Ausbau von Strecken: Wie die Deutsche Bahn abgehängte Regionen wiederentdeckt
Zwischen Berlin und dem polnischen Stettin sollen Züge wieder schneller rollen. In Projekte wie diese fließen in den kommenden Jahren Milliardensummen.
Zu solchen Terminen kommt Ronald Pofalla auch mal in die tiefe Provinz: Am Donnerstag gibt der Vizechef der Deutschen Bahn im Nordosten Brandenburgs ein Ausbauprojekt bekannt, dass Jahrzehnte auf Eis lag. Die Schienenstrecke Berlin-Szczecin (Stettin), nach dem Zweiten Weltkrieg teils demontiert, soll 80 Jahre später endlich wieder leistungsfähiger werden und schnellere grenzüberschreitende Verbindungen für den Personen-, Pendler- und Güterverkehr zwischen Deutschland und Polen ermöglichen.
Für den durchgehenden zweigleisigen Ausbau und die komplette Elektrifizierung hat die Bahn nun mit Berlin und Brandenburg einen Finanzierungsvertrag unterzeichnet. Erst die Beteiligung der beiden Länder an den Kosten von mehreren hundert Millionen Euro machte den Weg frei. Der Staatskonzern hatte über viele Jahre nur eine weiter eingleisige Minimalvariante geplant, da man keinen allzu großen Nutzen des Ausbaus erwartete und die Investitionsmittel des Bundes lieber anderswo einsetzte.
Beim Termin in Angermünde werden neben Tamara Zieschang, der Staatssekretärin von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), auch der Infrastrukturminister Brandenburgs und frühere DB-Aufsichtsrat Guido Beermann sowie Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther dabei sein. Ob alle Beteiligten noch im Amt sind, wenn der Ausbau geschafft ist, ist eher fraglich. Frühestens 2026 soll es nach bisherigen Planungen der Bahn soweit sein, nach fünf Jahren Bauzeit für die beiden Abschnitte.
Dann soll die gesamte Strecke mit Tempo 160 befahrbar sein und endlich eine problematische Lücke zwischen den Bahnnetzen in Europa geschlossen werden. Die Ausrüstung mit dem einheitlichen europäischen digitalen Leitsystem ETCS soll dafür sorgen, dass künftig der Schienenverkehr zwischen Skandinavien, Zentral- und Westeuropa besser fließen kann, wie die DB betont.
Miserabler Zustand war jahrelang ein Politikum
Bisher zuckeln die Züge ab Angermünde auf den 49 Kilometern bis zur Grenze mit maximal 120 km/h dahin. Ab Passow ist die Strecke auf 30 Kilometern gar nur noch eingleisig und nicht elektrifiziert, also ein massiver Engpass und nur mit klimabelastenden Dieselloks befahrbar. Hier sollen von 2024 bis 2026 ein zweites Gleis und Oberleitungen entstehen. Für Güterzüge sind zudem 740 Meter lange Überholgleise geplant, außerdem werden die fünf grenznahen Stationen Passow, Schönow, Casekow, Petershagen und Tantow modernisiert.
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Der miserable Zustand der wichtigen Bahnstrecke war Jahrzehnte ein Politikum zwischen Deutschland und Polen. Anders als die Modernisierung der Autobahn zwischen Berlin und Stettin kam der Ausbau der Schiene nicht voran, obwohl beide Länder seit 2003 verhandelten. Mehrfach verzögerte sich die Umsetzung, nach früheren Versprechen müsste der Ausbau längst realisiert sein. Tatsächlich rollen Fracht und Arbeitspendler zwischen der Hafenstadt an der Ostsee und Berlin bis heute vor allem über die Straßen, zum Schaden für Umwelt und Klima.
Nach Osteuropa oft nur im Schleichtempo
Mit dem Klimapaket, dem Schienenbündnis und dem Masterplan Schienenverkehr hat die Bundesregierung die Bahn wiederentdeckt. Milliardensummen sollen in den Neu- und Ausbau von Strecken sowie Modernisierungen fließen, um abgehängte Regionen besser anzubinden, überlastete Engpässe zu erweitern und grenzüberschreitende Verbindungen zu beschleunigen.
Besonders der Bahnverkehr Richtung Osteuropa gilt als stark verbesserungswürdig, oft geht es nur im Schleichtempo voran. Dafür ist die einst stolze Stettiner Bahn, eine der ältesten Bahnlinien Deutschlands, ein trauriges Beispiel. 1843 eröffnet und privat finanziert, gehörte die Verbindung über Bernau und Eberswalde an die Küste zu den wichtigsten Schienenstrecken Preußens. Schon 30 Jahre später war die 135 km lange Linie komplett zweigleisig ausgebaut.
Fahrgastverband begrüßt das Vorhaben
Doch der Zweite Weltkrieg und die Teilung Berlins, Deutschlands und Europas in Ost und West leiteten Zug um Zug den Niedergang ein. Die Sowjets demontierten in der Besatzungszeit die zweite Fahrbahn als Reparation für die Kriegsschäden, Stettin lag fortan jenseits der Grenze in Polen. Der Startbahnhof in Berlin, der heutige Nordbahnhof, wurde geschlossen und die Strecke zu DDR-Zeiten nur teils wieder aufgebaut und elektrifiziert. Erst in den zwei Jahrzehnten nach der Wende wurden zumindest die Abschnitte von Berlin bis Angermünde für den Regionalverkehr modernisiert.
Wenn dieses Mal der Zeitplan klappt, werden rund 80 Jahre vergangen sein, bis die Stettiner Bahn wie früher wieder zweigleisig befahrbar ist. Auch der Fahrgastverband Pro Bahn hat lange dafür gekämpft und begrüßt das Vorhaben. „Dieser Ausbau ist sinnvoll, es gibt erheblichen Bedarf, das werden die steigenden Fahrgastzahlen zeigen“, sagt Peter Cornelius, Landesvorsitzender in Berlin und Brandenburg. Viel zu lange sei das Projekt kaum vorangekommen.
Die Nutzerzahlen werden maßgeblich von der Attraktivität der Zugverbindungen abhängen. 2012 fuhr der letzte Fernzug von Berlin nach Stettin, seither müssen Regionalzüge mit Umstieg in Angermünde genutzt werden. Viele steigen da lieber ins Auto oder in Pendlerbusse. Ein schneller Regionalexpress mit Tempo 160 oder ein bequemer Intercity-Fernzug könnten auf der ausgebauten Stettiner Bahn zum Erfolgsmodell für den Bahnverkehr Richtung Ostsee und Polen werden.