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Für Firmen, die Waren nach Großbritannien verkaufen, wäre ein harter Brexit eine Herausforderung.
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No-Deal-Szenario: Wie deutsche Firmen sich auf einen harten Brexit vorbereiten

Wenige Wochen vor dem EU-Austritt der Briten, stocken Unternehmen ihre Lager auf. Aber reicht das als Vorbereitung auf einen Brexit ohne Abkommen?

Es geht um Medikamente und Autos, um Süßigkeiten und Tiefkühlware. Der Pharmakonzern Bayer zum Beispiel liefert Kontrastmittel fürs Röntgen nach Großbritannien. BMW fertigt dort den Mini, Volkswagen seinen Bentley. Der Süßwarenkonzern Storck schickt Werthers Original sowie Minzschokolade auf die Insel, von Coppenrath und Wiese kommen Torten und Aufbackbrötchen.

Sollten die Briten sich bis Ende März auf keine Regelung für den EU-Austritt einigen, haben all diese Konzerne ein großes Problem. Und dabei steht sehr viel mehr auf dem Spiel als die Versorgung der Briten mit Karamellbonbons. Es geht um 119 Milliarden Euro: So viel sind die Waren wert, die Deutschland und das Vereinigte Königreich jährlich austauschen. 750.000 Arbeitsplätze, rechnet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) vor, hängen hierzulande am Handel mit Großbritannien.

Firmen sind verunsichert

Vor allem kurzfristig droht das Chaos, sollte es tatsächlich zum harten Brexit kommen. Denn gibt es bis dahin keine Einigung, gilt das Vereinigte Königreich ab dem 30. März für die EU als Drittstaat. An der Grenze müssten dann wieder Zölle kassiert und Waren kontrolliert werden. Weil ein Großteil des Lkw-Verkehrs über die Häfen Calais und Dover läuft, rechnet man mit kilometerlangen Staus. Die Unternehmen versuchen, sich so gut wie möglich darauf vorzubereiten. Die Lagerhallen auf der Insel, heißt es, seien voll. Doch reicht das? Kann man sich auf einen harten Brexit ausreichend vorbereiten?

In der Wirtschaft haben daran viele ihre Zweifel. Der Süßwarenkonzern Storck etwa stockt zwar ebenfalls seine Lager in Großbritannien auf – möglich sei das aber nur begrenzt. Lagere man zu viele Süßwaren ein, laufe man Gefahr, sie am Ende nicht mehr verkaufen zu können, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum dann überschritten werde, sagt ein Sprecher.

Zehn Millionen neue Zollanmeldungen

Und das ist nur ein Problem. Dazu noch das Chaos bei der Zollabfertigung. „Im ungünstigsten Fall würden bei einem ungeordneten Austritt bis zu zehn Millionen neue Zollanmeldungen notwendig“, sagt Volker Treier, Außenhandelschef beim DIHK. Eine Herausforderung ist das nicht nur für die Zollbehörden, die aufgrund des Brexits gerade dringend neue Mitarbeiter suchen. Auch die Unternehmen fürchten die zunehmende Bürokratie. 200 Millionen Euro soll allein dieses Mehr an Papierkram die deutschen Unternehmen kosten. Dabei sind die eigentlichen Zölle noch gar nicht eingerechnet: Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht davon aus, dass die Zölle deutsche Firmen mit weiteren drei Milliarden Euro im Jahr belasten würden.

Doch selbst wenn man diese Kosten einkalkuliert, bleibt ein Risiko. Der DIHK nennt als Beispiel einen deutschen Maschinenbauer, der seine Materialien in Frankreich einkauft und selbst keinerlei Geschäftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich hat. Auch er könnte im Fall eines harten Brexits betroffen sein – nämlich dann, wenn sein Zulieferer wiederum Teile von einem britischen Partner bezieht. Auch deshalb fühlt sich wenige Wochen vor dem Stichtag nur ein Viertel der deutschen Unternehmen auf einen harten Brexit vorbereitet, wie eine DIHK-Umfrage zeigt. Mehr als die Hälfte der Firmen sagt, sie könnten trotz eingehender Prüfung die Folgen eines harten Brexits nicht abschätzen.

Im Fall eines harten Brexits müssten Zollbeamte mehr Container kontrollieren.
Im Fall eines harten Brexits müssten Zollbeamte mehr Container kontrollieren.
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Der Zoll sucht Mitarbeiter

Schulabgänger könnten in diesem Jahr zu den Profiteuren des Brexits zählen. Aufgrund der Unwägbarkeiten hat der deutsche Zoll die Zahl seiner Ausbildungsplätze für dieses Jahr um 600 auf 2000 erhöht. Eingestellt werden die Nachwuchskräfte allerdings wie üblich erst zum August. Um bis dahin auch im Fall eines harten Brexits arbeitsfähig zu sein, musste die Behörde sich etwas einfallen lassen. Denn der Zoll leidet schon länger unter dem Fachkräftemangel, viele Stellen sind unbesetzt. Und der Brexit verschärft die Situation: 900 zusätzliche Arbeitskräfte in der Zollabfertigung bräuchte die Behörde, falls die Briten am 29. März ohne Vertrag aus der EU austreten. Denn dann würde von jetzt auf gleich auf sämtliche Waren aus Großbritannien ein Zoll fällig.

Vor allem an den Häfen in Hamburg und Bremerhaven sowie an den Flughäfen Köln-Bonn, Leipzig-Halle und Frankfurt am Main rechnet der Zoll im Fall eines harten Brexits mit Engpässen. Um die zu überwinden, hat die Behörde bereits im vergangenen Jahr 1500 Stellen für Quereinsteiger ausgeschrieben. Sie sollen in erster Linie Angestellte in der Verwaltung ersetzen, damit die wiederum in die Zollabfertigung versetzt werden können.

Zusätzlich hat der Zoll seine IT-Systeme so angepasst, dass mehr Waren aus der Ferne abgefertigt werden können. Auf diese Weise müssten Arbeitnehmer nicht an einen anderen Einsatzort versetzt werden, sagt ein Sprecher. Einzig zum Durchsuchen der Container müssten noch Mitarbeiter vor Ort sein.

Autokonzerne ziehen die Sommerpause vor

 BMW fertigt in Oxford den Mini.
BMW fertigt in Oxford den Mini.
© AFP

In kein Land der Erde exportiert die deutsche Automobilindustrie so viele Neuwagen wie nach Großbritannien. 2018 waren es nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts genau 753796 im Gesamtwert von 16,4 Milliarden Euro. In die USA ist das wertmäßige Volumen (knapp 18,6 Milliarden Euro) zwar größer, aber die Stückzahl kleiner. Und nach China wird weniger exportiert, aber umso mehr vor Ort produziert.

Ein harter Brexit würde die deutsche Branche also hart und unmittelbar treffen. Nicht nur, weil viel exportiert wird, sondern weil die deutsche Automobilindustrie in Großbritannien auch rund 100 Produktionsstandorte unterhält, die meisten davon sind Fertigungsstätten deutscher Zulieferunternehmen. Das Beratungsunternehmen Oliver Wyman schätzt, dass ein Brexit die Branche über als drei Milliarden Euro kosten würde. Der Autoverband VDA fürchtet neben hohen Zollkosten auch Verwerfungen in den Lieferketten und massive Beeinträchtigungen in der Logistik. Entsprechend nervös versuchen die Unternehmen, für den Worst Case vorzusorgen.

Porsche zum Beispiel fordert derzeit Neuwagenkäufer auf der Insel auf, eine Klausel zu unterzeichnen, in der sie angeben, eine Preiserhöhung von zehn Prozent bei möglichen Importzöllen zu akzeptieren. Bentley – wie Porsche eine Volkswagen-Marke – stockt derweil die Lagerbestände auf und erwägt, die Produktion an zusätzlichen Tagen auszusetzen. Ähnlich verfährt die BMW-Marke Rolls-Royce. Der Luxushersteller schließt statt im Sommer sein Werk in der Grafschaft West Sussex bereits in den ersten beiden Aprilwochen. Zugleich werden Lagerflächen, IT-Investitionen und Ersatzteil-Vorräte aufgestockt – man will für alle Fälle gewappnet sein.

BMW ist mit der Tochter Mini in einer besonders schwierigen Situation. Im Werk in Oxford soll im laufenden Jahr die Produktion des Elektro-Mini beginnen. Dort rollen jährlich mehr als 220000 Autos vom Band. Nun beginnt in den insgesamt vier Werken auf der Insel die im Sommer übliche Wartungsphase und Produktionspause bereits am 1. April. Außerdem denkt BMW über eine stärkere MiniProduktion in den Niederlanden nach. Das Unternehmen und seine Lieferanten stellen sich zudem auf die Zollabfertigung ein.

Der Autozulieferer Bosch bereitet sich ebenfalls systematisch auf den Brexit vor. Es geht um Zölle, Warenverfügbarkeit und Finanzen. Den Bau einer neuen britischen Regionalzentrale hat Bosch erst einmal zurückgestellt. Allein durch Zölle erwartet der Zulieferer Kosten im mittleren zweistelligen Millionen-Bereich.

In Großbritannien lagern die Arzneimittelkonzerne sicherheitshalber Medikamente ein.
In Großbritannien lagern die Arzneimittelkonzerne sicherheitshalber Medikamente ein.
© picture alliance / dpa

Pharmakonzerne lagern Medikamente ein

Der Pharmakonzern Bayer hat in Großbritannien bereits Medikamente eingelagert. So will der Konzern verhindern, dass es nach einem harten Brexit zu Lieferschwierigkeiten kommt und Briten auf Arzneimittel warten müssen. Das Problem ist nur: Längst nicht alles lässt sich einlagern. Kontrastmittel, das in der Radiologie zum Einsatz kommt, etwa ist nur begrenzt haltbar und muss schnell transportiert werden. Da kann es schon zum Problem werden, wenn die Lkw zu lange an der Grenze in der Schlange stehen. Einem Sprecher zufolge steht Bayer deshalb mit den britischen Zollbehörden in Kontakt, um eine Sonderlösung zu finden.

Auch bei der Zulassung von Medikamenten droht im Fall eines harten Brexits Chaos. Zwar zieht die Europäische Arzneimittelagentur Ema gerade mit 850 Mitarbeitern von London nach Amsterdam um. Doch sie ist nur für einen Teil der Zulassungen zuständig. Pharmakonzerne können ihre Arzneimittel alternativ bei den nationalen Stellen für den EU-Markt zulassen und viele haben dafür bislang die britische Behörde MHRA genutzt.

In drei Vierteln der Fälle ist diese britische Zulassung bereits auf eine Behörde in einem EU-Land übertragen worden – ein Viertel steht aber noch aus. Beim Bundesverband der Arzneimittelhersteller heißt es deshalb, im Falle eines harten Brexits könne es auch in Deutschland „zu zeitweiligen Engpässen in der Arzneimittelversorgung“ kommen. Man gehe allerdings davon aus, „dass lebensnotwendige Medikamente prinzipiell auch weiterhin in der EU zur Verfügung stehen“.

Der Paketdienstleister DHL stockt aufgrund des Brexits sein Personal auf.
Der Paketdienstleister DHL stockt aufgrund des Brexits sein Personal auf.
© REUTERS

Logistikunternehmen suchen alternative Routen

Für Logistikkonzerne, die Waren von und nach Großbritannien bringen, wäre der harte Brexit ein Einschnitt. Der deutsche Paketdienstleister DHL zum Beispiel beschäftigt auf der Insel 50000 Mitarbeiter – allein das zeigt, wie wichtig das Geschäft mit den Briten ist.

In Deutschland wäre von einem harten Brexit vor allem das DHL-Luftfrachtzentrum in Leipzig betroffen. Dort kommen besonders viele Waren an, die per Express von Großbritannien nach Deutschland verschickt werden. Sie sollen noch am selben Tag oder gar binnen Stunden an ihrem Zielort sein. Entsprechend schnell und reibungslos muss die Zollabwicklung im Fall eines harten Brexits laufen. Deshalb stockt DHL bereits personell auf. Chef John Pearson, übrigens selbst Brite, sagte kürzlich, sie würden jede Woche 50 neue Mitarbeiter einstellen – und das bereits seit drei Monaten.

Einer DHL-Sprecherin zufolge gibt es im Konzern diverse Brexit-Notfallpläne. Unter anderem werde derzeit mit jedem Kunden darüber gesprochen, wie seine Waren im Fall des harten Brexits nach Großbritannien transportiert werden sollen. Experten rechnen an den Häfen in Calais und Dover mit kilometerlangen Schlangen. Die DHL prüft deshalb, ob es möglich ist, Waren über andere Häfen von und nach Großbritannien zu bringen. Auch Konkurrent Dachser spielt Routen über Ausweichstrecken durch. In vielen Fällen seien sie aber keine Option: denn das macht den Transport länger und teurer.

Eine Herausforderung dürfte zudem der Warenverkehr von und nach Irland werden. Der Inselstaat verbleibt zwar in der EU, wickelt aber einen Großteil seiner Transporte über Großbritannien ab. So bringt Dachser mit der Tochterfirma Johnston Logistics zum Beispiel mehrmals die Woche Waren von Köln nach Irland. Die Lkw steuern dafür aber ebenfalls zunächst die Häfen Dover/Calais an, durchqueren auf dem Weg nach Irland also Großbritannien. Zwar gibt es auch alternative Fährverbindungen, die direkt vom europäischen Festland nach Dublin führen – „für ein größeres Transportvolumen müssten solche Linien aber erst noch etabliert werden“, so ein Sprecher.

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