Freihandelsabkommen zwischen EU und USA: Wer gewinnt und wer verliert bei TTIP?
Eine Untersuchung der EU-Kommission zeigt: Die Löhne dürften mit dem Freihandelsabkommen steigen, die Preise aber auch.
Jeans, Sonnencreme oder Autos werden doch nicht günstiger durch TTIP. Im Gegenteil: In Europa würden die Preise durch das Abkommen um 0,3 Prozent ansteigen. Das ist das Ergebnis einer Studie, welche die EU-Kommission selbst in Auftrag gegeben hat. Demzufolge steigen zwar gleichzeitig die Löhne, doch die positiven Effekte von TTIP sind deutlich geringer, als die EU zuvor angenommen hatte. Die Studie zeigt erstmals detailliert, wer bei TTIP profitiert, wer verliert – und wie sich die Wirtschaft in Deutschland entwickeln würde.
In der EU könnte die Wirtschaft in einer konservativen Schätzung um 0,3 Prozent pro Jahr, in den USA um 0,2 Prozent wachsen. Das schreibt das niederländische Wirtschaftsinstitut Ecorys in einer 400-seitigen Untersuchung für die EU. Das Wachstum würde zu einem leichten Anstieg der Löhne führen. Gleichzeitig würden die Preise um 0,3 Prozent steigen.
Frühere Ergebnisse zu optimistisch
Preise und Löhne würden in der EU stärker steigen als in den USA, da die europäische Wirtschaft von TTIP stärker beeinflusst würde. Entgegen früherer Annahmen fallen die positiven Wirkungen von TTIP aber deutlich geringer aus. Die EU-Kommission hatte 2013 noch angekündigt, dass jeder Bürger künftig 545 Euro netto mehr in der Tasche hätte.
Die neue Studie sieht die früheren Ergebnisse als zu optimistisch an. „Die Studie ist eine Momentaufnahme über Vermutungen eines künftigen TTIP-Abkommens“, schreibt die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström auf ihrem Blog. Man müsse bei der Analyse der einzelnen Zahlen vorsichtig sein, weil Marktdaten von vielen Faktoren abhingen.”
Mit dem TTIP-Abkommen wird es klare Verlierer geben. Die Studie hat erstmals für beide Wirtschaftsregionen aufgeschlüsselt, welche Wirtschaftszweige gewinnen und welche verlieren. Damit wird deutlich, welche Branchen ein besonderes Interesse an dem Abkommen haben.
Besonders für die europäischen Autobauer hätte TTIP Vorteile. Die US-Automarken dagegen werden eher zu den Verlierern gehören. Um 1,5 Prozent werde die europäische Autobranche wachsen, prognostiziert die Studie, wenn ein Großteil der Handelshürden abgeschafft werden.
Negative Auswirkungen für Elektroindustrie
Auch wenn der Handel mit Autos für beide Seiten deutlich zunehmen würde, schrumpfe die amerikanische Autowirtschaft durch TTIP um 2,9 Prozent, so die Studie. Diese Zahlen erklären, dass die US-Verhandler intern beim Abbau von Autozöllen noch stark mauern. Durch TTIP würden den Forschern zufolge etwa 2,8 Prozent der Arbeitsplätze in der amerikanischen Autoindustrie wegfallen.
Umgekehrt würden die USA vor allem im Fleisch- und Agrarbereich von höheren Exporten profitieren und die europäischen Produzenten unter Druck setzen. Die Forscher sehen die amerikanische Fleischindustrie mit einem Wachstum von zwei Prozent als klare Gewinner des Abkommens. Für die Elektro- und Stahlindustrie könnte TTIP sogar in beiden Regionen einen Strukturwandel negativ beschleunigen.
Die Forscher sehen für diese Branche vor allem Nachteile durch TTIP. Anbieter aus anderen Ländern würden profitieren, wenn die Standards für Elektronik angeglichen würden, schreiben die Forscher. Die europäische Elektroindustrie müsste sogar einen empfindlichen Rückgang von fast acht Prozent befürchten. Auch das würde zu einem Verlust von Arbeitsplätzen führen.
Im Dienstleistungsbereich könnte vor allem die Finanzbranche durch TTIP profitieren. Europäische Versicherer würden laut der Studie ihr Geschäft in den USA um 6 Prozent steigern können. Lange Zeit hatten sich die USA dagegen gewehrt, über die Finanzindustrie in TTIP zu verhandeln. Erst jüngst einigten sich beide Seiten, auch ein eigenes Finanzkapitel auszuhandeln.
Irland könnte am meisten, Polen am wenigsten profitieren
Ein Abkommen würde für die einzelnen EU-Staaten dabei sehr unterschiedliche Folgen haben.
Während Länder wie Irland, Belgien oder Litauen am meisten von dem Abkommen profitieren, wird TTIP für Malta oder Polen kaum Auswirkungen haben, so die Studie. Ob ein Land von TTIP profitiert, hängt vor allem von den bestehenden Handelsbeziehungen mit den USA ab. Irland könnte besonders profitieren: Mehr als 14 Prozent der irischen Beschäftigten arbeiten für Unternehmen, die in die USA exportieren. Vor allem die Versicherungswirtschaft könne sich laut der Studie dort über ein ordentliches Wachstum freuen.
Ähnlich gehört auch Deutschland zu den Mitgliedsstaaten, die vom freien Handel mit den USA direkt profitieren können. Die Ecorys-Studie prophezeit ein Wachstum von 0,6 Prozent. Es ist vor allem die deutsche Autoindustrie, die dank TTIP wachsen könnte. Außerdem werden positive Effekte in der Chemie-, Metall- und Maschinenbauindustrie erwartet.
Laut der Ecorys-Studie wird Polen am wenigsten vom Abkommen mit den USA profitieren. Ein wichtiger Faktor der polnischen Wirtschaft ist die Elektroindustrie, die durch TTIP auf beiden Seiten des Atlantiks geschwächt wird. Eine andere Studie des World Trade Institutes hatte für Polen noch ein Wachstum von 0,4 Prozent vorausgesagt. Das zeigt, dass es in diesen Prognosen lediglich um mögliche Szenarien geht.
Die USA und die EU wollen die Verhandlungen bald zu Ende bringen. Die EU-Kommission lädt die Öffentlichkeit in einem Konsultationsverfahren ein, die Studie zu kommentieren. Am 30. Mai wird sie die Studie dann offiziell vorstellen.
Die Autoren sind Redakteure des unabhängigen, nicht gewinnorientierten Recherchezentrums correctiv.org