Zu Besuch im Pop-up-Store: Wie Berliner Gründer in London um Investoren werben
Gründer aus Berlin wollen in London Investoren von sich überzeugen. Denn: Die Briten stecken jährlich 1,1 Milliarden Euro in Start-ups. Ein Besuch vor Ort.
Die Antenne am Fernsehturm ist zu kurz. „Die muss auf dem Weg von Stockholm abgebrochen sein”, sagt Aleksander Ciszek. Das wird hier in London schon niemandem auffallen, hofft der Start-up-Unternehmer aus Berlin; denn ein neuer Turm braucht 13 Stunden, und in ein paar Minuten eröffnet der Laden. Ciszek ist Geschäftsführer von 3yourmind, einer Plattform, die Architekten beim Druck von 3-D-Modellen berät. Und er ist auf Tour. Gemeinsam mit einigen anderen Jungunternehmern stellt er sich in fünf europäischen Hauptstädten vor. Stockholm, Amsterdam, Wien, Paris – und eben London. „Pop into Berlin” haben Wirtschaftsförderer (Berlin Partner) und Tourismuswerber (Visit Berlin) ihr Konzept getauft, mit dem sie Berlin noch bis Mitte Dezember den europäischen Hauptstädtern und Investoren schmackhaft machen wollen.
Jeweils für eine Woche haben sie in den Metropolen ein Ladenlokal in zentraler Lage gemietet. In London gibt es vor nackten Wänden aus gelbem Backstein alles, was Berlins Kreative derzeit gut verkaufen – vom individuellen Parfum bis zum angesagten Single-Speed-Fahrrad. Und es gibt die Start-ups. Sie begeben sich in London direkt in die Höhle des Löwen.
Die Konkurrenz in London ist groß
Der Laden liegt in Shoreditch, einer der angesagten Gegend im East End. In den schmucklosen Bürohäusern, den alten schmalen Backsteinhäusern und den ehemaligen Brauereien ist die kreative Szene der britischen Hauptstadt versammelt. Hunderte Internet-Unternehmen haben rund um die U-Bahnstation Old Street ihre Büros. In den shabby-schicken Cafés sitzt das urbane London auf abgewetzten Sofas vor Apple-Laptops. In den engen Straßen und Hinterhöfen stehen Foodtrucks und mobile Burger-Buden. Am Wochenende ziehen Tausende über die Flohmärkte und durch die Secondhand-Shops. Ein bisschen wie Berlin, nur größer.
Eingeschüchtert sind die Berliner Start-up-Unternehmer von der Atmosphäre und der nahen Konkurrenz aber nicht. Im Gegenteil. „Der Pop-up-Store in London ist für uns eine große Chance, neue Kunden und Kooperationspartner in Großbritannien zu gewinnen”, sagt Ciszek. London und Berlin gelten als die beiden führenden Start-up-Zentren in Europa.
Berlin und London buhlen um das Geld der Investoren
Vor allem im Bemühen um frisches Kapital, das die jungen Unternehmen zum schnellen Wachsen brauchen, sind die beiden Metropolen Konkurrenten. Im vergangenen Jahr hatten Berliner Unternehmer von privaten Geldgebern und Investmentfonds erstmals mehr Wagniskapital eingeworben als Start-ups aus London. Unter Fachleuten gilt dies besonders deshalb als bemerkenswert, weil die britische Hauptstadt gleichzeitig das europäische Finanzzentrum ist: Viele Jungfirmen werden von Ex-Bankern gegründet, die über entsprechende kurze Leitungen zum großen Geld verfügen. Nichtsdestoweniger liegt Berlin beim Venture Capital auch im laufenden Jahr vorne. Bis zur Jahresmitte flossen nach einer Studie der Unternehmensberatung EY (früher Ernst & Young) 1,4 Milliarden Euro in Berliner Jungunternehmen. In der britischen Hauptstadt pumpten Geldgeber im ersten Halbjahr knapp 1,1 Milliarden Euro in junge Unternehmen. Insofern ist der Auftritt der Berliner Start-ups in London auch eine Leistungsschau. Neben 3yourmind sind die ebenfalls auf 3-D-Druck spezialisierten BigRep und Vfxbox mit ihren virtuellen Welten vertreten.
Besonders groß ist die Aufregung bei Panono. Ihre Wurfkamera sieht aus wie ein kleiner Handball und macht mit Hilfe von 30 Kameraaugen gestochen scharfe 360-Grad-Fotos. Von vornehmer britischer Zurückhaltung spüren die Berliner Unternehmer nichts. „Wir haben in dieser Woche Termine mit britischen Medien und einem Fußballklub”, sagt Sarah Schulze Darup. Beide interessieren sich für die Technologie, mit der sich zum Beispiel große Menschenmengen in Stadien festhalten lassen. Gerüchte, dass es sich bei den möglichen Neukunden um die BBC und den FC Chelsea handelt, will Panono nicht kommentieren. Grundsätzlich sieht Schulze Darup den Auftritt in London aber als große Chance. „Die Leute hier sind neuer Technik gegenüber viel offener.” Deutsche Kunden wollten immer erst sehen, ob etwas funktioniert, bevor sie es kaufen. Ein großer Londoner Fußballklub als Referenz würde wohl auch in der Heimat manche Türe öffnen.
Für Gründer ist Berlin günstiger als London
Ein paar Straßen weiter ist noch das alte East End zu besichtigen – ein indischer Imbiss neben dem nächsten, Handy- und Gemüseläden, Schaufenster, aus denen bunte Saris leuchten. Dort könne man sich die Miete gerade noch leisten, erzählt George. Mit seiner Freundin Eloise steht er im Pop-up-Store zwischen bunt gemusterten Socken und isst Berliner Currywurst. Er jobbt in einer Szene-Bar um die Ecke, sie studiert noch. Das Paar Anfang 20 ist jeden Tag in Shoreditch, dort zu wohnen sei aber einfach nicht drin. Im Duell der Start-up-Metropolen sind die Lebenshaltungskosten ein wichtiger Faktor. Umso mehr als die Geschäftsmodelle ähnlich sind. Lieferplattformen wie Deliveroo (London) oder Foodora (Berlin) haben hier wie dort Konjunktur, Fintechs wie Funding Circle (London) oder Cringle (Berlin) werden immer beliebter.
Sowohl bei Unternehmern als auch bei jungen Akademikern aus ganz Europa gilt Berlin als cool und bezahlbar. Essen gehen, U-Bahn fahren, Mitarbeiter bezahlen – das kostet hier nur die Hälfte von dem, was es dort kostet. Wohnen kostet nur ein Drittel, ein Büro im Monat nur ein Fünftel. Dass erklärt auch zum Teil die enorme Geschwindigkeit, mit der sich in Berlin ein ganzes Ökosystem für Gründer entwickeln konnte.
Mitunter ist die Geschwindigkeit der Berliner inzwischen sogar zu hoch für die Konkurrenz aus London. So übernahm die Putzkräfte-Plattform Helpling im Sommer den britischen Konkurrenten Hassle. Und an der U-Bahnstation Shoreditch machen zwei junge Frauen Werbung für Hello Fresh. In braunen Papiertüten sind alle Zutaten für ein komplettes Essen, Rezept inklusive. Ja, das komme in diesem hippen Viertel gut an, sagt eine der beiden. Die Idee: kommt aus der Start-up-Schmiede Rocket Internet. Und die hat ihren Sitz in Berlin. Zwei Kilometer entfernt vom Fernsehturm.