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Kaufhaus? Oder zumindest das, was man vor vielen Jahren darunter verstand. Die Fachhändler in kleinen und mittelgroßen Städten sind dem Online-Handel kaum gewachsen.
© photocase.com/HerrSpecht

Wandel im Handel: Wie das Internet unsere Einkaufskultur verändert

Wir lassen uns im Fachhandel beraten, bestellen aber im Onlineshop. Das ist Gift für die Traditionsgeschäfte, ganze Innenstädte verwaisen. Einst verhasste Einkaufszentren können helfen - reichen wird das nicht.

Ob er das Sofa tatsächlich in dem Templiner Möbelhaus kaufen würde statt in diesem schicken Onlineshop, kann Kai Falk nicht sagen. Aber die Chancen wären in jedem Fall größer, wenn das Möbelhaus auch sonntags geöffnet wäre. An Sonntagen nämlich verkauft das Berliner Internetkaufhaus Home24 nach eigenen Angaben die meisten Sofas. Wenn die Menschen zu Hause auf der Couch sitzen, bestellen sie im Internet eine neue.

„Das Internet ist immer da“, sagt Falk, Geschäftsführer beim Handelsverband HDE. Es gewinnt Marktanteile – die klassischen Facheinzelhändler verlieren sie. Das liege nicht zuletzt daran, dass Onlineshops durchgehend geöffnet seien, sagt Falk. 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Handelsexperten sind sich einig: Die Branche erlebt derzeit den größten Umbruch mindestens seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Zu allen Zeiten hätten Ladeninhaber ihre Geschäftsmodelle anpassen müssen, sagt Joachim Stumpf, Geschäftsführer der Unternehmensberatung BBE. Doch nie sei der Wandel so radikal und schnell gewesen.

Templin gegen das Internet – die brandenburgische Stadt, 16 000 Einwohner, 70 Kilometer nördlich von Berlin gelegen, steht nur beispielhaft für Kommunen, in denen sich die Einzelhändler verstärkt Gedanken machen müssen, wie sie künftig an Kunden kommen. In deutschen Klein- und Mittelzentren stehen Ladenlokale leer, folgt auf die Modeboutique, die nach 30 Jahren schließen musste, der Ein-Euro-Ramschladen. Das Problem ist durchaus erkannt. Derzeit gebe es drei starke Trends, sagt Hilmar von Lojewski, Stadtentwicklungsexperte beim Deutschen Städtetag. „In Bereichen, in denen der Handel wächst, wächst er im Internet; wenn der Handel schrumpft, dann meist in kleinen Städten; wenn der Internethandel mit Ladengeschäften in die Städte geht, dann in die großen Städte.“ Eine überzeugende Strategie, wie die Erosion der Innenstädte aufzuhalten ist, fehlt. „Der Prozess ist leider dynamischer, als wir gehofft haben“, sagt von Lojewski.

Wie Shoppingcenter und Fachhändler Tür an Tür existieren können

Und es besteht wenig Hoffnung, dass sich daran etwas ändert. „Für Städte unter 30 000 Einwohnern und mit geringem Einzugsgebiet wird es schwer, eine attraktive Einzelhandelsstruktur zu bewahren oder zu schaffen“, sagt Berater Stumpf. Seit der Jahrtausendwende ist der Marktanteil des stationären Facheinzelhandels von 32 auf 21 Prozent gesunken. In zehn Jahren dürfte er nach Einschätzung von Stumpf lediglich bei zehn Prozent liegen. Stürmische Wachstumsraten verbucht hingegen der Onlinehandel. Der Versandhandelsverband BVH korrigierte die Umsatzprognose für den E-Commerce im laufenden Jahr um über sechs Milliarden auf 39,8 Milliarden Euro nach oben. Das entspricht bald einem Zehntel des Gesamterlöses im Handel. Allein in der Weihnachtszeit dürften Verbraucher für 8,5 Milliarden Euro im Internet shoppen – ein Plus von 15 Prozent zum Vorjahr.

Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Einkaufsstraßen in den Wochen vor dem Fest leerer werden. Im Gegenteil – in großen Städten wie Berlin, Hamburg, München oder Köln funktionieren die Innenstädte bestens. Das liegt auch an den Einkaufspassagen, die Ketten wie H&M, Zara, Esprit oder Mediamarkt wegen der hohen Kaufkraftdichte schätzen. „Shoppingmalls kommen bei den Kunden nach wie vor gut an“, sagt HDE-Geschäftsführer Falk. Sie bekommen dort alles, was es bei der Einkaufstour im Netz nicht gibt: aufwendige Produktpräsentation, Unterhaltung, Gastronomie. Und satt sind sie offenbar noch lange nicht. In der Berliner Schloßstraße drängeln sich auf weniger als zwei Kilometern Länge inzwischen fünf Shoppingcenter. Und am Leipziger Platz entsteht gerade eine Mall mit 270 Läden auf 76 000 Quadratmetern, die im kommenden Jahr eröffnet wird.

Vor Jahren noch als Totengräber der Innenstädte gebrandmarkt, bewahren die Einkaufstempel sie inzwischen vor dem Ausbluten. „Kleinere Einzelhändler profitieren sogar davon, wenn sie sich in ihrem Umfeld ansiedeln“, sagt Falk. Nicht zuletzt deshalb, weil die Betreiber der Malls gelernt haben. Moderne Shoppingmalls integrieren sich besser in die Innenstädte als die vormals großen Komplexe. „Der Trend geht weg vom Closed-House-Konzept“, erläutert Städtebauexperte von Lojewski. „Auch die Betreiber der Malls haben erkannt, dass sie die Umgebung miteinbeziehen müssen, um attraktiv zu bleiben.“

Händlern in kleinen und mittelgroßen Städten helfen diese Erkenntnisse freilich wenig. Sie müssen versuchen, Kundschaft über den Einzugsbereich ihres Standorts hinaus zu gewinnen. „Nur die guten Händler werden den Wandel schaffen – Mittelmaß ist verboten“, sagt Berater Stumpf. „Wenn der Kunde mit einem Preisvergleich kommt, zeige ich ihm einen noch besseren Preisvergleich. Und dann sage ich ihm, was er bei mir bekommt, das er dort nicht haben kann: extreme Serviceleistungen, extreme Kundenbindung.“

Mehr Mut zum Risiko, mehr Service, mehr Beratung – das alles sehen auch die Händler selbst als notwendig an, wenn es für sie weitergehen soll. Gleichzeitig sollen sich aber auch die Arbeitnehmer bewegen. Das Tarifwerk müsse entrümpelt werden, fordert Falk und befeuert damit den derzeit laufenden Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft Verdi. Nur wenn Händler ihr Personal flexibler einsetzen könnten, könnten sie konkurrenzfähig sein. „Dass beispielsweise eine Kassiererin mehr verdient als eine geschulte Fachverkäuferin, ist nicht mehr zeitgemäß.“

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