Berliner Flughäfen: Was Reisende jetzt über den Streik wissen müssen
An den Flughäfen Tegel und Schönefeld geht am Freitag so gut wie nichts. Weil das Bodenpersonal streikt, fallen fast alle Flüge aus.
Der Tarifkonflikt an den Berliner Flughäfen erreicht mit dem ganztägigen Streik am Freitag eine neue Stufe. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Zwar soll es am Wochenende keine weiteren Arbeitsniederlegungen des Bodenpersonals geben, doch für Anfang der kommenden Woche bereitet Verdi weitere Streiks vor, die den gesamten Flugbetrieb lahmlegen sollen. Auch am heutigen Streiktag rechnet man damit, dass alle – oder zumindest fast alle – Flüge ausfallen werden. Bei ankommenden Maschinen entscheidet die Flugsicherung, wohin sie umgeleitet werden, wenn die Landung in Berlin nicht möglich ist.
In dem Konflikt geht es um Einkommenserhöhungen für gut 2000 Abfertiger und Gepäckträger in Berlin und Tegel. Verdi will eine Erhöhung des durchschnittlichen Stundenlohns von elf auf zwölf Euro durchsetzen, die Arbeitgeber haben bislang 27 Cent angeboten. Nachdem fünf Verhandlungsrunden und einige Warnstreiks ohne Ergebnis geblieben waren, hatte Verdi vor einer Woche die Gewerkschaftsmitglieder über einen Arbeitskampf abstimmen lassen. Knapp 99 Prozent votierten dafür.
Weitere Streiks sind wahrscheinlich
Die Gewerkschaft ruft aber nicht zu einem unbefristeten Arbeitskampf auf, um nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verstoßen und mithin ein Verbot der Streiks zu riskieren. Deshalb wird vermutlich in der kommenden Woche immer wieder mit eintägigen Streiks zu rechnen sein, weil die Arbeitgeber bislang eine Erhöhung ihres Angebots ablehnen. Die Firmen argumentieren mit den schwierigen Marktbedingungen an den Flughäfen. Alle fünf Unternehmen, die in Tegel und Schönefeld Bodendienstleistungen erledigen, schreiben angeblich rote Zahlen. Die Bodenverkehrsdienstleistungen war vor knapp zehn Jahren privatisiert worden. Seitdem gibt es einen Wettbewerb mit Preis- und Lohndumping.
Passagiere von Air Berlin, Lufthansa und Eurowings können ihre Tickets gegen einen Gutschein für eine Bahnfahrt umtauschen. Die Bahn, bei der die Züge freitags in der Regel ohnehin sehr voll sind, will bei Bedarf auf besonders belasteten Strecken zusätzliche Züge fahren lassen. Ihre Reserven an Fahrzeugen und Personal sind allerdings begrenzt.
Airlines müssen notwendige Zwischenübernachtungen bezahlen
Die Lufthansa hat am Donnerstag versucht, Kunden über die Alternativen zu informieren. Der Tausch Flugticket gegen Bahngutschein ist bei ihr auch per Internet möglich. Bei Air Berlin erfolgt er an einem Flughafenschalter. In Tegel hat die Gesellschaft einen zusätzlichen Serviceschalter eingerichtet.
Fällt der Flug aus oder verspätet er sich um mehr als fünf Stunden, gibt’s den Ticketpreis komplett zurück. Pauschalreisende müssen die Modalitäten mit ihren Vertragspartnern aushandeln. Grundsätzlich sind die Gesellschaften verpflichtet, die Passagiere ans vorgesehene Ziel zu bringen, egal auf welchen Wegen. Auch eine notwendige Zwischenübernachtung müssen die Airlines bezahlen.
Nach der Wiederaufnahme der Arbeit am Sonnabend rechnet die Lufthansa mit einem normalen Betrieb. Die Flughafengesellschaft hält es für möglich, dass es zumindest in den ersten Stunden noch zu Einschränkungen kommen kann.
Fallen alle Flüge aus?
Die meisten Flüge werden wohl gestrichen. Die Entscheidung träfen die Gesellschaften, sagte Flughafen-SprecherDaniel Tolksdorf am Donnerstagnachmittag. Air Berlin will nach eigenen Angaben versuchen, die Langstrecken zu fliegen. Auch die Maschine nach Tel Aviv soll abheben. Lufthansa-Sprecher Wolfgang Weber rechnet dagegen damit, dass alle Flüge ausfallen. Passagiere sollten sich trotzdem im Internet oder telefonisch bei den Gesellschaften informieren, ob der Flug vielleicht doch stattfindet.
Warum wird gestreikt?
Weil die Arbeitnehmer mehr Geld wollen als die Arbeitgeber angeboten haben. Es hat in den vergangenen Wochen insgesamt fünf Verhandlungsrunden gegeben, die keine Annäherung brachten – trotz Warnstreiks und dem Ausfall einiger hundert Flüge von und nach Tegel und Schönefeld. Die Fronten sind starr, und damit Bewegung in den Konflikt kommt, ließ Verdi in der vergangenen Woche die Gewerkschaftsmitglieder über einen Arbeitskampf abstimmen. Angeblich gehören deutlich mehr als 50 Prozent der gut 2000 Beschäftigten der Berliner Bodenverkehrsdienste zu Verdi. Von den Gewerkschaftsmitgliedern, die an der Urabstimmung über den Streik teilnahmen, votierten dann knapp 99 Prozent für den Arbeitskampf. Zu Beginn dieser Woche versuchten die Arbeitgeber mit einem verbesserten Angebot, den Streik doch noch zu verhindern. Vergebens. Deshalb wird nun gestreikt, bis ein neues Angebot kommt.
Worum geht es konkret?
Die Gewerkschaft fordert einen Euro mehr pro Stunde, die Arbeitgeber haben 27 Cent geboten. Dazu sollen die Beschäftigten bessere Aufstiegsmöglichkeiten bekommen. Das Lohnniveau für Ladearbeiten, den Check-In oder Vorfeldtätigkeiten wie das Einwinken von Flugzeugen reicht von knapp neun bis gut 14 Euro für Leitungsjobs. Im Schnitt bekommen die Beschäftigen elf Euro. Verdi begründet die relativ hohe Forderung mit der Arbeitsbelastung auf den Berliner Flughäfen und der geringen Attraktivität der Jobs: Höhere Löhne sollen dazu beitragen, dass für derzeit rund 100 vakante Stellen Arbeitskräfte gefunden werden. Ferner sei ein Großteil der Beschäftigten nur teilzeitbeschäftigt und könne von dem Gehalt kaum leben, deshalb müssten die Stundenlöhne steigen. Die Arbeitgeber wehren sich gegen den geforderten Lohnanstieg, weil die Unternehmen „seit der letzten Tarifrunde im Jahr 2013 rote Zahlen schreiben“. Würden alle Forderungen von Verdi umgesetzt, bedeute das eine Kostensteigerung von 20 Prozent. Schätzungsweise wären das rund zehn Millionen Euro im Jahr.
Was macht den Konflikt so kompliziert?
Bis 2008 wurden die Bodenleistungen an den Berliner Flughäfen von der Globe Ground erledigt, einer Tochter der landeseigenen Flughafengesellschaft und der Lufthansa. Mit der Privatisierung der Globe Ground begann der beinharte Wettbewerb – inklusive Preis- und Lohndumping. Am Ende einer Kette, die mit extrem günstigen Flugtickets beginnt, stehen die Abfertiger und Gepäckträger am Flughafen mit mickrigen Stundenlöhnen. Denn der Kampf um Marktanteile wird über den Preis ausgetragen. Der Wisag- Konzern hatte einst Globe Ground übernommen und beschäftigt heute noch in diversen Töchtern rund 1000 Leute an den beiden Berliner Flughäfen. Die Wisag, so heißt es bei Verdi, hat Interesse an einem eskalierenden Tarifkonflikt mit vielen Streiktagen, um dann mit ihren Auftraggebern, den Fluggesellschaften, die Dienstleistungsverträge zu ihren Gunsten nachzuverhandeln.
Gleichzeitig wird die Wisag von anderen Anbietern „angegriffen“: An die Aeroground Berlin GmbH, eine Tochter des Flughafens München, die mit rund 600 Beschäftigten auf den Berliner Flughäfen tätig ist, hat die Wisag den Großkunden Air Berlin verloren. Und dann gibt es noch ein paar andere Anbieter, die ebenfalls auf Marktanteile scharf sind - um dann am Tag X, wenn der Großflughafen BER eröffnet, dabei zu sein. Der aktuelle Tarifkonflikt wird also überlagert von Interessensgegensätzen im Arbeitgeberlager. Womöglich brauchen die beteiligten Unternehmen deshalb noch einige Streiktage mehr, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Wie reagieren die Fluggesellschaften?
Die Lufthansa hat am Donnerstag Passagiere, deren Kontaktdaten sie kennt, informiert und ihnen angeboten, bei innerdeutschen Verbindungen das Ticket gegen einen Voucher für eine Bahnfahrt zu tauschen. Ein Umtausch ist auch per Internet oder am Flughafenschalter möglich. Bei Air Berlin gibt’s die Gutscheine am jeweiligen Flughafen-Ticketschalter. Zusätzlich hat man in Tegel an der Gate–Position einen Service-Schalter installiert. Informationen zum Flugstatus gibt es auch unter der extra eingerichteten Nummer 00800-573 78 000. Der Anruf ist gratis; es könne aber zu längeren Wartezeiten kommen, warnt die Fluggesellschaft.
Ist die Bahn vorbereitet?
Der Freitag ist der Tag mit ohnehin besonders vielen Fahrgästen. Jetzt kommen die Streik-Umsteiger hinzu. Bei Bedarf werde man auf besonders ausgelasteten Strecken zusätzliche Züge fahren lassen, sagte ein Bahnsprecher. Vor allem auf der Strecke Berlin–Frankfurt (Main) ist mit einer starken Nachfrage zu rechnen. Das Personal auf den Bahnhöfen in den Städten, in die von einem Streik betroffene Flugzeuge umgeleitet werden könnten, werde bei Bedarf ebenfalls aufgestockt, um Reisenden zu helfen, teilte der Sprecher weiter mit. Neben Air Berlin und Lufthansa tauscht auch Eurowings Flugtickets in Bahngutscheine um.
Welche Rechte haben Passagiere?
Wird der Flug annulliert, gibt’s den vollen Ticketpreis zurück. Dies gilt auch, wenn sich der Flug um mehr als fünf Stunden verspätet. Ansprüche auf weitere Entschädigungen gibt es bei Streiks nicht. Während der Wartezeit müssen die Fluggesellschaften die Passagiere unter anderem gratis mit Essen und Trinken versorgen: Bei Flügen bis zu 1500 Kilometern nach zwei Stunden, bei Entfernungen bis 3500 Kilometern nach drei Stunden und darüber hinaus nach vier Stunden. Servieren die Gesellschaften nichts, können sich Passagiere selbst versorgen und die Rechnung später einreichen. Für Passagiere, die einen Anschlussflug verpassen, müssen die Gesellschaften eine „Ersatzbeförderung“ organisieren und bei Bedarf auch eine Übernachtung bezahlen.
Was machen Pauschalreisende?
Pauschalreisende sollten sich mit ihrem Veranstalter absprechen. Wenn die Abreise völlig ungewiss ist, ist es grundsätzlich möglich, den Vertrag wegen höherer Gewalt zu kündigen. Fliegt man wegen des Streiks Tage später, kann man den Reisepreis anteilig mindern. Wird der Rückflug verpasst, muss sich der Veranstalter um die weitere Unterbringung kümmern. Schafft man es dann nicht, rechtzeitig an den Arbeitsplatz zurückzukommen, sind in der Regel keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu befürchten. Der Arbeitgeber muss aber sofort informiert werden. Und er ist nicht verpflichtet, die Fehlzeiten zu bezahlen.
Wie geht es am Sonnabend weiter?
Wenn am Streiktag tatsächlich alle – oder fast alle – Maschinen am Boden bleiben, rechnet Lufthansa-Sprecher Weber am folgenden Sonnabend mit einem normalen Betrieb. „Alle Maschinen, die da sein müssen, sind dann auch da“, sagte er. Flughafen-Sprecher Tolksdorf ist etwas skeptischer. Man müsse damit rechnen, dass es in den ersten Stunden noch zu Einschränkungen und Verspätungen kommen könne, sagte er. Auch hier gelte, dass sich Passagiere vor der Fahrt zum Flughafen informieren sollten.
Schadet der Streik der ITB?
Dem Image der Stadt förderlich ist er sicher nicht. Die meisten Fachbesucher der ITB dürften sich aber auf den Streik eingestellt haben, der sich seit Tagen abgezeichnet hat. Und die Messe hat auch ein Hilfspaket angeboten. Andere Veranstaltungen am Freitag in Berlin sind abgesagt worden, weil nicht garantiert werden kann, dass vorgesehene Gäste auch eintreffen werden.
Ist mit weiteren Streiks zu rechnen?
Ja, vermutlich Anfang der kommenden Woche. Ein Streik am Wochenende macht keinen Sinn, weil den Streikenden dann Zuschläge entgehen würden. Verdi scheut bislang einen unbefristeten Streik, sondern hofft auf die Wirkung von kurzzeitigen Ausständen – die aber immer länger werden. Unter den Arbeitgebern gibt es durchaus die Einschätzung, dass der Konflikt noch die gesamte kommende Woche dauern könnte. Am wahrscheinlichsten ist die Fortsetzung des Streiks am nächsten Dienstag.