Datenschutz: Wehe, das iPhone macht schlapp ...
... dann kann man sich beim Hersteller Apple viel Unsinn anhören und soll ihm alle privaten Daten überlassen. Oder es wird ziemlich teuer. Eine Service-Odyssee.
Eigentlich sollte es doch ganz einfach sein, wenn das iPhone 6 nach nur zwei Monaten keinen Mucks mehr tut. Das wird Apple sicher nicht auf sich sitzen lassen. Das Gerät hat sich einfach mitten im Betrieb abgeschaltet. Alle persönlichen Daten sind noch drauf. Die soll selbstverständlich der Mobil-Gigant nicht bekommen. Doch damit fangen die Probleme an. Wer denkt, für dieses Datenschutzproblem hätte das sich so Service-affin gebende Unternehmen aus Cupertino eine Lösung, der erlebt eine nervenaufreibende Odyssee – und bekommt ebenso merkwürdige wie unbrauchbare Tipps. Aber eine Lösung?
Mitten in der SMS: schwarzer Schirm
Es begann mit einer SMS. Beim Schreiben schaltete sich das iPhone an einem Freitagabend aus: schwarzer Bildschirm. Alle Versuche, es über das gleichzeitige Drücken mehrerer Tasten wieder anzuschalten, führten zu nichts. Aufladen: nichts. Derweil wurde das Gerät heiß und heißer. Es war bereits das zweite iPhone, das plötzlich nicht mehr wollte, sich ausschaltete und heiß lief. Beim ersten Mal passierte es kurz nach der Garantiezeit.
Also Samstagfrüh zum lizensierten Apple-Shop Gravis am Ernst-Reuter-Platz in Berlin: Da gibt es Informationen nach Anmeldung per Terminal und kurzem Warten am Tresen. Doch der Mitarbeiter weiß keinen Rat. Der Fehler sei nicht identifizierbar, das Telefon reagiert auch am Computer nicht. Er könnte es an Apple einschicken. Die Daten? Blieben eben drauf. Genau darum geht es aber: Wie wird sichergestellt, dass die Daten nicht in fremde Hände wandern?
Solange das nicht klar ist, muss das ziemlich muckende iPhone 4 nochmal ran – doch da passt die Nano-Simkarte nicht. Für fast zehn Euro gibt es ein Adapterset.
Die Hotline reicht weiter
In der folgenden Woche Anfrage über die Apple-Hotline, die eine Warteschleife bereithält. Wie die Daten vor Austausch des iPhones gelöscht werden können, kann auch der junge Mann nicht erklären, der sich mit Vornamen meldet. Dafür behauptet er erst mal, es gebe diesen Gravis-Shop gar nicht (der war vor Eröffnung des Flagshipstores am Ku’damm die Apple-Adresse in Berlin). Zur Klärung der Datenfrage will er an seinen „technischen Vorgesetzten“ weitergeben. Es folgen zehn weitere Warteschleifenminuten ohne Antwort. Ein Termin lässt Warten nicht länger zu. Daraufhin kommt eine Mail von Apple, man möge sich doch noch mal melden, nach der Erfahrung beim Telefonsupport. Zur „Fall-Nummer“ gibt es den Hinweis „Ihr Berater: Torsten“. Wieder ein neuer Vorname.
Industriemagnete helfen auch nicht
Vielleicht klappt es von Angesicht zu Angesicht besser? Im Apple-Store am Ku'damm schicken einen die Helfer in Blau zur Leiterin der Mannschaft des Tages. Sie bedauert, aber einen Termin könne man nur Online ausmachen. Rasch also die Applestore-App heruntergeladen, doch auch die Dame in Blau weiß zunächst nicht, wie man dort einen Termin beantragt. Schließlich klappt es doch. Der nächste freie Termin ist eine Woche später. Mitten am Tag, trotzdem: rasch reservieren.
Zum vereinbarten Termin an der Genius Bar heißt es erst mal: eine halbe Stunde warten auf dem Barhocker. Ein Kunde mittleren Alters freut sich, dass er im Tausch für sein defektes iPhone sofort ein neues erhält. Ein pummeliger Jugendlicher hat sein iPad mit seinem ganzen Gewicht im Stolpern gegen einen Türrahmen gedrückt, es bildet nun ein V, das Display ist gesplittert. Für 290 Euro aus Mutters Börse kriegt der Junge ein neues Gerät. Das alte biegt der Applehelfer mit etwas Mühe und einem „Sowas-habe-ich-noch-nicht-erlebt“ in den schicken weißen Karton des Herstellers, das neue wirft der Junge in seinen ungepolsterten Nylonrucksack und zieht von dannen. Wie lange das wohl gutgeht?
Dann ist unser iPhone 6 dran. Der Helfer stellt fest: Es lässt sich nicht einschalten, auch der Computer auf dem Holztisch erkennt es nicht. Auch er bietet den Austausch an. Also wieder die Frage: Wie stellt er sicher, dass die Daten gelöscht werden? Auch Apple kennt ja die Sache mit dem Datenschutz. Der Mann weiß keinen Rat. Er ruft seinen Vorgesetzten. Der nächste freundliche Mann, diesmal mit niederländisch klingendem Vornamen. Weil er so groß sei, werde er sich mal setzen, verbreitet er die übliche freundliche Fürsorgestimmung, das gleiche Spiel beginnt. Er bietet ein neues gegen das alte Gerät an – und deutet die Daten-Frage um. Apple sei nicht für die Daten zuständig, belehrt er die Kundin.
Doch: Es geht nicht um zu wenige, sondern um zu viele Daten auf dem iPhone. Das Backup ist sicher auf dem Netbook daheim. Aber auch dieser Helfer hat keine Idee, wie die Daten bei der Kundin bleiben, statt in Apples Hände überzugehen. Der große Mann schlägt vor, da „draußen“ gebe es Shops, die das Gerät öffnen und die Daten löschen könnten.
Die Grenzen der magnetischen Kraft
Auf den Hinweis, dass das Öffnen des Geräts an anderem Ort doch den Verlust der Garantie bedeuten und mit eben diesem Hinweis Apple hernach einen Umtausch ablehnen würde, macht der lange Servicemann einen weiteren Vorschlag: „Behandeln Sie das iPhone mit einem Magneten.“ Danach seien die Daten gelöscht, hundertprozentig. Das lässt er sich noch von einem Kollegen als supersichere Lösung bestätigen. Das Ergebnis einer Stunde im Flagshipstore.
IT-Fachleute sagen zwar, dass es rein physikalisch nicht möglich ist, per Magnetstrahlen den im iPhone verwendeten Flashspeicher zu löschen. Aber die Serviceleute werden doch keinen Unsinn erzählen! Experten machen also das Experiment: Sie legen ein anderes iPhone zum Löschversuch unter einen Industriemagneten. Nichts passiert. Sie versuchen es mit einem noch leistungsfähigeren Magneten, der jede Kreditkarte schon von weitem zerstört. Doch das iPhone zuckt nur kurz, dann funktioniert es wieder normal. Das ist also keine Lösung. Ein IT-Supervisor schüttelt den Kopf – das kann gar nicht funktionieren.
Wenn Kollegen Zeit finden – in Irland
Jetzt wäre doch mal eine offizielle Auskunft der Pressestelle interessant. Apple muss ja ein Interesse am Datenschutz, also an einer Lösung haben. Ein so teures Gerät nach zwei Monaten ohne Ersatz ausrangieren zu müssen, weil das iPhone Daten auf diese Weise stiehlt, ist eine verdammt teure Variante. Doch der Mitarbeiter in München – der erste mit Vor- und Nachnamen – verweist weiter an Kollegen der PR-Abteilung. Eine Telefonnummer? Nein: mailen! Und der aufbauende Satz: „Wenn die Kollegen die Zeit finden, werden sie sich der Sache annehmen.“
Die PR-Experten, abermals sehr freundlich, entschuldigen sich für die Odyssee. „Und ja: Wir werden uns die Zeit sofort nehmen“. Da sie aber „keinen Reparaturservice anbieten“ könnten, werde sich binnen 24 Stunden der spezielle Support melden. „Wir hoffen, dass das Datenlöschproblem Ihres defekten iPhone bald behoben ist“, schreibt Apples PR-Team.
Merkwürdig, niemand bei Apple weist darauf hin, dass iPhones spätestens seit iOS 8 mehrfach verschlüsselt und die Daten angeblich unantastbar sind. Allerdings: Was auch immer die Werbung verspricht, am Ende gab es bisher immer jemand, der sich Zugriff auf die Geräte verschaffen konnte. Die Kundin jedenfalls will weder Telefonnummern noch ihre SMS-Konversationen Apple überreichen.
Nach wenigen Stunden meldet sich aus Cork in Irland ein Mann mit klangvollem Doppelnamen, sein Titel: „Executive Relations EMEIA“. Das steht für Europe, Middle East, India & Africa. Doch auch er sieht sich außerstande, sofort zu antworten, verspricht aber Klärung – bis zur kommenden Woche. Derweil schickt er erst mal Links zu den Garantiebedingungen. Unter „Ihre Pflichten“ steht da: „Bevor Sie Ihr Apple Produkt für eine Garantieleistung einsenden, sollten Sie (…) alle persönlichen Daten entfernen und alle Sicherheitspasswörter deaktivieren“.
Nun ja, genau darum geht es. Wird Apple also endlich die Frage beantworten?
Ein teures Wunder
Die Rettung?
Irgendwann kurz vor seinem Dienstschluss meldet sich in der Woche drauf der Spezial-Support. Hoffnung keimt auf. Endlich Rettung? Er macht deutlich, dass die Experten die Auskünfte ihrer Kollegen ziemlich hanebüchen finden und man dem intern nachgehen werde. Gleichzeitig sagt er aber auch, er könne die Aussagen der Kundin nicht „nachverfolgen“. Allerdings nennt er genaue Termine, seit wann dieses iPhone und seine Datenprobleme bei Apple aktenkundig sind.
Und was bietet er nun an? Die Technik, das Problem zu lösen, gebe es nur in den großen Apple-Fabriken, nicht in einem Retail-Shop. Es gehe um Mikrotechnik, das entsprechende Teil sei fest auf der Hauptplatine verschweißt. Die Kundin solle das Gerät im Shop abgeben, die Daten würden dann in der Fabrik „gelöscht oder vernichtet“. Er weiß, dass das das Problem nicht löst und keine Garantie dafür ist, dass die Daten nicht in andere Hände gelangen. Aber: „Es gibt keine weiteren Optionen.“ Die Kundin könne sich ja noch einmal an die Pressestelle wenden: „Die Kollegen werden auf Ihre Fragen antworten oder nicht.“
Die Daten sind unser
Die PR-Kollegen mailen nun, es sei Apple nicht möglich, die Daten zu löschen, da der Speicher „nicht vor Ort ausgebaut oder getauscht werden kann“. Das Team versichert: Apple habe „keine Möglichkeit, auf Daten aus dem Speicher eines iPhone zuzugreifen, wenn es nicht mehr angeschaltet werden kann.“ Auch das ist keine Lösung – spätestens in der Fabrik (wo immer die sein mag) stellt sich bei der Reparatur wieder die Frage. Ein letzter Versuch bei der Pressestelle, es ist wieder der gleiche Sprecher, wie denn der Datenschutz nun garantiert werden kann. Die Antwort: „Da kann ich nichts für Sie tun.“ Apple hat dieses Telefon nicht bekommen, die Kundin also auch kein Austauschgerät. Wer seine Daten schützen will, erlebt bei Apple ein teures Wunder.