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Ein Kopftuch kann zum Einstellungshindernis werden
© Nietfeld/dpa

Entscheidung über das Kopftuch am Arbeitsplatz: Welche Rolle dem Europäischen Gerichtshof nun zukommt

Das Bundesarbeitsgericht hat den Fall einer Drogerie-Mitarbeiterin an den EuGH verwiesen. Unternehmen fordern schnelle Rechtssicherheit.

Ob ein Arbeitgeber seine Angestellten anweisen darf, religiöse Kleidungsstücke wie das Kopftuch abzulegen, bleibt weiter umstritten. Am Mittwoch hat das Bundesarbeitsgericht den Fall einer Drogerie-Mitarbeiterin dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt. Der soll nun entscheiden, wie in solchen Situationen Unternehmerrechte mit der Religionsfreiheit Betroffener in Einklang zu bringen sind.

Wie erklärt der Drogeriemarkt seine Haltung?

Das Unternehmen erklärte, es beschäftige rund 15 000 Mitarbeiter aus 88 Nationen, womit viele Kulturen aufeinanderträfen. Um Konflikte zu vermeiden, bestehe die Verpflichtung, auf auffällige religiöse Symbole zu verzichten. In der Vergangenheit habe es bereits Konflikte gegeben. Beispielsweise habe es einen Bewerber gegeben, der sich aus religiösen Gründen geweigert habe, einer Mitarbeiterin die Hand zu geben, weil sie eine Frau sei.

Einem Mitarbeiter sei nach einem Arbeitsunfall ein Weinpaket mit einer Genesungskarte geschickt worden. Da er gläubiger Moslem gewesen sei, habe er sich durch das Geschenk beleidigt gefühlt. In einem weiteren Fall habe eine Mitarbeiterin keine Spielsachen kommissionieren wollen, mit denen man Krieg spielen könne. Sie habe dies damit begründet, dass sie Zeugin Jehovas sei.

Welche Kleiderordnung gibt es in dem Unternehmen?

Der Drogist erklärte, er lege „größten Wert“ auf ein gepflegtes, professionelles Erscheinungsbild gegenüber Kunden. Als Arbeitskleidung sei die für den jeweiligen Bereich vorgesehene Berufskleidung zu tragen, etwa ein weißer Berufsmantel. Legere Freizeitbekleidung, wie insbesondere Trainings- oder Jogginganzüge sowie Kopfbedeckungen aller Art dürfen bei Kundenkontakt nicht getragen werden. Diese unternehmensweite Regelung sei 2016 geschaffen worden. Im Rahmen des Direktionsrechts wurden alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesondert angewiesen, künftig ohne auffällige großflächige religiöse, politische und sonstige weltanschauliche Zeichen am Arbeitsplatz zu erscheinen.

Wie kam es zu dem Rechtsstreit?

Die Auseinandersetzung begann schon früher. Die Klägerin ist seit 2004 als Verkaufsberaterin und Kassiererin bei der Kette beschäftigt und war von 2011 bis 2014 in Elternzeit. Einige Tage vor Wiederaufnahme ihres Jobs erschien sie in ihrer Filiale zum ersten Mal mit einem Kopftuch. Die Filialleiterin erklärte daraufhin, man werde sie nicht weiter beschäftigen, wenn sie das Kopftuch nicht abnehme. Die Angestellte klagte vor dem Arbeitsgericht, das 2017 die Unwirksamkeit der Weisung feststellte und ihre Entgeltansprüche bestätigte. Auch die nächste Instanz, das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg, entschied, dass die Weisung nicht vom Direktionsrecht gedeckt sei.

Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof?

Der EuGH hatte 2017 geurteilt, dass eine allgemeine interne Regelung in einem Unternehmen, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, weil alle Arbeitnehmer gleichbehandelt würden. Diese Rechtsprechung habe sich jedoch auf Dienstleistungsunternehmen bezogen, heißt es im LAG-Urteil, die in besonderer Weise Kundenbeziehungen aufbauen und pflegen müssten. Im Einzelhandel sähe die Sache anders aus. Viele Frauen kämen als Kundinnen mit Kopftuch in die Läden.

Es genüge nicht, „wenn der Arbeitgeber sich auf einen lediglich auf subjektiven Befindlichkeiten beruhenden Wunsch beruft, eine Neutralitätspolitik zu betreiben“. Im Ergebnis liege daher eine mittelbare Diskriminierung aus religiösen und geschlechtsbezogenen Gründen vor, weil letztlich nur muslimische Frauen betroffen seien. Zudem sei die Weisung auch nicht durch die im Grundgesetz geschützte unternehmerische Freiheit zu rechtfertigen. Vielmehr sei der Religionsfreiheit der Vorzug zu geben, da wirtschaftliche Nachteile nicht zu befürchten seien, wenn die Frau mit Kopftuch am Arbeitsplatz erscheine. Nun soll erneut der EuGH darüber befinden, ob solche Sichtweisen mit EU-Richtlinien vereinbar sind.

Wie hält es der Einzelhandel bislang?

Wie der Fall der Müller-Mitarbeiterin zeigt, ist religiöse Kleidung vor allem im Einzelhandel immer wieder eine Streitfrage. Schließlich stehen die Beschäftigten dort im ständigen Kontakt mit ihren Kunden. Der Handelsverband Deutschland (HDE) will zwar keine Empfehlung für oder gegen ein Kopftuch-Verbot aussprechen. „Wir wünschen uns aber eine klare Rechtslage, die auch praktikabel ist“, sagt Jens Dirk Wohlfeil, HDE-Abteilungsleiter für den Bereich Arbeit. Nach bisheriger Rechtsprechung müssten Arbeitgeber etwa wirtschaftliche Nachteile darlegen, um Verbote umsetzen zu können.

Der Handelsverband jedenfalls glaubt, dass mit mehr Rechtssicherheit auch deutlich mehr Einzelhändler striktere Vorgaben erlassen könnten. „Mit einem solchen Neutralitätsgebot ließen sich dann religiöse Konflikte aus den Supermärkten fernhalten“, sagt Wohlfeil. Bislang sei das in vielen Fällen wohl wegen der rechtlichen Unsicherheit noch nicht geschehen.

Welche anderen Branchen beschäftigen sich mit Vorgaben und Verboten?

Ähnlich wie der Einzelhandel argumentieren auch das deutsche Hotelgewerbe und die Gastronomie. „Die Kleidung der Mitarbeiter wird von den Gästen als Visitenkarte des Hauses wahrgenommen“, sagt Sandra Warden, Arbeitsrechtlerin und Geschäftsführerin beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Wenn Mitarbeiter ihre privaten Anschauungen nach außen zeigen, könne das zu Konflikten mit Gästen oder auch Kollegen führen. Viele Betriebe würden deshalb ganz bewusst Neutralität wahren wollen.

Die bisherige Rechtsprechung des EuGH hält der Verband deshalb für sachgerecht. Bei den Beschäftigten in der Küche seien zudem rechtliche Vorgaben zu beachten, etwa zur Sauberkeit. Um diese zu erfüllen, gehören zum Teil spezielle Kochmützen zur Dienstkleidung. „Ob und wenn ja, welche Kopfbedeckung zu tragen ist, ist grundsätzlich eine unternehmerische Entscheidung“, sagt Warden. Sofern ein Kopftuch in der Küche getragen wird, dürfe es sich dabei jedenfalls nicht um die Straßenkleidung handeln

Welche Haltung haben die Verbände?

Die Haltung der großen muslimischen Verbände – Ditib, Islamrat, VIKZ und Zentralrat der Muslime – zur Frage, ob das Kopftuch eine religiöse Pflicht ist, ist unterschiedlich. Die eng ans türkische Religionsamt Diyanet angebundene Ditib zum Beispiel hält sich, wohl mit Rücksicht auf den jahrzehntealten Kopftuchbann in der Türkei, zurück. Gemeinsam ist allen, dass sie das Recht aufs Kopftuch verteidigen, wobei sie oft säkular orientierte Antidiskriminierungs-Organisationen an ihrer Seite haben, in Berlin zum Beispiel das Antidiskriminierungsnetzwerk des berlin-brandenburgischen Türkischen Bundes TBB.

Das 2003 in Karlsruhe entschiedene berühmteste Kopftuchverfahren der baden-württembergischen Lehrerin Fereshta Ludin unterstützte seinerzeit der Zentralrat der Muslime.

Wie wird das Recht aufs Kopftuch begründet?

Die Argumente pro Kopftuch buchstabierte für die religiöse Seite zuletzt das Kölner Aktionsbündnis muslimischer Frauen (AMF) aus. Anlass war das EuGH-Verfahren in einem belgischen und französischen Fall. Sowohl der Französin wie der Belgierin hatte ein privater Arbeitgeber das Kopftuch verboten. Die AMF-Vorsitzende Gabriele Boos-Niazy argumentierte 2016 in einer Stellungnahme gegen die – deutsche – Generalanwältin Juliane Kokott, die dem Arbeitgeber recht gegeben hatte.

Dessen Betriebsregelung zur Bekleidung sei nur vorgeblich neutral. Sie verbiete nämlich den Angestellten nicht zum Beispiel modische Kleidung, sondern nur solche, die sie aus religiösen und weltanschaulichen Gründen trügen. Gerade Religion und Weltanschauung seien aber von der EU- Grundrechtscharta und einer EU-Richtlinie geschützt. Boos-Niazy bezog sich zudem auf die Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2015, in der Neutralität als Aufgabe des Staates definiert wurde. Religiöse Kleidung werde aber von denen, die sie sähen, nicht dem Staat zugerechnet, sondern der betreffenden Person.

Kopftuch und Gleichberechtigung - was meinen muslimische Frauen?

Die Auffassung der Generalanwältin, ein Kopftuchverbot mache es Musliminnen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft nicht schwerer, nannte sie einen „Schlag ins Gesicht“, für alle, die wie sie selbst in ihrer Beratungstätigkeit für betroffene Musliminnen andere Einsichten bekämen. Es sei bedauerlich, dass das Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes in der Luxemburger Argumentation gar keine Rolle gespielt habe. Da Kopftuchverbote nur Frauen von qualifizierter Berufstätigkeit ausschließen, stehe auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „in einem begründungsbedürftigen Spannungsverhältnis“ zum Grundgesetzartikel 3, Absatz 2.

„Aus der Antidiskriminierungsarbeit wissen wir, dass selbst Kopftuchverbote, die auf bestimmte Bereiche begrenzt sind, wie das vom BVerfG kürzlich aufgehobene Kopftuchverbot im Schuldienst, eine große Signalwirkung haben und dazu führen, dass Arbeitgeber vermehrt pauschale und offensichtlich rechtswidrige Kopftuchverbote aussprechen, die erst wieder durch langwierige Klageverfahren aus der Welt geschafft werden müssen.“

Auch für Nazma Khan ist die Sache klar: „Frauen sollten wählen dürfen, was sie tragen wollen“, twitterte sie vor Tagen. „Wenn eine Frau das Recht hat, sich zu entblößen, dann sollte eine andere sich auch verhüllen dürfen. Es sollte ihre Wahl sein und diese Wahl verdient Respekt. Niemandem sollte etwas aufgezwungen werden." Die in New York lebende Erfinderin des Welt-Hijab-Tags und ihre Mitstreiterinnen rufen an diesem 1. Februar zum sechsten Mal seit 2013 dazu auf, sich mit dem Recht auf selbstbestimmte Verschleierung zu beschäftigen – und einen Tag lang aus Solidarität mit den muslimischen Schwestern ein Kopftuch zu tragen.

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