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Produktion in Deutschland. Das britische Unternehmen Lush betreibt in Düsseldorf eine Fabrik.
© Reuters

Nach dem Brexit-Referendum: Wie britische Firmen auf das Votum reagieren

Wegen des Brexit zieht es immer mehr britische Unternehmen nach Deutschland. Berlin ist besonders bei Fintechs sehr gefragt.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs mag in den Ohren vieler britischer Geschäftsleute wie Musik geklungen haben: Der High Court hatte am Donnerstag entschieden, dass das Parlament darüber abstimmen muss, ob es Artikel 50 auslöst und somit die Verhandlungen über den Brexit beginnen können. Die meisten akzeptieren es dennoch, dass die Regierung den geplanten Austritt aus der Europäischen Union ungeachtet dessen vorantreiben wird. Für Geschäftsleute erweist sich die Angelegenheit als Dilemma: Sie können abwarten und auf eine Lösung hoffen, die ihren Interessen entspricht – oder ihr Unternehmen ins Ausland, etwa nach Deutschland, verlagern.

Abwarten ist für Start-ups keine Option

Für Start-ups ist Abwarten keine Option. „Unsere Investoren haben uns bei der Frage, wie wir mit dem Brexit umgehen, sehr unter Druck gesetzt“, sagt etwa Thomas Schneider, Gründer des Fintech-Start-ups Brickvest. „Durch den Brexit könnten wir unsere Geschäftslizenz für Europa verlieren“, sagt er. „Wir haben unser Büro deswegen vorsichtshalber nach Berlin verlegt, um unseren Investoren Sicherheit zu geben.“ Das Unternehmen hat sein Team im Vereinigten Königreich von 15 auf fünf Mitarbeiter verkleinert und sieben Leute in Berlin angeheuert. Dennoch sei der Wechsel kein Kinderspiel gewesen, sagt Schneider – auch deswegen, weil sich die Zusammenarbeit mit Deutschlands oberster Finanzbehörde Bafin wesentlich schwieriger gestalte als mit ihrem britischen Pendant. Aus diesem Grund wird sich Brickvest wohl um eine Geschäftslizenz in Dublin bemühen, falls Großbritannien sein Recht verlieren sollte, sogenannte „Passports“ für Geschäfte in der EU zu vergeben.

Den Hauptstadtvermarkter Berlin Partner erreichen mehr Anfragen

„Alle unsere Mitarbeiter wollten nach Berlin mitkommen, weil es abgesehen von London die internationalste Kulturmetropole in Europa ist“, sagt Schneider. „Berlin gehört zu Deutschland, aber es ist nicht so deutsch.“ Schneider war beeindruckt, dass es nur vier Tage dauerte, Arbeitsvisa für Mitarbeiter zu bekommen, die nicht aus einem EU-Mitgliedsland stammen. Ein Vorgang, der im Vereinigten Königreich „schrecklich“ sei, sagt Schneider. Sein Unternehmen ist nicht das einzige, das seit dem Brexit-Votum nach Deutschland gezogen ist. Stefan Franzke, Geschäftsführer des Hauptstadtvermarkters Berlin Partner, erreichten seitdem mehr als 40 Anfragen. „Die Firmen wollen wissen, wie das mit Visas funktioniert, wo man die Techszene findet, wie sie an Büros und Wagniskapital kommen“, sagt Franzke. 80 Prozent der Anfragen stammten dabei aus der Fintech-Branche. Fünf Start-ups aus dem Vereinigten Königreich hätten seit Juni bereits den Sprung nach Berlin gewagt.

Das Kosmetikunternehmen Lush hat Personal nach Deutschland verlagert

Die Hauptstadt setzt alles daran, um britische Firmen nach Berlin zu locken. So schrieb Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) im Juni mehrere hundert in Großbritannien ansässige Start-ups persönlich an, um ihre Hilfe für den Umzug nach Berlin zu offerieren. Auch heute ist die Senatorin noch damit beschäftigt, Jungunternehmern den Weg in die Hauptstadt zu ebnen. „Mehr als 200 Firmen haben ihr Interesse bekundet“, sagt Yzer. „Vor allem junge Start-ups wollen sich schnell entscheiden, bevor sie ihr Unternehmen wachsen lassen.“ Yzers Verwaltung überlegt derzeit gemeinsam mit der Bafin, wie die Ansiedlung von britischen Start-ups in der Hauptstadt beschleunigt und entbürokratisiert werden kann. Zudem will der Berliner Senat in Zukunft bessere und auch international konkurrenzfähige Rahmenbedingungen für Wagnisinvestoren schaffen.
Derweil hat die vorhergesagte Flucht von großen britischen Unternehmen in andere EU-Städte bislang nicht stattgefunden. Stefan Franzke glaubt aber, dass derzeit vor allem Firmen mit größeren logistischen Interessen ihre Möglichkeiten ausloten: „Sie reden mit uns über einen möglichen Umzug in 12 bis 18 Monaten, aber definitiv ist noch nichts.“ Lediglich das Kosmetikunternehmen Lush hat Teile seiner Belegschaft infolge des Brexit-Referendums von Großbritannien nach Deutschland geschickt – 18 Mitarbeiter sind im Sommer in die bereits existente Lush-Fabrik in Düsseldorf gezogen.

Großbritannien will auch nach dem Brexit ohne Zölle und Bürokratie handeln

Derweil hatte sich die Regierung im Vereinigten Königreich bislang öffentlich über etwaige Pläne zurückgehalten, Unternehmen zum Bleiben zu bewegen. Allerdings sah man sich diese Woche gezwungen, einen mutmaßlichen Vorstoß von Wirtschaftsminister Greg Clark in diese Richtung zu dementieren. Der Minister hatte deutlich gemacht, sein Land wolle den Handel ohne Zölle und Bürokratie in beide Richtungen auch nach dem Brexit aufrechterhalten. Diese Haltung habe man auch dem japanischen Autokonzern Nissan dargelegt, der in das größte Autowerk im Königreich in Sunderland im Nordosten Großbritanniens investieren will. Verbände eruieren unterdessen, wie sie vom Brexit betroffenen Firmen helfen können. Die Industrie- und Handelskammer von Coventry und Warwickshire hat eine Hotline eingerichtet – sie sollte den Unternehmen direkt nach dem Referendum Sicherheit geben.

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