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Windanlagen-Anbieter und Co: Das Interesse an nachhaltigen Anlagen nimmt zu.
© dpa/Charlie Riedel

Neuer Index „Dax ESG 50“: Wie Anleger Nachhaltigkeit und Rendite vereinen können

Soziale und ökologisch: Ein neuer Index soll es Anlegern erleichtern, in nachhaltige Unternehmen zu investieren. Kritikern ist die Auswahl zu einseitig.

VW ist nicht drin, auch der Triebwerksbauer MTU nicht, die Versorger RWE und Eon fehlen ebenso wie das Wohnungsbauunternehmen Vonovia, der Zahlungsdienstleister Wirecard und der Medizinproduktehersteller Fresenius Medical Care. Abgesehen von diesen sechs Aktien befindet sich der Rest der Dax-Titel auch in dem neuen nachhaltigen Index, dem Dax ESG 50.

In den werden Titel nur aufgenommen, wenn sie eine Nachhaltigkeitsprüfung mit sozialen und ökologischen Aspekten bestehen. „Die Nachfrage nach nachhaltigen Indizes steigt unter Investoren seit Jahren, deshalb haben wir den neuen Index aufgelegt“, sagt Stephan Flägel, Index-Chef von Qontigo, der Informations- und Index-Tochter der Deutschen Börse.

Ausgangspunkt sind die knapp 100 größten und liquidesten Aktien aus Dax, M-Dax und Tec-Dax. Sie werden zunächst auf Einhaltung der Global Compact Prinzipien der Vereinten Nationen gefiltert. Danach werden jene Unternehmen aussortiert, die in den Geschäftsfeldern Waffen, Tabak, Kernenergie, Kraftwerkskohle oder Rüstungsgüter tätig sind.

Alle übrigen Aktien werden dann nach Marktkapitalisierung, Börsenumsätzen und einer Nachhaltigkeits-Bewertung der Ratingagentur Sustainalytics für den Dax ESG gereiht.

Großes Interesse an nachhaltigen Investments

Durch das Raster fallen dadurch beispielsweise auch Airbus, Rheinmetall und Jenoptik, während die Munich Re, die Telekom und Osram nach nachhaltigen Gesichtspunkten zu den besten Unternehmen gehören. Alle drei Monate werde die Zusammensetzung neu überprüft, sagt Andreas von Brevern, Sprecher der deutschen Börse. Warum beispielsweise VW ausgeschlossen sei, Daimler und BMW jedoch nicht, wollte von Brevern nicht sagen. Man äußere sich nicht zu einzelnen Unternehmen.

In den Index investieren können Anleger bereits über einen ersten ETF, den Lyxor 1 Dax 50 ESG. Weitere ETF anderer Anbieter oder auch Zertifikate sollen folgen, kündigt von Brevern an. Die deutsche Börse hält es auch für denkbar, dass der neue nachhaltige Dax mittelfristig den konventionellen Dax als Leitindex ablösen könnte.

Die Nachfrage vor allem professioneller, großer Vermögensverwalter nach nachhaltigen Investments sei sehr hoch. Auch für andere große Indizes aus der Stoxx-Familie gibt es bereits nachhaltige ESG-Varianten, etwa für den europäischen Leitindex EuroStoxx50.

Welche Kriterien sind entscheidend?

ESG steht dabei für drei Themen, bei denen sich nachhaltige Unternehmen von anderen abgrenzen müssen. Das E steht für Environment, also Umwelt, und untersucht, ob ein Unternehmen Themen wie Klimarisiken, Ressourcenverknappung und Umweltverschmutzung stärker in den Fokus stellt als andere. S wiederum steht für social und soll Maßstäbe in den Bereichen Personalmanagement, Datensicherheit und Produkthaftungsrisiken berücksichtigen.

G schließlich steht für Governance oder Unternehmensführung und berücksichtigt, wie eine Firma geführt wird. Ins Gewicht fallen etwa die Höhe der Bezahlung der Vorstände oder die Effektivität von Kontrollprozessen.

Es gebe drei Gründe dafür, dass nachhaltiges Investieren in Zukunft immer wichtiger werde, heißt es bei Blackrock, dem weltgrößten Vermögensverwalter: zum einen regulatorische Vorgaben aus der Politik, zweitens das Heranwachsen jüngerer Investoren, die an nachhaltigem Investieren stärker interessiert seien und drittens ließen sich durch ESG-Daten unternehmerische Risiken für die Zukunft besser einschätzen.

Widerstandkraft in der Coronakrise

Gerade im jüngsten Coronacrash hätten nachhaltige Investitionen auch mehr Widerstandskraft gezeigt, sagen Untersuchungen der Rater Morningstar und Scope. So schrumpften die europaweit in ESG-Fonds investierten Gelder durch den Crash zwischen Januar und Ende März zwar ebenfalls um etwa zehn Prozent auf 621 Milliarden Euro. Der gesamte europäische Fondsmarkt brach jedoch um 16 Prozent ein.

Die Analysten von Scope haben zudem herausgefunden, dass sich nachhaltig anlegende Fonds im Coronacrash als widerstandsfähiger entpuppt hätten. So hätten bei den weltweit anlegenden Fonds die nachhaltigen Papiere im ersten Quartal 17,2 Prozent verloren, konventionelle dagegen im Schnitt 18,9 Prozent.

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Auch bei den europäischen Fonds tat sich eine ähnliche Kluft auf: umwelt- und sozialverträgliche Investitionen gingen um 20,7 Prozent in die Knie, herkömmliche Depots in Europa jedoch um 23,1 Prozent. Nachhaltig orientierte Fonds hätten auch im Schnitt den Vergleichsindex geschlagen, stellten die Analysten von Scope fest. Verantwortlich dafür ist die unterschiedliche Struktur der Papiere.

Eine Rolle gespielt hat vor allem, dass nachhaltige Papiere vor dem Crash bereits kaum auf Sektoren wie die zyklische Industrie oder auch in Energie- und Rohstoffpapiere gesetzt hätten. Positiv für die nachhaltigen Papiere ausgewirkt hat sich dabei auch der parallele Crash der Ölnotierungen, der Aktien aus der Branche, wie sie in konventionellen Indizes vertreten sind, stärker abgestraft hat als andere.

Die Nachfrage steigt, aber es gibt schwarze Schafe

Das Interesse an nachhaltigen Anlagen nimmt stark zu: Bereits 2019 seien in Europa 120 Milliarden Euro in ESG-Fonds geflossen, zeigen die Zahlen von Morningstar. Das entspreche einem Anteil von 37 Prozent. Das in europäischen ESG-Fonds investierte Vermögen kletterte 2019 um 56 Prozent auf 668 Milliarden Euro. Die Rater räumten allerdings ein, dass in den letzten beiden Jahren insgesamt 78 herkömmliche Fonds einfach umbenannt wurden, um mit dem Label ESG vermarktet werden zu können.

Auch die Marktbeobachter von ECOreporter registrierten schwarze Schafe: So hätten Fonds mit ESG-Kriterien geworben, in denen sich Aktien von Ölmultis, Kreuzfahrtanbietern, Atomkraftwerksbetreibern, Fluggesellschaften und Kohleunternehmen fanden.

Ohnehin sind Anleger, die nachhaltig investieren möchten, mit einem nahezu undurchdringlichen Gewirr verschiedener Indizes und Labels für Nachhaltigkeit konfrontiert. So wird beispielsweise in der großen Familie der MSCI-Indizes beziehungsweise -Fonds, die nachhaltig anlegen und diesen Index als Benchmark nutzen, neben den ESG-Kriterien auch das Label SRI angewandt, es steht für „Socially Responsible Investment“.

Kommen Bayer und Daimler für Öko-Anleger in Frage?

Entscheidend für den Anleger ist jedoch: In puncto Wertentwicklung haben nachhaltige Investitionen inzwischen vielfach die Nase vorn. Nach Daten von MSCI etwa haben Indizes, die mit der SRI-Vorgabe arbeiten, ihren konventionellen Bruder in den meisten Zeiträumen in der Vergangenheit geschlagen. Ein Grund dafür könnte in der hohen Gewichtung von Substanzwerten liegen.

Aktuell wiederum sind zum Beispiel Gesundheitsaktien in nachhaltigen Papieren oft sehr hoch gewichtet: Im MSCI SRI stehen Health-Papiere aktuell für 17,5 Prozent des Gesamtvolumens, mehrere Pharmawerte sind unter den 20 größten Positionen, etwa Roche, Gilead oder auch Amgen. Der ishares MSCI World SRI gehörte im ersten Quartal auch zu den am meisten nachgefragten Papieren mit einem Zufluss von 554 Millionen Euro.

Trotz Dieselskandal im Öko-Index: Die Daimler-AG.
Trotz Dieselskandal im Öko-Index: Die Daimler-AG.
© dpa/Marijan Murat

Allerdings: Urgesteine des Öko-Investments üben harte Kritik an den neuen ESG-Indizes und vielen Nachhaltigkeitsstrategien. Viele seien kaum mehr als oberflächliches Bedienen eines Trends, heißt es. Max Deml, eine Art Öko-Pionier der Finanzbranche, der bereits 1991 den Öko-Invest-Verlag gegründet hatte, bemängelt beispielsweise, dass im neuen Dax ESG auch Unternehmen wie Bayer oder Daimler vertreten seien, die nach Glyphosat- und Diesel-Skandalen für institutionelle Öko-Anleger eigentlich nicht in Frage kämen.

Kleinere und wesentlich ökologischer ausgerichtete Unternehmen hätten in dem neuen Index dagegen keine Chance, da ihre Umsätze und Börsenwerte zu gering seien. In der Tat sei es für Qotingo wichtig gewesen, auch die Liquidität der Unternehmen ausreichend zu berücksichtigen, bestätigt von Bevern. Nur so könnten große Vermögensverwalter nachhaltig anlegen.

Ein alternativer Index mit strengeren Kriterien

Deml hingegen empfiehlt eher den Natur-Aktien-Index (NAI). Er umfasst 23 Aktien, die nach strengen Kriterien ausgewählt werden. Alle schließen unter anderem Atomstromproduktion, Kinderarbeit, Diskriminierung von Frauen und Tierversuche aus. 

Umgekehrt müssen sie zwei von vier Positiv-Kriterien zwingend erfüllen. Dazu zählen beispielsweise, dass das Unternehmen Produkte aus ökologisch wichtigen Bereichen vertreibt, beispielsweise effiziente Wassertechnik oder regenerative Energieerzeugung.

Zweitens müsse das Unternehmen ein Pionier und Vorreiter in der Gestaltung eines Produkts sein, etwa in puncto Recyclingfähigkeit oder Produktsicherheit. Drittens fließe bei der Auswahl ein, ob eine Vorreiterrolle bei den Unternehmensabläufen erkennbar sei, etwa bei der Minimierung des Rohstoffverbrauchs. Viertens fallen auch soziale Standards ins Gewicht, zum Beispiel die Frage, ob Gesundheitsschutz und Sozialleistungen für die Mitarbeiter vorbildlich seien.

In den NAI geschafft haben es Unternehmen wie Tesla, der Windanlagen-Anbieter Vestas, der Verpackungshersteller Mayr-Melnhof Karton, die britischen Heimwerkermärkte Kingfisher, der japanische Eisenbahn-Konzern East Japan Railway oder der deutsche Halbleiterproduzent Aixtron.

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