Unterwegs in den Urlaub: Wenn halb Deutschland im Stau steht
Auf der Autobahn nicht voranzukommen ist nervig - und teuer: Der Stau kostet Deutschland jährlich 25 Milliarden Euro. Wie Stau entsteht und was die Politik dagegen tun will.
„Wann sind wir endlich da?“ Diese Frage müssen sich etliche Eltern jetzt wieder anhören. Vor allem, wenn sie auf dem Weg in den Urlaub auf der Autobahn stecken bleiben. Wenn die Sprecher im Radio nur die Staus ab zehn Kilometer durchgeben. Wenn Stoßstange an Stoßstange steht, es allenfalls im Schneckentempo voran geht. Für dieses Wochenende hat der ADAC „gewaltige Staus“ vorausgesagt. Kein Wunder: In Berlin, Brandenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sowie im Süden der Niederlande beginnen die Ferien. Eine „zweite Reisewelle“ sieht der ADAC aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und der Mitte der Niederlande anrollen.
Den deutschen Autofahrern dürfte es daher in diesem Jahr nicht besser ergehen als 2014: Damals summierten sich die gemeldeten Autoschlangen nach ADAC-Berechnungen auf 285.000 Stunden: Das entspricht 32 Jahren. Die Gesamtlänge aller Staus lag bei 960.000 Kilometern – ein Rekord. Vor allem im Großraum Berlin ging nichts mehr auf den Straßen: In puncto Staulänge und Staudauer lag die Region „mit großem Abstand“ vor Hamburg an der Stauspitze. Besonders eng wurde es auf den Autobahnen im August, Juli und Oktober.
Stau entsteht meist durch Überlastung
Autofahrer schimpfen dann vor allem über die vielen Baustellen und Unfälle. Dabei sind die in den meisten Fällen gar nicht für den Stau verantwortlich, sagt Michael Schreckenberg. Der Physiker untersucht seit Jahren an der Universität Duisburg-Essen das Fahrverhalten der Deutschen. In 60 bis 70 Prozent der Fälle liege Stau schlichtweg daran, dass zu viele Menschen gleichzeitig unterwegs sind. Dann reicht es schon, wenn einige langsam fahren oder überraschend abbremsen. Schreckenberg nennt das „Stau aus dem Nichts“ oder „Phantomstau“. Der Verursacher bekommt meist gar nicht mit, dass er einen Stau auslöst. Hinter ihm werden jedoch in einer Art Kettenreaktion nach und nach immer mehr Fahrer ausgebremst. Dann braucht es nur noch einer besonders eilig zu haben, schnell von links nach rechts und wieder zurück wechseln – und der Stau ist perfekt.
Dabei müsste es so weit gar nicht kommen. In zehn bis 20 Prozent der Fälle könnte der Stau nämlich verhindert werden, würden die Fahrer vernünftiger und vorausschauender fahren. Die Autoindustrie versucht, mit elektronischen Stauassistenten zu helfen, die bei niedriger Geschwindigkeit automatisch bremsen, beschleunigen und lenken. Zudem bieten Smartphone-Apps wie StauMobil, ADAC Maps oder Google Maps Stau-Infos in Echtzeit
. „Doch die Menschen sind auf der Straße nun mal Egoisten“, sagt Schreckenberg. Das zeigt sich zum Beispiel daran, wie Fahrer auf eine Verengung der Fahrbahn reagieren. Nach dem Gesetz müssten sie bis zum Hindernis vorfahren und sich erst dann einordnen. Die meisten tun das aber nicht: Sie wechseln deutlich früher die Spur und ärgern sich dann über diejenigen, die korrekterweise überholen. In der Folge fahren sie besonders dicht auf, um nicht die Fahrzeuge vorbei zu lassen, die bis dahin noch hinter ihnen waren. Doch so entsteht erst recht Stau.
25 Milliarden Euro kostet der Stau die Deutschen pro Jahr
Und der ist nicht nur nervig, sondern teuer. Der Verkehrsinformationsanbieter Inrix schätzt, dass Staus und zähfließender Verkehr Deutschland jährlich 25 Milliarden Euro kosten. Die Analysten haben dabei berücksichtigt, dass Menschen im Stau Zeit verlieren, in der sie arbeiten könnten. Dass die Fahrer jede Menge Sprit verschleudern. Dass Waren zu spät an ihrem Ziel ankommen – zum Beispiel Lebensmittel im Supermarkt. Und diese Kosten steigen: 2030 soll der Stau hierzulande bereits mit 33 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Denn die Straßen werden noch voller.
Dabei liegt das weniger an den deutschen Privatfahrern. Die Zahl der Bundesbürger, die mit dem Pkw auf der Autobahn unterwegs sind, stagniert. Gleichzeitig sind allerdings mehr Ausländer hierzulande auf der Straße. Und die Zahl der Lkws nimmt ebenfalls deutlich zu. Für den Bund, der für die Instandhaltung der Bundesautobahnen zahlt, sind das schlechte Nachrichten: Ein Lastwagen schädigt die Fahrbahn nämlich so stark, wie 60.000 Pkw zusammen.
Entsprechend marode ist vielerorts die Infrastruktur. Nicht nur der ADAC leitet daraus die – für die Autofahrer-Lobby naheliegende – Forderung nach mehr Investitionen in Straßen ab. Auch der Bundesverband des Groß- und Außenhandels (BGA) fand in dieser Woche deutliche Worte: Statt zügig mehr Mittel für die Finanzierung der Verkehrswege zur Verfügung zu stellen, gebe die Große Koalition mit den Maut-Plänen von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) „Deutschland in der Europäischen Union der Lächerlichkeit preis“. Die avisierten 500 Millionen Euro pro Jahr für die unterfinanzierte Verkehrsinfrastruktur erwiesen sich wegen des absehbaren Rechtsstreits um die Maut als „Nullnummer“.
In Zukunft sollen mehr Private in die Infrastruktur investieren
Wie sich privates Kapital mobilisieren ließe, hat im Frühjahr eine Kommission im Auftrag von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ausgearbeitet. Die Fachleute halten es für sinnvoll, Planung, Bau und Verwaltung von Autobahnen und Bundesstraßen in die Hände einer eigenständigen Infrastrukturgesellschaft zu legen. Diese soll sich aus Maut-Einnahmen und Krediten finanzieren. Bis eine solche Gesellschaft den Betrieb aufnehmen kann, wird es jedoch dauern. Verkehrsexperten warnen: Das Projekt dürfe nicht im politischen Stau stecken bleiben.
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