Fünf Jahre nach der Pleite: Was von Schlecker bleibt
Vor fünf Jahren meldete die Drogerie-Kette Insolvenz an. Bis heute warten etliche Gläubiger auf ihr Geld - und viele ehemalige Beschäftigte auf einen neuen Job.
Jetzt wollen sie den Namen verkaufen, er ist alles, was noch geblieben ist. Regalsysteme, Rollwagen und Plastikschilder sind längst versteigert, Aktenordner, Computer und Bohrmaschinen zu Geld gemacht, kein Stück Gallseife mehr in irgendeinem Lagerraum, das nicht schon verschleudert worden wäre. Aber der Name, der ist noch da, der ist eine Marke, sie war einmal viel wert.
Wer will ihn haben? Schlecker-Frauen. Schlecker-Pleite. Schlecker-Fall. „Der Fall Schlecker darf sich nicht wiederholen“, hatte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) gemahnt, als er ankündigte, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um eine Übernahme der Supermarktkette Kaiser’s durch Edeka zu ermöglichen. Wäre Schlecker nicht zerschlagen worden, vielleicht hätte es Kaiser’s getroffen. Aber aus Schlecker hat man gelernt. 27 000 Beschäftigte auf der Straße, von heute auf morgen, dass es nicht gut läuft, das hatten sie ja gemerkt an den Kassen und in der Buchhaltung. Aber dass es so schlimm stand, das war ein Schock, damals, am 23. Januar 2012, als ihnen plötzlich dieses Wort aus den Medien entgegenschallte: insolvent.
Anton Schlecker muss vor Gericht
Nicht einmal die Betriebsratsvorsitzende hatte etwas gewusst, keiner war informiert worden. Bloß der Familie muss lange vorher klar gewesen sein, dass mit dem Unternehmen Schlecker nichts mehr zu holen war. Bei Schlecker aber schon. Darum hat sie, so zumindest der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, Geld beiseite geschafft, während die Kette weiter auf die Zahlungsunfähigkeit zusteuerte. Vorsätzlicher Bankrott. War es so? Das soll der Prozess klären, der im März beginnt, Hauptangeklagter ist Anton Schlecker, seine Frau Christa und die erwachsenen Kinder Lars und Meike sind Mitbeschuldigte. Fünf Jahre nach der Insolvenz erhoffen sich ehemalige Mitarbeiter und sonstige Gläubiger ein Stück Wahrheit – und Geld. Aber ob der Prozess neues ins Spiel bringt, ist fraglich.
Dabei ist es noch lange nicht vorbei. Das Verfahren werde mutmaßlich noch Jahre dauern, sagt Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz. Die Abwicklungstätigkeiten sind gelaufen, jetzt geht es um die Kartellforderungen. Geiwitz hat diverse ehemalige Lieferanten wegen illegaler Preisabsprachen auf Schadensersatz verklagt. Es geht um mehr als 300 Millionen Euro, zahlen sollen die Hersteller von Waschmitteln, Kaffee, Zucker und Süßigkeiten.
Die Familie hat 10,1 Millionen Euro gezahlt
Geld, das dann auch den Schlecker-Frauen zugute kommen soll. Und der Bundesagentur für Arbeit, die drei Monate lang einen Großteil des Gehalts gezahlt hat – so lange, wie die Kündigungsfrist der Mitarbeiter betrug. Der Anspruch des Jobcenters ist Teil der „Masseforderung“, erst danach kommen die eigentlichen Insolvenzforderungen an die Reihe, Dienstleister, die vor dem Tag null Rechnungen gestellt hatten, die nie bezahlt wurden: Spediteure, Werbeagenturen, Druckereien. Tageszeitungen vielleicht, in denen Anzeigen erschienen sind. Die Forderungen der Gläubiger summierten sich auf rund eine Milliarde Euro. 10,1 Millionen Euro hat Geiwitz der Familie Schlecker abgerungen, weil er Zahlungen an die Familie angefochten hatte. Die 10,1 Millionen Euro sind Ergebnis eines Vergleichs. Viel Shampoo kann man davon kaufen. Aber angesichts des Lochs, in das der Verwalter blickt, versickert es schnell im Abfluss. Von dem Vorgehen gegen die Kartelle verspricht man sich mehr. „Die sind eindeutig belegt, das Bundeskartellamt hat entsprechende Bußgelder verhängt.“ Die ehemaligen Lieferanten, zu denen L’Oréal, Beiersdorf und Südzucker gehören, waren vom Kartellamt und der EU-Kommission der Preisabsprache für schuldig befunden worden.
Die Lieferanten hatten, anders als Angestellte, Dienstleister und hunderte Vermieter, ihr Geld damals fast vollständig zurückbekommen. Die meisten von ihnen galten als sogenannte „Sicherungsgläubiger“, denen die höchste Priorität gilt: In ihren Verträgen standen Sätze wie „Die Ware bleibt bis zum Erhalt der Zahlung unser Eigentum“. Wenn also die Waren nicht zurückgegeben werden konnten, musste gezahlt werden.
Viele Schlecker-Frauen sind noch immer arbeitslos
Um wie viel Geld geht es also hier für die Schlecker-Frauen, deren Fotos vor fünf Jahren wochenlang Titelseiten und Nachrichtensendungen dominierten? „Vielleicht um 3000 bis 4000 Euro pro Person“, sagt Eva Völpel von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Geld, das wohl alle gut gebrauchen könnten. Die Bundesagentur für Arbeit hat im März 2013, nicht einmal ein Jahr, nachdem die letzte der zuletzt 7000 Schlecker-Filialen verriegelt wurde, ihr Jobmonitoring eingestellt. Bis dahin hatte knapp die Hälfte der Betroffenen einen Job gefunden. Was ist aus ihnen geworden?
„Wer Glück hatte, ist bei dm oder Rossmann untergekommen“, sagt Völpel – Konkurrenten, die sich zumindest am Tariflohn von 2400 Euro brutto monatlich orientieren. Insgesamt 2800 Mitarbeiter wechselten zu anderen Drogerieketten, wenn auch bei Weitem nicht alle in Vollzeitjobs. 50 bis 60 Verkaufsstellenleiterinnen, sagt Völpel, hätten sich entschieden, ihre Filiale in Eigenregie weiterzuführen. „Der Großteil ist damit ebenfalls insolvent gegangen.“ Allein gegen Massenabnehmer, das ist ein Kampf, der schwer zu gewinnen ist – selbst bei größtem Engagement. Die Mehrheit der Schlecker-Mitarbeiter habe sich einkommensmäßig stark verschlechtert, berichtet Verdi. Sie stecken in anderen Einzelhandelsjobs oder Callcentern.
Nicht einmal 100 wurden Erzieherin
Und erinnert sich noch jemand an den Kandidaten für das „Unwort des Jahres 2012“? Die „Anschlussverwendung“, die der damalige Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) den Schlecker-Frauen ans Herz gelegt, ihnen dann aber eine Transfergesellschaft verweigert hatte. Ursula von der Leyen, damals Bundesarbeitsministerin, wurde konkreter und riet zu einer Umschulung als Erzieherin. Von den 27 000 Angestellten setzten das maximal 100 um. Allzu viele haben gar nichts gefunden. Dem Betriebsrat zufolge lag das Durchschnittsalter der Verkäuferinnen zum Zeitpunkt der Firmenaufgabe bei 46,7 Jahren. Das macht es nicht einfacher. Unvorsätzlicher Bankrott, sozusagen.
Verrat, Existenzangst. All das schwingt beim Wort Schlecker mit. Darum wird es „schwer, einen Käufer zu finden“, weiß Insolvenzverwalter Geiwitz – für die Marke Schlecker auf jeden Fall. „Aber vielleicht möchte jemand eine der Eigenmarken übernehmen?“ „AS“ und „Rilanja“ suchen eine Anschlussverwendung.