertrauen wir in die Rechtmäßigkeit, die Handlungsfähigkeit und Durchsetzungsfähigkeit von Regierung und öffentlicher Verwaltung? Diese Frage ist eine der wichtigsten Grundlagen für unsere Demokratie. Sie entscheidet sich nicht nur bei den großen politischen Vorhaben, sondern vor allem im alltäglichen Umgang des Staates mit seinen Bürgerinnen und Bürgern. Die Politik muss den digitalen Wandel in Verwaltung und Regierung vorantreiben, weil der einen großen Beitrag dazu leisten kann, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen entstehen. Doch gerade im eigenen Verantwortungsbereich scheint sie auf der Stelle zu treten.
Eine moderne öffentliche Verwaltung begreift sich als Dienstleister. Immer mehr Menschen wollen ihre Behördengänge online oder mobil erledigen. Von einer effizienten Verwaltung erwarten wir, dass unsere Angelegenheiten verlässlich und zügig bearbeitet werden. Und natürlich müssen wir uns darauf verlassen können, dass die teils sensiblen Daten, die wir mit der Behörde teilen, nicht in unbefugte Hände geraten.
Nutzung von E-Government sinkt
Starke Argumente eigentlich - und dennoch hinkt Deutschland im internationalen Vergleich meilenweit hinterher. Die wenigen Angebote der digitalen Verwaltung in Deutschland sind nicht relevant, schlecht gemacht und werden kaum genutzt. So weit, so schlecht. Die Politik sagt seit Jahren, dass sich etwas ändern müsse. An vollmundigen Ankündigungen und Vorhaben hat es nicht gefehlt. Man könnte hoffen. Doch der E-Government-Monitor der Initiative D21 e.V. belehrt uns eines Besseren: Der Anteil der Deutschen, die im vergangenen Jahr wenigstens einmal ein E-Government-Angebot genutzt haben, ist von mageren 45 Prozent im Jahr 2012 auf alarmierende 41 Prozent abgestürzt. Unsere Nachbarn in Österreich kommen dagegen auf 74 Prozent.
Mit E-Government-Gesetzen und Regierungsprogrammen definiert die Politik im Bund immer wieder, was zu tun wäre: Die Einführung eines Bürgerkontos, das eine sichere, schnelle und nutzerfreundliche Kommunikation mit den Verwaltungen aller Ebenen ermöglicht, die Stärkung des elektronischen Personalausweises als ein universelles, sicheres und mobil einsetzbares Authentifizierungsmedium, die vollständige Einführung der eAkte für die medienbruchfreie Zusammenarbeit von Ämtern und Ressorts und der Ausbau sicherer, wirklich Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation.
Schutz und Sicherheit der persönlichen Daten der Bürgerinnen und Bürger dürfen bei diesen Vorhaben nicht außer Acht gelassen werden. So muss man bei der Registermodernisierung darauf achten, dass trotz zentraler Speicherung wichtiger personenbezogenen Daten der Datenschutz bestehen bleibt. Auch müssen die Nutzer sich darauf verlassen können, dass ihre Kommunikation mit der Verwaltung vertraulich und sicher ist.
In fünf Jahren sollen Dienstleistungen digital angeboten werden
Die große Koalition hat sich gemeinsam mit den Ländern einiges vorgenommen: Das Online-Zugangsgesetz (OZG) verpflichtet die Verwaltung auf das ehrgeizige Ziel, innerhalb von fünf Jahren alle Dienstleistungen digital zur Verfügung zu stellen. In einem Portalverbund sollen Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen alle diese Services erreichen können - unabhängig davon, wo sie sie danach suchen. Um durchgängig digitalisierte Verwaltungsprozesse zu ermöglichen, ist die Harmonisierung und Modernisierung der Register sowie ein behördenübergreifendes Datenmanagement vorgesehen. Insgesamt ein ambitioniertes Vorhaben, auf dessen Umsetzung man durchaus gespannt sein darf.
Dennoch bleibt die technologische Entwicklung ja nicht stehen. Auch in der Verwaltung werden wir uns mit Automatisierten Entscheidungen (ADM) beschäftigen müssen, die durch Künstliche Intelligenz ermöglicht werden. Staatliche Entscheidungen betreffen oft genug existenzielle Fragen und müssen deshalb transparent nachvollziehbar und im Zweifelsfall rechtlich überprüfbar sein. Mit der Einführung solcher Technologien müssen technische und organisatorische Interventionsmöglichkeiten mitgedacht und -entwickelt werden.
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Wir sollten uns also nicht nur damit beschäftigen, die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten. Dennoch: Wenn man sich die Historie der Programme vergangener Regierungen anschaut, kommt man nicht umhin zu fragen, warum das Ergebnis bisher so dürftig ausfällt. Zwei Fragekomplexe drängen sich auf:
Erstens: Warum werden die Angebote der digitalen Verwaltung kaum verwendet oder auch von digital affinen Nutzern gar nicht erst wahrgenommen? Meine These: Erst wenn Bürgerinnen und Bürger einen spürbaren Mehrwert haben und Vertrauen in den digitalen Staat, dann werden sie ihn auch nutzen.
Gebühren für Online-Verfahren reduzieren
Studien zeigen, dass die digitalen Angebote der Verwaltung den Bürgerinnen und Bürgern kaum bekannt sind. Selbst die Mitarbeitenden der Verwaltung haben oft noch nichts davon gehört. Warum investieren wir so viel in die Entwicklung von schicken Front-Ends und Portalen und so wenig in die Werbung und die Schulung und Fortbildung der Mitarbeitenden?
Wenn die Nutzung digitaler Angebote mit der Anschaffung von zusätzlichem Gerät und also mit Kosten verbunden ist, sollten die Nutzenden zudem auch einen monetären Vorteil erwarten dürfen. Warum also reduzieren wir nicht wenigstens die Gebühr für ein online erledigtes Verfahren?
Ärger und Unverständnis entstehen beim Nutzenden, wenn die Bearbeitung eines Verwaltungsvorgangs zwar online angeboten wird, aber dann nicht durchgängig online erledigt werden kann. Solange das nicht gewährleistet werden kann, sollte eine Dienstleistung erst gar nicht online angeboten werden. Zudem muss bei der Auswahl zu digitalisierender Angebote ihre Relevanz also ebenso eine Rolle spielen wie Qualität und messbarer Nutzen für Bürgerinnen und Bürger.
Hinzu kommt die Sorge der Nutzerinnen und Nutzer, ob ihre Kommunikation mit der Verwaltung vertraulich ist und ob ihre Daten hinreichend geschützt sind. Um diesen Vorbehalten zu begegnen und die Sicherheit von öffentlicher Infrastruktur und Daseinsvorsorge zu gewährleisten, braucht die öffentliche Verwaltung also auch ein Augenmerk und Fachpersonal für den Datenschutz und für die Sicherheit ihrer IT.
Doch die digitale Kommunikation mit der Verwaltung muss aus Bürgersicht nicht nur sicher, sondern auch vertraulich sein. Echte, verlässliche Ende zu Ende Verschlüsselung ist dabei von großer Bedeutung, und den Sicherheitsbehörden darf kein Zugriff auf diese Kommunikation gewährt werden. Ebenso war es für die Stärkung des Personalausweises als Mittel zur sicheren Identifikation zwar wichtig und richtig, dass die Online-Ausweisfunktionen jetzt grundsätzlich freigeschaltet wird (opt out). Dass durch die Hintertür desselben Gesetzes Polizei und Dienste anlasslosen Zugriff auf alle Ausweisdaten erhielten, kann leider nicht gerade als vertrauensbildende Maßnahmen angesehen werden. Eine Regierung, die es ernst meint mit dem digitalen Wandel in Politik und Verwaltung, muss diese inneren Widersprüche der Innenpolitik für sich klären, um Vertrauen zu ermöglichen.
Warum kommt die Digitalisierung der Verwaltung nicht voran?
Nun zum zweiten Fragekomplex: Warum kommt der digitale Wandel in Regierung und Verwaltung kaum voran? Welche inneren Hindernisse und Widerstände gibt es?
These: Die Strukturen (und die Mitarbeiter) der öffentlichen Verwaltung sind im Kern mehr an Beharrung und Sicherheit orientiert als an Freiheit und Innovation. Druck wird daran nicht viel ändern.
Der digitale Wandel verändert alles – diese Binse darf auch für die Verwaltung gelten, und alles ist eben schon ziemlich viel. Wie kann aus dem Störfaktor Bürger plötzlich ein Kunde werden, aus dem fernen Kollegen der anderen Fachabteilung ein Kollaborateur und aus dem wettbewerbsorientierten Abteilungsleiter ein Teamplayer? Kann die Transparenz meiner Arbeit auch anders als eine Drohung aufgefasst werden? Bisher galt immer, Wissen sei Macht – und wenn ich das mit allen teile, was bleibt mir dann noch?
Ein Kulturwandel braucht Offenheit für Veränderung, und die braucht Sicherheit und Beteiligung. Er braucht Zugpferde und Räume, wo sich Vertrauen, Freude an Innovation und Freiheit entwickeln können. Wenn Ministerien oder Behörden sich auf den Weg des digitalen Wandels begeben wollen, brauchen sie eine mutige (politische) Führung, Impulse von draußen und Beratung in der Organisationsentwicklung.
Das Geld müssen wir ausgeben, die Zeit müssen wir uns nehmen. Und da muss dann über Experimentierräume gesprochen werden und über Fehlerkultur und anderes, was der Verwaltung eher fremd ist. Dabei ist es unerlässlich, das Fachwissen und die Erfahrung, aber auch die Bedürfnisse von Mitarbeitenden von vornherein einzubeziehen.
Erschreckend ist weiterhin die Bilanz der Arbeitsgruppe Innovativer Staat des D21 e.V., die sich mit der Aus- und Weiterbildung von Verwaltungsfachkräften beschäftigt hat: Digitale Kompetenzen, technische und rechtliche Grundlagen sowie der Umgang mit digitalen Medien und offenen Arbeitsformen sind dort überwiegend Fehlanzeige. Es reicht eben nicht, Verwaltungsinformatiker für die kommunalen Rechenzentren auszubilden und den Rest dem freien Markt zu überlassen. Dabei wären die Verwaltungshochschulen offen für eine entsprechende Weiterentwicklung, ebenso wie die Weiterbildungsanbieter und die Führungsakademien. In der Aus- und Weiterbildung von Verwaltungsfachleuten und insbesondere beim Führungspersonal müssen Kompetenzen für den digitalen Wandel verpflichtend verankert werden!
Gibt es ein Fazit aus den Jahrzehnten ambitionierter, aber faktisch folgenloser Pläne?
Der digitale Wandel in der Verwaltung kommt nicht von alleine. Politik muss bereit sein, nachhaltig in den Kulturwandel der Verwaltung zu investieren, also in die Organisationsentwicklung und die Ausbildung. Sie muss nicht nur Angebote, sondern auch dahinterliegende Verfahren und Daten digitalisieren und offenlegen. Und die Angebote der Verwaltung müssen den Nutzern nicht nur bekannt, sondern relevant und nützlich, verlässlich und sicher sein. Eine Regierung, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger gewinnen will, muss die inneren Widersprüche der Innenpolitik für sich klären. Nicht zuletzt muss die Politik sich endlich eingestehen, dass es mit Programmen und Gesetzen nicht getan ist. Ihre Umsetzung muss gezielt unterstützt und begleitet, aber auch überprüft werden.
Saskia Esken ist Informatikerin und Vize-Sprecherin für Digitalpolitik in der SPD
Saskia Esken