Biomimikry: Was Verkehrsforscher von Bienen lernen
Berliner Informatiker und IT-Firmen lassen sich von der Evolution inspirieren. Denn viele Mechanismen der Natur lassen sich auf Unternehmen übertragen.
In einem pulsierenden Tanz bewegt sich das schwarze Gebilde am Himmel. Was aus der Ferne aussieht wie ein einzelnes, großes Tier, sind in Wirklichkeit viele kleine. „Stare zeigen dieses eindrucksvolle Verhalten, das wir in vielen Bereichen sehen“, sagt Tim Landgraf, der an der Freien Universität Berlin (FU) eine Forschungsgruppe zum Thema Biorobotik leitet. Seinen Zuhörern zeigt der 35-Jährige den Vogelfilm als Annäherung an eine Theorie, die – konsequent umgesetzt – ein Lösungsansatz für die Probleme der Menschheit sein könnte. Das sagen zumindest die Verfechter der Forschungsrichtung, die sich in Berlin zum Symposium „2nd nature“ getroffen haben. Kein Zufall – in der Hauptstadt setzen Unternehmen, Wissenschaftler und Beratungen vermehrt auf Biomimikry.
„Es ist faszinierend: Irgendwoher weiß die Natur, sich die Interaktionen vieler zunutze zu machen“, sagt Tim Landgraf. Schwärme und Wellen sind deshalb die großen Themen des FU-Forschers. Seit einem Jahrzehnt erforscht er das Verhalten von Bienen. Diese zeigen ein kommunikatives Verhalten, das an eine La-Ola-Welle in einer summenden Fankurve erinnert: „Das ist eine Bewegung, die einfach auftaucht. Niemand sagt ihnen, was sie tun sollen. Sie tun es trotzdem.“
Mechanismen der Natur lassen sich auf Unternehmen übertragen
Durch aufwendige Erhebungen generieren die Wissenschaftler große Datensätze über das Verhalten der Tiere. „Wir wissen über jede einzelne Biene mehr als Facebook über seine Nutzer“, schmunzelt Landgraf. Die genaue Analyse ist wichtig für Biomimikry. Denn durch sie lassen sich Mechanismen der Natur auf Unternehmen, Organisationen und andere menschengeschaffene Systeme übertragen.
In den Laboren der Forscher hat ein Roboter deshalb den Bienentanz gelernt, begleiten Drohnen die Tiere auf ihren Flügen und analysieren Computer jede Gehirnaktivität. Die Schwarmdaten sollen dazu dienen, den Verkehr der Zukunft zu organisieren – wenn Autos autonom fahren und nicht mehr mit Benzin. „Das Problem ist, dass Elektroautos heute über Nacht aufgeladen werden müssen, dafür fehlt oft Zeit“, sagt Landgraf. Irgendwann sollen sich Fahrzeuge deshalb verhalten wie Bienen: „Die Autos werden sich dann während der Fahrt im Schwarm aufladen.“
Biomimikry ist in Deutschland erst seit wenigen Jahren angekommen. Das liegt auch daran, dass die Computertechnik gerade immer besser wird. Dank leistungsfähigerer Rechner, die große Datenmengen verarbeiten und sinnhafte Zusammenhänge erkennen können, entstehen immer feinkörnigere Modelle des Lebens. Diese ermöglichen den Schritt von der Natur hin zur Innovation.
Vor allem Digitalunternehmen sind an Biomimikry interessiert
Daher sei es kein Wunder, dass besonders Digitalunternehmen an Biomimikry interessiert seien, erklärt Klaus-Stephan Otto. Otto ist Geschäftsführer von Evoco, einer Berliner Unternehmensberatung, die sich auf „Evolutionsmanagement“ spezialisiert hat. „Am stärksten ausgeprägt ist das Denken in Ökosystemen momentan im IT-Bereich, weil dort die Komplexität groß ist und die Geschwindigkeit von Veränderungen“, sagt Otto. Mit Ökosystemanalysen sei es möglich, nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch „nicht-lebende“ Faktoren wie die Technik einzubeziehen. Deshalb habe man schon vor 20 Jahren zusammen mit Biologen einen Ökosystem-Ansatz entwickelt, der nun auf vermehrtes Interesse stoße. Natur ist schick. Nicht nur auf dem Teller, sondern auch beim Denken.
Kreisläufe, Abfallvermeidung und Widerstandsfähigkeit sind die wichtigsten Aspekte von Biomimikry. Deshalb sollte man den Ansatz nicht mit Bionik verwechseln, erklärt Arndt Pechstein, Innovationsberater und Leiter des „Biomimicry Germany“-Think Tanks. „Bei Bionik geht es um Einzellösungen. Biomimikry denkt in ganzen Systemen.“ Bionik, das ist zum Beispiel das Lotusblatt, von dessen Oberfläche Wasser einfach abperlt, eingesetzt in Fassadenfarbe. Bei Biomimikry gehe es um die „Designprinzipien des Lebens“, so der Neurowissenschaftler.
Studenten entwickeln Sitze für Airbus - flexibel wie Vogelkrallen
Diese seien für große Unternehmen allerdings schwer umzusetzen, sagt Bastian Schäfer, Innovation Manager bei Airbus. Deshalb setzt Airbus auf konkrete Anwendungen. Studenten haben beispielsweise Sitze entwickelt, die flexibel sind wie die Krallen von Greifvögeln, und einen „Schleimpilzalgorithmus“, der das Material von Trennwänden verbessern soll. Seit fünf Jahren gibt es in dem Konzern eine Biomimikry-Abteilung. Die Investitionen liegen im sechsstelligen Bereich.
Den Unterschied zwischen Bionik und Biomimikry betont Tim Landgraf am Ende seines Vortrags. „Peak Oil wird die Menschheit wieder auf die Beine bringen“, steht auf seiner letzten Vortragsfolie. Das heißt, irgendwann werden knappe Ressourcen die Menschheit zu Innovationen zwingen. Ein Blick in die Natur ist dann wahrscheinlich eine gute Idee.
Rebecca Ciesielski
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