Özdemir über das Ende der Verbrenner: „Wenn wir weitermachen wie bisher, wird es kein deutsches Auto mehr geben“
Einige sehen ihn schon als potentiellen Verkehrsminister. Wann Cem Özdemir den Verbrenner abschaffen würde und was er vom autonomen Fahren hält. Ein Interview.
Cem Özdemir war Grünen-Chef und leitet heute den Verkehrsausschuss im Bundestag. Manche handeln ihn deshalb schon als potentiellen Verkehrsminister nach der Bundestagswahl im September. Vor allem von den Autobossen fordert er Mut zur Veränderung. Er meint: Die Menschen warten auf die Verkehrswende.
Herr Özdemir, wann kommt das Ende des Verbrenners?
Wenn es nach uns geht: 2030. Als wir Grünen das zum ersten Mal gefordert haben, gab es sehr heftige Reaktionen. Heute nennt sogar Markus Söder 2035 als Ausstiegsdatum, nur hat er das seinem Verkehrsminister noch nicht erklärt. Andere Staaten gehen vorweg: Über 50 Prozent des Exports von deutschen Autos geht in Absatzmärkte, die den Ausstieg aus dem fossilen Verbrenner beschlossen oder zumindest geplant haben. Die Autohersteller, wie zuletzt Volvo und GM, nennen selbst schon Ausstiegsdaten.
Welche Signale bekommen Sie aus der Automobilindustrie?
Die Bereitschaft zur Veränderung ist da. Sowohl Audi-Chef Markus Duesmann als auch VW-Chef Herbert Diess unterstützen die Antriebswende und neue Besteuerungssysteme, die die wahren ökologischen Kosten von Verbrennern abbilden und saubere Mobilität fördern. Die Autobosse wissen: Wenn wir weitermachen wie bisher, wird es kein deutsches Auto mehr geben. Dann wird es der Industrie gehen wie Nokia. Der einstige Weltmarktführer für Handys hat damals mit Arroganz auf das Smartphone reagiert und schrumpfte in dem Bereich zum Nischenhersteller.
Warum hört man Vergleichbares wie von Audi und VW nicht von Daimler?
Auch Daimler erweitert sein Angebot an E-Modellen massiv. Ich höre, dass auch die Daimler-Führung in der Elektromobilität die Zukunft des Pkw sieht, nicht im Verbrenner. Synthetische Kraftstoffe, von denen die FDP und Teile der Union träumen, sind bisher nur in Reagenzglasmengen vorhanden und nach wie vor viel zu teuer. 4,50 Euro pro Liter, vor Steuern, kann sich dann nur ein sehr kleiner Teil der Gesellschaft leisten. Wir Grüne wollen weniger Autos. Aber das wollen wir durch klimafreundliche Alternativen und effizientere Nutzung erreichen, nicht indem nur noch Reiche synthetische Kraftstoffe tanken können.
Wie kann die Politik den Wandel zur Elektromobilität forcieren?
Wir brauchen Orientierung. Ich wünsche mir endlich ein klares politisches Signal zugunsten des batterieelektrischen Antriebs im Pkw-Bereich – bei gleichzeitigem Kohleausstieg und Ausbau der Ladeinfrastruktur. Dann wäre die Richtung klar, die Autoindustrie hätte Planungssicherheit und könnte den Turbo einlegen. Und auch die Kundinnen und Kunden hätten keine Verunsicherung mehr. Wenn wir uns weiterhin alle Türen offenhalten, schadet das den Herstellern, aber vor allem der wichtigen Zulieferindustrie. Denn dann wird der eh schon schwierige, aber notwendige Transformationsprozess weiter aufgeschoben. Irgendwann ist es dann zu spät. Das möchte ich den Beschäftigten und uns gerne ersparen.
Welchen Stellenwert hat der private Pkw im Verkehr der Zukunft überhaupt noch?
Vor allem in ländlichen Regionen können wir auf den Pkw nicht überall verzichten, dort fehlen nach wie vor Alternativen. Wer dort abends ins Kino möchte und nicht radeln will, benötigt ein Auto. Wichtig ist jedoch, nicht mehr Politik aus der Windschutzscheibe heraus zu machen, sondern alle Verkehrsträger gleichberechtigt mitzudenken.
Wie kann das aussehen?
Indem wir die Perspektive der Gesetze ändern. Aktuell ist der Ausgangspunkt, dass das Auto selbstverständlich Vorfahrt hat. Alles andere muss begründet werden. Das nimmt Gestaltungsspielraum. Ein Beispiel: Laut aktueller Straßenverkehrsordnung ist Kommunen nur dann die Einrichtung einer Fahrradstraße erlaubt, wenn sie nachweisen können, dass die Strecke bereits von vielen Radfahrerinnen und Radfahrern genutzt wird. Das ist absurd. Ebenso gut könnte man sagen: Wir bauen nur dort Schienen, wo bereits viele Züge fahren. Verkehrswende geht so nicht.
Was kann der Bund – neben einer Änderung der StVO – noch tun, um den Ausbau von Radwegen zu beschleunigen?
Der Bund sollte vor allem mehr Radschnellwege als Verbindung zwischen den Städten vorantreiben. Schnelle E-Bikes, sogenannte S-Pedelecs, spielen in Deutschland praktisch kaum eine Rolle. Da geht mehr, gerade auch für Pendlerinnen und Pendler.
Neben der Antriebswende verändert die Digitalisierung den Verkehr. Mit einem neuen Gesetz will die Bundesregierung Deutschland zum Leitmarkt fürs autonome Fahren machen. Haben wir bald dauerfahrende Kolonnen von Robo-Autos in deutschen Städten?
Der Vorstoß aus dem Verkehrsministerium geht in die richtige Richtung, ist aber erst der Anfang und alles andere als ein großer Wurf. Hier geht es vor allem um bundesweite Einsatzmöglichkeiten für sogenannte People-Moover. Vom vollautonomen Fahren sind wir noch weit entfernt. Und was uns in der Politik noch völlig fehlt, ist eine positive Vision fürs autonome Fahren. Wie nutzen wir das Ganze im Sinne des Klimaschutzes, der Verkehrssicherheit und der Lebensqualität? Da laufen wir bisher hinterher. Sowohl die deutschen Autobauer als auch der Gesetzgeber sind jedoch gut beraten, massiv in den Bereich zu investieren und den regulatorischen Rahmen innovationsfreundlich zu gestalten. Digitalisierung und Automatisierung sind Geschäftsfelder, mit denen unsere Automobilindustrie künftig Geld verdienen kann. Dabei ist unter anderem die Frage zu klären: Wem gehören die Daten, die das Auto sammelt, wo sind diese sicher?
Wie können die Daten der Autofahrer:innen und der anderen Fahrgäste geschützt werden?
Wenn wir Innovation ermöglichen wollen, müssen wir regeln, wie und wo die Daten zukünftig lagern, sodass sie Start-ups und anderen Unternehmen anonymisiert zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite haben die Autokonzerne ein Interesse daran, die Daten bei sich zu behalten. Und vor der Klammer steht die Privatsphäre der einzelnen Person. Das alles lässt sich nicht so einfach auflösen. Hier wünsche ich mir mehr Debatte. Niemand hat etwas davon, wenn hier nachher die Chinesen die Standards setzten. Es liegen Vorschläge auf dem Tisch, die Daten bei einem neutralen Dritten zu bündeln, das ist eine Überlegung wert.
Neben den Grünen tritt in Baden-Württemberg bei den Landtagswahlen auch eine neue Klimabewegung an. Umweltaktivisten ist die Politik von Winfried Kretschmann zu lasch. Kretschmann war für die Abwrackprämie und gegen schärfere CO2-Vorgaben für die Autoindustrie. Bremsen die Grünen die Verkehrswende?
Nein. Schließlich hat Winfried Kretschmann als erster Autoindustrie, Gewerkschaften, Zulieferer und Umweltverbände an einen Tisch geholt und den Strategiedialog begonnen, der den Klimaschutz vorantreiben und gleichzeitig den Industriestandort Deutschland in die Zukunft führen soll. Vom amtierenden Verkehrsminister Andreas Scheuer kam indes wenig. Zwar hat er die sogenannte Nationale Plattform Zukunft der Mobilität eingesetzt, dort aber weder fixe Deadlines noch Zielmarken durchgesetzt. Ungefähr so, als würde die Lehrerin bei einer Klassenarbeit durch die Reihen gehen und sagen, wenn ihr die Aufgabe nicht löst, ist es auch nicht so schlimm.
Angenommen, es gelingt den Grünen, in der nächsten Legislatur das Verkehrsministerium von Andreas Scheuer zu übernehmen. Was sind die wichtigen Themen?
Egal wo ich hinkomme, habe ich das Gefühl, die Menschen warten nur darauf, dass wir die Verkehrswende endlich angehen. Da geht es um nicht weniger als die Modernisierung unseres Landes. Das heißt, Tempo beim Ausbau der Bahn, bei E-Mobilität und bei Investitionen in Rad- und Fußwege. Aber mehr Geld allein reicht nicht. Wir müssen auch ran an die Strukturen. Also weg mit klimaschädlichen Subventionen, eine Art neue Verfassung für die Straße, die alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt mitdenkt und eine langfristige Finanzierung nachhaltiger Verkehrsinfrastruktur. Das sind dicke Bretter, aber wir trauen uns das zu.